Anna Klapheck Textforum

Schrittmacher der Romantik

Über J. J. Winckelmann

Seit Beginn dieses Jahres reist eine Ausstellung durch einige Museen der Vereinigten Staaten, die Kunde von der einstigen Düsseldorfer Kunstakademie nach Amerika bringt. Vereinbart wurde sie von dem Düsseldorfer Museumsleiter Dr. Wend von Kalnein und dem Direktor des High Museum of Art in Atlanta, Georgia, Gudmund Vigtel. Vigtel besuchte 1970 auf einer Reise durch deutsche Museen auch die Düsseldorfer Sammlungen. Sein Interesse galt hier besonders den Düsseldorfer Malern, die im 19. Jahrhundert junge amerikanische Kunstschüler ausgebildet hatten. Eine Gegenüberstellung von Arbeiten der Lehrenden und der Lernenden versprach vielseitige Aufschlüsse.

Wend von Kalnein erklärte sich bereit, eine größere Anzahl von Aquarellen und Zeichnungen Düsseldorfer Künstler als Leihgabe nach Amerika zu schicken; in Amerika wurde eine Auswahl von Blättern amerikanischer Künstler zusammengestellt, und zwar ausnahmslos von solchen, die in Düsseldorf studiert hatten. Große amerikanische Institute, u.a. das Metropolitan Museum New York, die Kongreßbücherei Washington, die Harvard-Universität, stellten Leihgaben zur Verfügung. Ein besonderer Kenner der amerikanischen Kunst des 19. Jahrhunderts, für die heute, ähnlich wie in Europa, ein ungewöhnliches Interesse besteht, Donelson F. Hoopes (Los Angeles), wurde zur Mitarbeit herangezogen; er schrieb den klaren und instruktiven Beitrag zum englisch abgefaßten Katalog: „The Düsseldorf Academy and the Americans“. Von deutscher Seite unterrichtet Wend von Kalnein über die Akademie.

Das „goldne Zeitalter“ der Düsseldorfer Akademie begann 1826 mit der Berufung Schadows zu ihrem Leiter. Bald gewann das Institut internationalen Ruhm; besonders aus Skandinavien strömten ihm die Schüler zu. Ihnen folgten die Amerikaner. In den vierziger Jahren setzten wahre „Pilgerfahrten“ junger amerikanischer Künstler nach Düsseldorf ein; man erwartete dort die Summe von allem, was die Amerikaner im Reich der Malerei damals für bewundernswert hielten.

Als erster wichtiger amerikanischer Künstler kam 1841 Emanuel Leutze nach Düsseldorf; er war von deutscher Herkunft, aber schon als Kind nach Amerika verpflanzt worden. 14 Jahre blieb er, mit einigen Unterbrechungen, in Düsseldorf, erst als Schüler Lessings, dann als selber Lehrender. Von Lessing übernahm er die Vorliebe für das große Historienbild und die Landschaft; für beides bringt die Ausstellung, wie dem reich bebilderten Katalog zu entnehmen ist, charakteristische Beispiele. Sie enthält auch eine erste Skizze für Leutzes berühmtes Bild „Washingtons Übergang über den Delaware“, das heute dem New Yorker Metropolitan Museum gehört.

Das Bild entstand noch in Düsseldorf. Leutzes Atelier, so wird berichtet, war eine große Halle, in der sechs Künstler bequem arbeiten konnten. Hier trafen sich vor allem die Amerikaner, die das Fortschreiten der Arbeit verfolgten und darüber nach Amerika berichteten. Leutzes Freund Johnson kopierte das Bild in verkleinertem Maßstab; nach dieser Kopie wurde ein Druck angefertigt, der in ganz Amerika Verbreitung fand.

Leutzes Bild ging in Amerika schon ein beachtliches Renommee voraus, ehe es 1851 dann selber eintraf. Leutze war sicher auch derjenige, durch den das Interesse für die Düsseldorfer Malerei in weite Kreise Amerikas drang. Im Jahre 1849 wurde in New York eine „Düsseldorf Gallery“ eröffnet. Die Bilder, besonders die von Hasenclever, wurden in der Presse enthusiastisch gefeiert; die neuen Sujets, die technische Perfektion wurden bewundert. Die Galerie galt als eine der besten Sammlungen, die je in den Staaten zu sehen waren. Sie bestand bis 1862. Als die Bewunderung für die Düsseldorfer Schule dahinschmolz, wurde der Rest schließlich versteigert.

Neben Lessing und Leutze beeinflußten vor allem Andreas Achenbach, Hasenclever, Sohn, Preyer die jungen Amerikaner. Manche persönliche Freundschaft wurde geknüpft, gemeinsam ging es mit dem Skizzenbuch hinaus in Düsseldorfs Umgebung. Der Maler Whittredge unternahm mit Lessing eine Reise in den Harz. Zwischen den Blättern der Amerikaner und denen der Deutschen gibt es einen erstaunlichen Gleichklang.

Früh wurde freilich bei den Amerikanern auch schon Kritik an der Düsseldorfer Kunst wach. Aus den Memoiren, die einige Amerikaner schrieben, und aus erhalten gebliebenen Briefen sind wir über alle diese Wandlungen genau informiert. Man fand die Düsseldorfer Bilder, besonders die der Historien- und Genremalerei, theatralisch, erstarrt, zu routiniert. Man vermißte, bei aller Detailtreue, die wirkliche Lebensnähe. So kam es, daß die Amerikaner seit den sechziger Jahren mehr und mehr ausblieben oder nur auf der Durchreise Düsseldorf berührten. In München bei Leibl und später in Paris bei Courbet und Manet fanden sie weit mehr das, was sie suchten.

Die Beziehungen zwischen Amerika und der Düsseldorfer Akademie blieben eine Episode. Für die amerikanischen Künstler, die in jungen Jahren in Düsseldorf gelebt und studiert hatten, bedeutete diese Zeit jedoch eine bleibende Verbindung zu den Traditionen der Alten Welt und ein Ausbrechen aus dem eignen Provinzialismus in internationale Weite.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post, 10. März 1973