Anmerkungen zu einer populären Anglizismen-Kritik.

Oder: Von der notwendig erfolglos bleibenden Suche nach dem treffenderen deutschen Ausdruck (1)

Von Thomas Niehr (Oktober 2002)

Inhalt:

  1. Einleitung
  2. Die hinreichende Verbreitung von Anglizismen
  3. Der treffendere deutsche Ausdruck
  4. Die Behinderung zwischenmenschlicher Verständigung
  5. Die Verarmung der deutschen Sprache
  6. Fazit
  7. Fußnoten
  8. Literatur

1. Einleitung

Betrachtet man im Rückblick, welche linguistischen Themen in der jüngeren Vergangenheit die Öffentlichkeit bewegt haben, dann fallen einem vor allem die Rechtschreibreform, die Bestrebungen der feministischen Linguistik, die Klage über den Verfall oder Niedergang der deutschen Sprache und in diesem Zusammenhang auch Bedenken gegen einen übermäßigen Anglizismen-Gebrauch im Deutschen ein. (2) In diesem Zusammenhang werden dann gerne Beispiele wie das folgende zitiert:

Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das [!] future-Denken haben muß. Meine Idee war, die hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann die Sachen, die refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht eben nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils. (3)

Nun ist vielleicht ein derartiges lifestyle-Deutsch relativ neu, die Verwendung von Fremdwörtern und auch die Kritik daran sind es nicht. Vielmehr haben wir in Deutschland eine lange Tradition des Sprachpurismus, die mindestens bis ins 17. Jahrhundert reicht. (4) Als kleines Beispiel für eine historische Kritik an übermäßigem Fremdwortgebrauch mögen hier die Bemerkungen Lessings zur Sprache Wielands stehen:

Denn alle Augenblicke läßt er seinen Leser über ein französisches Wort stolpern, der sich kaum besinnen kann, ob er einen itzigen Schriftsteller, oder einen aus dem galanten Zeitalter Christian Weisens lieset. Licenz, visiren, Education, Disciplin, Moderation, Eleganz, Aemulation, Jalousie, Corruption, Dexterität und noch hundert solche Worte, die alle nicht das geringste mehr sagen, als die deutschen, erwecken auch dem einen Ekel, der nichts weniger als ein Purist ist. (5)

Der Kristallisationspunkt des modernen deutschen Sprachpurismus ist ein 1997 in Dortmund gegründeter Verein, der sich zunächst emphatisch Verein zur Wahrung der deutschen Sprache e.V. nannte, jetzt unter Verein deutsche Sprache (VdS) firmiert. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit für den Anglizismengebrauch zu sensibilisieren und zur Vermeidung bzw. Ersetzung überflüssiger Anglizismen aufzurufen. Dies tut er beispielsweise durch öffentliche Diskussionsveranstaltungen, Preisverleihungen ("Sprachpanscher des Jahres") und eine Reihe von Publikationen. (6)

Die folgenden Ausführungen drehen sich nun nicht um die Fragen, ob wir zu viele Anglizismen verwenden, welche Anglizismen überflüssig seien und ob der Sprachverfall unserer Sprache noch aufzuhalten sei. Vielmehr möchte ich anhand der Ausführungen des Vereins deutsche Sprache untersuchen, welche Sprachkonzeption dessen Überlegungen zugrunde liegt und ob diese Konzeption mit den Erkenntnissen sprachwissenschaftlicher Forschung vereinbar ist.

In einer Pressemitteilung aus dem Jahre 1998 hat der Verein einen übersichtlichen Kriterienkatalog aufgestellt, anhand dessen überflüssige Anglizismen auszumachen seien:

  1. Der englische Ausdruck muß hinreichend weit (nicht nur in der Werbung oder in Fachsprachen) verbreitet sein. Damit entfallen Werbe-Eintagsfliegen wie "wellness" oder "air-conditio­ning" statt Klimaanlage in der Autowerbung [...]
  2. Es muß für den englischen Ausdruck mindestens zwei treffendere deutsche Wörter geben. [...]
  3. Der englische Ausdruck muß die zwischenmenschliche Verständigung behindern. [...]
  4. Der englische Ausdruck muß die deutsche Sprache ärmer machen. (7)

Möglicherweise erscheinen diese vier Punkte auch wegen ihres aufklärerischen Anspruchs auf den ersten Blick plausibel. Die vier Kriterien, die auf semantische und pragmatische Phänomene referieren, offenbaren m.E. jedoch eine problematische oder zumindest unreflektierte Sicht von Sprache und Sprachwandel. Deshalb werde ich sie im Folgenden analysieren, um zu zeigen, dass sie sowohl von falschen Voraussetzungen ausgehen als auch vollkommen untauglich sind, um "gute" von "schlechten" bzw. "gerechtfertigte" von "unnötigen" Anglizismen zu unterscheiden.

2. Die hinreichende Verbreitung von Anglizismen

Der erste Punkt im Kriterienkatalog des VdS besagt, dass ein Ausdruck "hinreichend" verbreitet sein muss, um vom Bannstrahl des Vereins getroffen zu werden. Das scheinbar objektiv messbare Kriterium Verbreitung erweist sich beim konkreten Nachforschen jedoch als nicht operationalisierbar. Denn wie (außer durch persönliche Mutmaßungen) lässt sich die "hinreichende" Verbreitung eines Wortes feststellen? Leider finden sich darüber weder in der zitierten Pressemitteilung noch in den sonstigen Publikationen des Vereins konkrete Angaben. Denkbar wären m.E. quantifizierende Untersuchungen des öffentlichen Sprachgebrauchs anhand von Pressetexten oder aber die Analyse von Wörterbucheinträgen. Beide Methoden führen jedoch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis.

