Anna Klapheck Textforum

Vom Räumchen zum Herrenhaus

Erinnerungen an Alfred Schmela

Schon vorher hatte es allerhand Geraune gegeben: da war ein nahezu unbekannter Maler, oder vielleicht war er auch Architekt, und mit Bildern handelte er wohl auch gelegentlich – dieser Mann von knapp vierzig wollte demnächst mitten in der Altstadt eine Galerie aufmachen, ein bißchen in der Art der kleinen Pariser Avantgardegalerien in den engen Gassen rund um St. Germain-des-Près.

Eine neue Galerie, das war damals, als es nur etwa ein halbes Dutzend Galerien in Düsseldorf gab, eine aufregende Sache. Genau einen Monat zuvor hatte der ernste Jean-Pierre Wilhelm drüben in der Kaiserstraße seine „Galerie 22“ eröffnet, auch da gab es jüngste Kunst zu sehen, und es wehte von Frankreich herüber. Und nun abermals eine festliche Vernissage, Hunsrückenstraße, gleich neben dem Kom(m)ödchen, das verhieß eine kleine Sensation. Ein französischer Text war vorher ins Haus geflattert, der die „Propositions Monochromes“ des französischen Malers Yves Klein ankündigte. Düsseldorf rückte also mächtig vor im internationalen Kunstgeschäft.

Unvergessen jener milde Juni-Abend 1957. Das Räumchen erwies sich als beträchtlich zu klein, nur schubweise wurde man eingelassen, so machte das ganze Sträßchen mit im heiteren Spiel. Lachend kamen die meisten wieder heraus aus dem Sälchen, denn was es da zu sehen gab, die einfarbig rot und blau angestrichenen Tafeln des Herrn Yves, der selbst zugegen war, das konnte doch nur ein Spaß sein oder allenfalls ein verspäteter Neuaufguß von Dada. Herr Schmela, der bärtige Hausherr, nahm es auch gar nicht übel, daß seine Eröffnung zum heiteren Fest geriet. Im stillen wird er wohl gedacht haben: wartet nur ab, aus dem Spaß kann bald auch Ernst werden.

Es dauerte nicht lange, und „Yves le Monochrome“ war berühmt als Begründer einer weltweiten neuen Kunstrichtung, und heute, ein Vierteljahrhundert später, gehören Bilder des frühverstorbenen Yves zu den begehrtesten Objekten auf dem internationalen Kunstmarkt. So war es eigentlich immer: was bei Schmela Premiere hatte, war bald darauf in aller Munde.

Hier drehten sich Tinguelys Rädchen, als auch dieser Name noch kaum Klang hatte, hier veranstaltete, als „Aktionen“ noch Seltenheit waren, Mathieu sein „Schau-Malen“, hier zeigte Christo seine ersten Verpackungen, Arman seine Häufungen von Alltagsobjekten. Und so kam einer nach dem anderen, meist in eigener Person, aus allen Ländern und bald auch aus den USA, ins kleine Hauptquartier in der Hunsrückenstraße. Nicht zu vergessen auch die Düsseldorfer Zero-Gruppe und Joseph Beuys, die in Schmela ihren ersten Betreuer hatten. Hätte man bei jeder Ausstellung zugegriffen, man besäße heute, für nicht allzuviel Geld, ein kostbares Museum moderner Kunst.

Bald war Schmela heimisch geworden in Paris, London und New York und wuchs immer mehr über Düsseldorf hinaus. Ende der sechziger Jahre begann er mit dem Bau eines eignen Galeriehauses in der Mutter-Ey-Straße, des ersten ganz als Galerie geplanten Gebäudes. Während der Bauzeit betrieb er den Kunsthandel von seiner Wohnung in Oberkassel aus. Dort feierten wir am 23. November 1968 seinen 50. Geburtstag. Blumen, Flaschen häuften sich auf den Tischen. Seine engeren Künstlerfreunde wuchteten eine schwere Kiste nach oben, die mit viel Umstand geöffnet wurde: ein nacktes Mädchen entstieg ihr, entschwand aber eiligst im Nebenraum.

Schmela lachte herzhaft, er hatte Sinn für derbe Späße, liebte Alt-Bier und deftiges Essen. Trotz allen äußeren Erfolges, und längst ein Mann von Welt geworden, gab er sich bis zuletzt als ein Kind des Volkes. Wie ein französischer Kleinbürger spielte er sonntags Boule mit den Freunden. Seiner Witterung für die Kunst entsprach eine erstaunliche Menschenkenntnis. Er wußte immer, mit wem er es zu tun hatte, ich habe nie ein ordinäres Wort von ihm gehört. Unter rauher Schale war er verletzlich, im Umgang mit Frauen, auch mit seiner eignen tapferen Frau, konnte er sogar zartfühlend sein.

Wie es dann weiterging, wie er 1975 das stattliche Lantzsche Herrenhaus inmitten eines großen Parks in Lohausen bezog und dort ein Freilichtmuseum für moderne Plastik aufzubauen begann, darüber ist schon berichtet worden. Wieder bewunderte man seine Mut, seine Entschlußkraft. Nachdenklich aber sagte er einmal zu mir: „Da reden die Leute von Glück und Dusel und haben doch keine Ahnung, wieviel Schweiß das alles gekostet hat.“

Wenige erinnern sich noch, daß er sich 1963 auch im Auktionsgeschäft versucht hat. Die Veranstaltung im Großen Saal des Malkasten trug gesellschaftlichen Glanz. Vor mir liegt der schön ausgestattete Katalog, der viele stolze Namen enthält, bis hin zu Picasso. Ein Stilleben von Max Ernst (1925) wurde für 23 000 Mark, ein früher De Chirico für 40 000 Mark zugeschlagen, Magritte war für einige tausend Mark zu haben. Warum die Aktion dennoch kein rechter Erfolg war, ist schwer zu erklären. Vielleicht war der Zeitpunkt nicht günstig, die Konkurrenz zu groß. Schmela, unterstützt von seiner Frau, hielt gelassen durch und ließ sich keinen Unmut anmerken, aber es blieb bei dieser einen Auktion.

Ein Jahr ist es her, da traf bei schönstem Sommerwetter die gesamte rheinische Kunstwelt, die Künstler, die Sammler, die Händler, die Museumsleute, im Lantzschen Park zusammen. Schmela und seine Frau waren wie stets die generösen Gastgeber. Die hellen Kleider schimmerten unter den Bäumen wie auf einem impressionistischen Gemälde. Noch wirkte Schmela gesund wie eh und je und steckte voller Pläne. In der Erinnerung erscheint uns dieser heitere Sommertag wie eine Abschiedsfeier. Dann wurde es stiller um ihn, man sah ihn seltener, bei den letzten Begegnungen war eine eigne Weisheit zu spüren. Nun hat ihn der Tod allzu früh aus unserer Mitte gerissen. Er hinterläßt viel, aber er hinterläßt auch eine große Lücke.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Feuilleton, 23. Juli 1980