Hulda Pankok Textforum

Huldigung für Hulda Pankok

Die Mitstreiterin Otto Pankoks wurde 90 Jahre alt

Als Hulda Pankok zur Feier ihres 90. Geburtstages im Düsseldorfer Stadtmuseum ans Rednerpult trat, wurde es mäuschenstill im großen Saal. Auch die Neunzigjährige hatte nichts von der kaum zu definierenden Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit verloren. Die kleinen Episoden, die sie zwanglos aus ihrem Leben an der Seite ihres Mannes Otto Pankok erzählte, das ohne Bruch doch zugleich auch ganz ihr eigenes war, sind Hinweise auf eine Gemeinsamkeit im Geist und Schaffen, bei der Geben und Nehmen sich auf den Waagschalen austauschten. „Ich habe nicht in seinem Schatten, sondern in seinem Licht gestanden“ – wer das sagt als Frau, muß sehr stark sein, sicher in sich ruhend, wie Hulda Pankok.

So sind Menschen, „die noch ganz bei sich selbst sind“, wie sie der Maler, Zeichner und Graphiker, der Bildhauer und Schriftsteller, der Düsseldorfer Akademieprofessor Otto Pankok liebte und überall suchte und fand: bei den Zigeunern im Düsseldorfer Heinefeld, mit denen er jahrelang lebte, den einfachen Menschen in den noch nicht zivilisationskranken Landstrichen Europas, den Fischern, Hirten, Handwerkern, Tagelöhnern in Jugoslawien, der Bretagne, Spanien und anderswo; den Juden, den Verfolgten der Nazidiktatur, zu denen auch Otto und Hulda Pankok gehörten. In Wort und Werk haben beide die Botschaft der Humanität unter die Menschen getragen. Aber nicht nur das: sie haben sie auch gelebt, haben danach gehandelt und dafür gelitten. Leben und Werk waren eins.

Immer wenn man auch heute nach Haus Esselt kommt, jenem ganz der Natur anheim gegebenen, mit ihr verwachsenen, noblen und schlicht bäuerlichen alten Herrensitz bei Hünxe-Drevenack, wo Otto Pankok mit Frau und Tochter Eva, der Malerin, seit seiner Pensionierung 1958 bis zu seinem Tod 1966 lebte, fühlt man sich geborgen. Alles kommt da, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, ins rechte Lot. „Bei uns werden die Menschen alle wieder natürlich, und jeder kann so sein wie er ist – er braucht keine Maske.“ Dieses Wort Hulda Pankoks zitierte Carl Lauterbach, der alte, treue Freund der Familie, in seinem Festvortrag.

Ja, so ist es. Hulda und Otto Pankoks Vermächtnis ihrer Gemeinsamkeit lebt weiter, wird bewahrt und gepflegt im Otto-Pankok-Museum, das seine Witwe und Tochter mit Hilfe der Otto-Pankok-Gesellschaft 1968 in einem Wirtschaftsgebäude von Haus Esselt, dem ehemaligen Atelier des Künstlers, eröffneten. Es wurde 1977 in eine Stiftung an das Land Nordrhein-Westfalen eingebracht. Jährlich kommen viele Tausende von Menschen in dieses Refugium, aus allen Himmelsrichtungen und über Grenzen hinweg. Sie empfinden das Heilende in diesem Stückchen Welt, in dem man die so verblüffend einfache Formel für die Lösung kompliziertester Spannungen und Probleme individueller oder auch gesellschaftlicher, politischer Art gefunden hat: Menschlichkeit. Hier ist sie nicht nur Phrase, sondern Lebensbedürfnis.

Die Kraft, das zu wollen und zu schaffen, kam dem Künstler und Menschen Otto Pankok und der einstigen Journalistin und Feuilletonistin, der Schriftstellerin und späteren Gründerin und Inhaberin des Düsseldorfer Drei-Eulen-Verlages Hulda Pankok, aus einem leidenschaftlichen und tiefen Einssein mit der Natur, die auch im Wesen des Menschen, seinen Leiden und Freuden, seinem Schicksal wirksam ist. Lange bevor diese Erkenntnis wieder zum Allgemeingut geworden ist, hat Otto Pankok in Werk und Wort auf ihre drohende fortschreitende Zerstörung und ihre notwendige, dem Leben dienende Bewährung hingewiesen. Keine Idylle ist da gemeint, auch kein Wildwuchs, kein Chaos, sondern ein Einswerden von Natur und Humanität. „Kein Gesetz, auch das beste nicht, kann die Liebe ersetzen“, hat Otto Pankok einmal gesagt.

Hulda Pankok, als Tochter eines Lehrers aus Passion und einer Theaterkritikerin am 20. Februar 1895 in Bochum geboren, jüngere Schwester des späteren Düsseldorfer Verlegers und Begründers der Zeitung „Der Mittag“, hat ihren Mann nach ihrer Ausbildung als Bibliothekarin, nach Studien in Literatur, Kunst, Philosophie und Nationalökonomie in Düsseldorf kennengelernt und 1921 geheiratet. Sie teilte Pankoks frühe wilde Jahre als engagierter Mitbegründer des Jungen Rheinland, war selbst als Theaterkritikerin im Düsseldorfer Kulturleben aktiv, schrieb auch über Frauenfragen. Bis zu seinem Verbot 1934 gehörte sie dem Vorstand des Bundes der Mütter und Erzieherinnen an, der sich für Völkerverständigung und Schüleraustausch über die Grenzen hinweg einsetzte.

Hulda und Otto Pankok wurden zum Mittelpunkt eines lebenslangen großen Freundeskreises. Carl Lauterbach erinnerte sich an die Geburtstagsfeste im Haus an der Brend’amourstraße 65 in Oberkassel, wo sich auch Louise Dumont, Gustav Lindemann, Herbert Eulenberg, die Bildhauerin Eva Brinkmann, der Komponist Karl-Ludwig Müller (der Gedichte Otto Pankoks vertonte), der Radierer Werner von Scheidt und seine Frau, die Dichterin Martha Saalfeld, trafen; Theo Champion auch, Werner Gilles, der Schul- und Jugendfreund Pankoks, oder Hannes Küpper aus Essen, der Herausgeber des „Scheinwerfer“.

Als die goldenen zwanziger Jahre in die braunen dreißiger mündeten, gerieten auch Otto Pankok und seine Frau in die Mühlen der Zeit. Hulda Pankok wurde 1936 das Reden und 1938 jede schriftstellerische Tätigkeit verboten. Die damals verfemte, nahezu 60 Kohlebilder umfassende „Passion“ Otto Pankoks haben Hulda und Eva Pankok im vergangenen Jahr der Stadt Düsseldorf als Dauerleihgabe gestiftet. Sie wird im wiedereröffneten Kunstmuseum in einem eigenen Raum ständig ausgestellt: auch sie eine aus dem Leid der Verfolgung geborene, erschütternde Mahnung zur Menschlichkeit. Der Freundeskreis des Stadtmuseums übergab anläßlich des Geburtstagsempfangs Pankoks Kohlezeichnung „Die scheidende Jüdin“. Gleichzeitig konnte Dr. Manfred Droste, der Neffe der Jubilarin, den ersten Band „Die Holzschnitte“ des im Droste-Verlag erscheinenden kompletten Werkverzeichnisses Pankoks vorstellen.

Yvonne Friedrichs
In: Das Tor, Heft 4/ 1985, 51. Jg., S. 20, 22.