Hulda Pankok Textforum
1967

Der künstlerische Auftrag

Man hat den Künstler den Genius genannt. Dieser Name bezeichnet das Überpersönliche, Überindividuelle, und das unbeirrbare Bereitsein eines Menschen, den ihm schicksalhaft zugefallenen künstlerischen Auftrag anzunehmen. Er kann sich ihm nicht entziehen. Sein Ergriffensein hängt ab von einer Macht, die nicht im persönlichen Belieben steht, die sich schenkt oder versagt, die einen auserwählt oder verwirft, nach einem geheimen Gesetz, vor dem unser Wille und die Willkür des Einzelnen hinschmilzt.

Der Künstler ist an seinen Auftrag gefesselt. Wenn wir diesen festlegen wollen, so können wir das nur mit der Aufzählung einzelner Aufgaben: Das Unfaßbare festzuhalten im Bild, für andere zu gestalten, was in diesen sonst ungeformt bliebe und sie sehend zu machen für das wirkliche Leben, das in unserer Zeit so gefährdet ist.

Mut zum Guten

Auf diese Gefahren hinzuweisen ist eine der dringendsten Aufgaben des Künstlers unserer Tage. Jeder weiß wohl, daß eine gute Welt besser ist als eine schlechte, aber beweisen läßt sich dies schwer in einer Zeit wie der unseren, die von Gegensätzen und niederen Leidenschaften erfüllt ist und die eine gemeinsame Untersuchung der fehlerhaften weltlichen Einrichtungen nicht zuläßt. Hier aber bleibt dem Künstler die Möglichkeit, überzeugend auf den Besucher seines Werkes einzuwirken durch Vermittlung des Gefühls, daß er nicht allein ist mit seiner Sehnsucht nach einer besseren Welt. Und damit stärkt und weckt er den Mut zum Guten!

Mut zum Guten! Ja, die Kunst ist abhängig von mutigen Menschen, die ihren Auftrag verantwortungsvoll ausführen und die das Abenteuer riskieren und sich in neu zu erobernde geistige Gebiete begeben, wenn es notwendig wird. Es ist ein Irrtum zu glauben, man könnte sich aus dem üppigen Stilgarten, der sich heute vor uns ausbreitet, eine passende Stilart aussuchen. Diese künstlichen, nicht künstlerischen Blümchen werden keine Früchte des Geistes hervorbringen, an denen unsere Enkel und Urenkel unsere Zeit erkennen können.

Unvergänglichste aller Ausdrucksformen

Jahrtausende haben die Menschen in der Kunst ihre höchsten Empfindungen ausgedrückt. Darum ist sie die unvergänglichste aller Ausdrucksformen. An ihr vermag sich der Mensch über gewesene Epochen und Völker zu orientieren. Sie hat völkerverbindende Kraft in ihrer weiten Ausstrahlung.

Ich selbst durfte das am Ende des letzten Krieges erleben, als die amerikanischen Truppen in unser Eifeldörfchen einzogen, in das uns der Krieg verschlagen hatte. Als Otto Pankok dem verantwortlichen Offizier die bei uns versteckten Verfolgten anvertrauen wollte, da breitete dieser seine Arme aus, um ihn herzlich zu begrüßen und rief: „Pankok, Sie hier?!“ Es war ein kunstinteressierter Amerikaner, der Pankoks Werk liebte. Für uns war dieses Ende des Hitlerdramas ein kleines Wunder. Auch das Eifeldörfchen stand nun unter dem Schutz des Geistes, der aus Pankoks Kunst spricht.

Verantwortung des Künstlers

Die Kultur ist abhängig von der Gemeinschaft der in Ehrfurcht Verbundenen. Darum ist das Erlebnis der Kunst den Menschen so dienlich wie das Erlebnis der Nächstenliebe. Vor einem echten Kunstwerk spüren sie wieder das Gefühl der tiefsten Verbundenheit, die Hölderlin in die dichterischen Worte faßte: „und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewig einigen Welt.“

Der künstlerisch empfindende Mensch bewahrt die Verantwortung der Gesamtheit gegenüber, denn er trägt die Last der Mitverantwortung für die Früchte, deren Saat er mitaussät.

Darum muß er oft zum Unruhestifter werden, wenn er die Welt durch die „Großen“ dieser Erde gefährdet sieht, wie das im Augenblick in Vietnam geschieht. Gefahren ziehen aber nicht nur durch die mörderischen technischen Erfindungen immer wieder auf, sondern auch durch die von bösen Interessen gespeiste Verteufelung, der Menschen ausgesetzt sind, die anders denken, fühlen, andere Hautfarben haben und den einen Gott auf verschiedenen Wegen suchen. Ihr Anwalt muß der Künstler sein. Denn was ihn zum Unruhstifter macht und ihn zur Verantwortung dem Leben gegenüber zwingt, das ist seine ungeteilte Liebe, die der ganzen Schöpfung gehört. Sie bestimmt seine Existenz. Darum ist der heutigen Kunst ein Auftrag gegeben, der darin besteht, den ewigen und unantastbaren Werk des Menschen erkennen zu lassen und mit ihm seine Welt, die gefährdete Natur und die bedrohte Landschaft. Denn die Menschen haben sich die Erde und den Himmel untertan gemacht ohne die Liebe, die sie allein befähigen könnte, die ungeheuerlichen großen technischen Errungenschaften zu meistern und segensreich für alle zu nutzen. Das Erschreckende, das wir nun erleben, ist das wachsende Verzagen vieler Menschen, die an ein Entrinnen nicht mehr glauben und in Angst vor kommendem Unheil leben. Angst aber kann ein Riegel werden vor dem Leid der anderen, das so groß geworden ist, daß man sich verschließen möchte. Diese Erfahrung machten wir in der Hitlerzeit.

Geduld behalten

Darum ist es so wichtig, daß die geistigen Menschen nicht aufhören, vor den Folgen der Lieblosigkeit zu warnen, die unsere Welt wie eine Krankheit befallen hat. Vielleicht haben wir den Höhepunkt der Fieberträume von Macht und Gewalt schon hinter uns. Es dürfte doch nicht verwunderlich sein, wenn die Völker endlich aufwachten nach den vielen erfolglosen Versuchen, mit kriegerischen Mitteln eine Ordnung auf Unfreiheit anderer aufzubauen.

Noch wissen wir nicht, ob die Liebe an Intensität zunimmt und ob sie eines Tages, den wir noch erleben möchten, ans Licht dringt wie der Samen, der in der dunklen Erde verborgen ruht und plötzlich zu sprießen beginnt. Wir müssen Geduld behalten und durchhalten.

In: Frau und Frieden. Monatsschrift für politisch interessierte Frauen, 16. Jg., Juni 1967, S. 11