Hulda Pankok Textforum
1934

Mahner und Vorbild: Der Wandsbecker Bote

Zu der neuen Biographie Urban Roedl:
Matthias Claudius: "Sein Weg und seine Welt" (Kurt Wolff-Verlag Berlin)

Herder äußerte sich einmal über den Herausgeber des Wandsbecker Boten: "Das Beste, was ich von neuen Schriften gelesen, sind Blätter und fast nur Reihen von meinem Freunde Claudius, ohne Gelehrsamkeit und fast ohne Inhalt, aber für gewisse Silbersaiten des Herzens, die so selten gerührt werden."

Aber gerade dafür war in der damaligen Zeit – Claudius wurde 1740 geboren – wenig oder gar kein Verständnis vorhanden. Darum wurde der Schriftleiter der in literarischen Kreisen geschätzten Zeitschrift "Der Wandsbecker Bote" auch in der öffentlichen Kritik zuerst sehr mißhandelt. "Die Kritiker würden es nicht getan haben, wenn sie in die Zukunft gesehen hätten", spöttelt Herder, der bei seiner im Grunde ganz anders gearteten Wesensart doch die Herzensreinheit des Wandsbecker Boten erkannte.

In ihm ist der christliche Glaube noch eine reine Herzenssache und eine unangreifbare Gewißheit. Darum gibt es für ihn darüber einfach keine Problematik. Ewig gültig und unantastbar ist für ihn das Religiöse. Dieses Ursprüngliche und Lautere in der Gesinnung des Claudius hat auch Lessing rückhaltlos anerkannt. Und der viel jüngere Matthias erwiderte diese Zuneigung durch restlose Bewunderung für den Dichter der "Minna von Barnhelm" und für den Verfasser des "Laokoon". Er erkennt auch die überlegene Klugheit dieses Kritikers an, ja, er verehrt direkt diese Lessingsche Persönlichkeit – aber seine problematische Einstellung zu religiösen Fragen schmerzt ihn tief. Wohl sieht er ein, daß die alten religiösen Formen von den Herrschenden zum Teil nur hochgehalten wurden des eigenen Vorteils willen. Dieses Unwahre mußte auch nach seiner Meinung bekämpft werden, aber doch nur durch die Wiederherstellung des Menschen - als Ebenbild Gottes.

Diese Beziehung wieder herausstellen, darin sah Claudius seinen schriftstellerischen Beruf. Seine Meisterschaft der Form ermöglichte ihm, sich auch dem Ungelehrten verständlich zu machen und seine Ursprünglichkeit und seinen Humor walten zu lassen, und selbst von den erhabensten und heiligsten Dingen redete er so erdennah und prunklos feierlich wie keiner sonst in seiner an großen Geistern nicht armen Zeit. Selbstverständlich erwuchsen ihm dadurch auch Feinde und Widersacher, denn nicht alle erkannten den Wert von philosophischen Betrachtungen, die ohne persönlichen Zank waren, und die Güte einer Lyrik, die ohne Pikanterie war.

"Was für ein sonderbarer Parteigänger ist das", so sagt der Biograph, "der es mit den Gelehrten und freien Geistern hält und zugleich aller Zweifelsucht das Wort Christi als letzte Wahrheit entgegensetzt; der den Geisterseher Swedenborg vor den überlegenen Skeptikern in Schutz nimmt und den Weg zwischen der Skylla der religiösen Schwärmerei und der Charybdis der Dogmatik mitten durch – leicht und zugleich schwerer als die berufene Nordwestpassage – sucht. Das Vaterländische und alles Deutsche begrüßt und besingt er und hält sich doch vorsichtig abseits von den neuen Barden, in denen das Wort "Deutsch" eine Fieberwallung erzeugt."

So sagt sein Biograph – und wahrlich, er hätte sich keinen Besseren selbst aussuchen können. Hier hält verantwortungsvolle Liebe Wache über jede Aussage, die gewichtig ist für das Werk und das Leben des Dichters, das hier so rein vermittelt wird. Und dieses Leben war nicht leicht, denn Claudius nahm seinen Glauben zu ernst und seine Liebe zu heilig, um es sich damit hienieden wohnlich einzurichten. Wer aus ganzem Herzen ja sagen möchte, der wird in dieser Welt der Halbheiten um so öfter aus voller Seele nein sagen müssen; "und je heiliger ihm seine Wahrheit ist und je inniger er sie liebt und bewahrt, umso kämpferischer wird er sich gegen alles und alle stellen...", wenn diese Wahrheit ihm bedroht erscheint. Es lohnt sich schon, das Leben dieses Kämpfers unter der Leitung Urban Roedls kennenzulernen. Es gibt eine hoffnungsvolle tiefinnerliche Bereicherung.

In: Neue Post, 28.03.1934, Nr. 12