Anna Klapheck Textforum

Die ehemaligen Werkkunstschulen

Bilanz und Ausblick

Die „Werkkunstschule“, hervorgegangen aus dem Zeitgeist nach dem Zweiten Weltkrieg, Nachfolgerin der einstigen Kunstgewerbeschule, gehört der Vergangenheit an, 1971 gingen diese Schulen in den sogenannten „Fachhochschulen“ auf und wurden den Ingenieurschulen gleichgesetzt – eine Entscheidung, die auch an maßgeblicher Stelle heute vielfach bedauert wird. Es gab in der Schlußphase in Westdeutschland 25 dieser Schulen, in der Erinnerung umgibt sie die Aura von Jugend und schöpferischem Impuls.

Der Architekt F. G. Winter, Schüler von Poelzig, war von 1949-1971 Leiter der Werkkunstschule Krefeld, dem ersten Institut, das diesen Namen trug, dessen Anfänge jedoch in Form der alten Kunstgewerbeschule (während der Hitlerzeit als „Meisterschule des Handwerks“ abgestempelt) bis in den Beginn unseres Jahrhunderts zurückreichen. Die Krefelder Schule dient Winter als Modell für einen allgemeinen Rückblick und Ausblick zum Thema „Werkkunstschule“ (F. G. Winter: „Gestalten: Didaktik oder Urprinzip? Ergebnis und Kritik des Experiments Werkkunstschule 1949-71“, Verlag Otto Maier Ravensburg). Das Buch ist kein sentimentaler Epilog, es zieht vielmehr Bilanz, fragt, welche Chancen den Schulen gegeben waren und welche brauchbaren Ansätze aus dem Geleisteten für Gegenwart und Zukunft gewonnen werden können.

Die Werkkunstschulen waren, wenn sie recht verstanden wurden, keine „Schmalspurakademien“ mit dem ehrgeizigen Schielen zur „freien“ Kunst hin, sie waren auch keine „Zubringerschulen“ für andere Bildungsanstalten. Sie zielten hin auf die Integration von Phantasie, handwerklicher Erfahrung und maßvoller Einbeziehung der Technik, zusammenfassend also auf alles das, was man heute unter „Gestalten“ versteht.

„Gestalten“ ist nach Winter ein „Urprinzip“, das dem Menschen innewohnt und über den Weg der Didaktik einem jeden vermittelt werden kann. In einem Erlaß von 1956 werden die Werkkunstschulen ausdrücklich „Gestalterschulen“ genannt. Einige von ihnen hatten sich diesem Ziel bereits angenähert, als das Experiment 1971 abgebrochen wurde, ein Vorgang vergleichbar jenem noch viel folgenschwererem Abbruch des Bauhauses im Jahre 1933.

Eine neue anthropologisch begründete „Gestaltlehre“, so Winter, müsse, nachdem die Schulen diese nicht mehr vermitteln, neu erarbeitet werden, eine Lehre, die in alle Bereiche des Lebens eindringt, Architektur, Design und wissenschaftliche Methodik, Handwerk und eine „mittlere“ Technik verbindet. Im „Zusammendenken“ liege die Lebenschance des „nachmodernen Menschen“.

Wie das verwirklichen? Über das Buch hinaus hat Winter, zusammen mit dem Münchner Architekten Reinhard Riemerschmid, die „Stiftung Pro Creatione“ ins Leben gerufen, sie soll die didaktische Grundlage für kreative Prozesse schaffen. Gedacht ist dabei auch an freiwillige Umwelthilfe, an „Selbsthilfewerkstätten“, in denen, in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern, dem Problem der Arbeitslosigkeit zu Leibe gerückt werden kann, Lehrgänge für Lernbehinderte. Die Stiftung hat in kurzer Zeit überraschend viel Zustimmung bei namhaften Persönlichkeiten aus Politik und Kunst gefunden, Bundespräsident Scheel ließ sich persönlich über das Vorhaben unterrichten. Gedanken werden hier vertreten, wie sie allerorts laut werden; auch an die Beuyssche Idee einer Schule für Kreativität wäre zu erinnern.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Feuilleton. 10. Januar 1978