So habe ich zunächst die in der Pressemitteilung des VdS erwähnten Anglizismen event, kids, statement, highlight, service point sowie wellness und air conditioning in den CD-ROM-Jahresausgaben 1998 (dem Jahr der Pressemitteilung) der großen überregionalen Zeitungen suchen lassen. Folgendes Ergebnis trat zutage:

Vorkommen von Anglizismen in der überregionalen Presse (1998)
  FAZ SZ FR taz
event 102 127 110 149
kids 58 289 333 335
statement 37 160 178 104
highlight 25 83 230 79
service point 0 3 4 1
wellness 26 41 19 18
air conditioning 0 2 0 0

Aus dieser Tabelle lässt sich nicht nur ablesen, dass die FAZ zurückhaltender im Gebrauch von Anglizismen ist als die anderen Zeitungen. Bereits auf den ersten Blick erkennt man nämlich auch, dass der Interpretation des VdS offensichtliche Fehleinschätzungen zugrunde liegen. So kommt die als "Eintagsfliege" eingeschätzte Vokabel wellness zwar nicht so häufig vor wie die übrigen Anglizismen, jedoch wesentlich häufiger als service point. (8) Der geschmähte service point findet sich nur äußerst selten in den überregionalen Medien, und zwar teilweise in Berichten, die ihrerseits die verfehlte Terminologie der Deutschen Bundesbahn kommentieren. Möglicherweise müsste man also zusätzlich noch Werbematerialien und den offiziellen Sprachgebrauch der Bahn AG analysieren, um hier verlässliche Zahlen zu bekommen. Aber selbst, wenn man dies alles zusätzlich berücksichtigte, dann sagen solche Zahlen natürlich noch nichts über die "hinreichende" Verbreitung aus: ab welcher Größenordnung diese erreicht sein soll, bleibt nämlich nach wie vor ins Ermessen des jeweiligen Sprachkritikers gestellt. (9)

Wählt man nun den anderen Weg und schlägt die in der Pressemitteilung des VdS genannten Anglizismen im einbändigen Duden-Universalwörterbuch aus dem Jahre 2001 nach, so findet man sie dort mit Ausnahme des service point allesamt verzeichnet. (10) Dies scheint ihre hinreichende Verbreitung zu dokumentieren. Die als Gegenbeispiele und "Werbe-Eintagsfliegen" apostrophierten Wörter wellness und air-conditioning sind allerdings ebenso verzeichnet, so dass auch die Befragung der Wörterbücher zur Beantwortung der Frage nach "hinreichender" Verbreitung entweder keine rechte Auskunft zu geben scheint oder aber die Einschätzung des VdS konterkariert.

Es ergibt sich also aus beiden Verfahren die Konsequenz, dass der VdS kein plausibles Kriterium dafür benennen kann, wann die Verbreitung von Anglizismen so weit fortgeschritten ist, dass über ihre Ersetzung nachzudenken sei.

3. Der treffendere deutsche Ausdruck

Auch das unter Punkt zwei des Katalogs genannte Kriterium, nämlich die Rede von zwei treffenderen deutschen Ausdrücken, erweist sich als problematisch, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund liegt in der Nichtunterscheidung von langue und parole, von lexikalischer und aktueller Bedeutung. Ob ein Ausdruck treffend, d.h. der Sache, auf die referiert werden soll, angemessen ist, (11) das kann jeweils nur in einer speziellen Situation entschieden werden, genauer: ob die Verwendung eines sprachlichen Zeichens in einer bestimmten Situation angemessen ist, müssen die Sprecher von Fall zu Fall einschätzen und entscheiden. Das heißt aber auch, dass für ein Lemma im Wörterbuch, für eine Einheit der langue also, prinzipiell nicht sinnvoll gefragt werden kann, ob es treffend sei, ob es treffendere Alternativen gebe etc. Dies liegt daran, dass die Einheiten der langue, also auch Wörterbucheinträge nicht auf bestimmte Dinge referieren, sondern lediglich Möglichkeiten darstellen, mittels derer die Sprecher auf Dinge referieren können. (12)

Ein weiterer Einwand muss gegen die Rede vom "treffenden" Ausdruck geltend gemacht werden. Diese Ausdrucksweise nämlich suggeriert eine strikte Trennung von sprachunabhängig bestehenden Dingen der Objektwelt auf der einen, Wörtern zu ihrer Benennung auf der anderen Seite. Innerhalb einer solchen ontologisierenden Sichtweise besteht dann die Aufgabe eines Sprechenden darin, für die unabhängig existierenden Dinge in der Welt die passenden Benennungen auszuwählen. Je nachdem wie geschickt der Sprecher seine Auswahl trifft, kann man von einem mehr oder weniger treffenden Ausdruck sprechen. In der Linguistik herrscht demgegenüber weitgehend Einigkeit darüber, dass Sprache wirklichkeitskonstitutiven Charakter hat, dass wir unsere Welt mittels Sprache erschaffen oder zumindest strukturieren: "Das System unserer Begriffe ist kein Spiegel der Welt, sondern ein Spiegel unserer Auseinandersetzung mit der Welt." (13) Ist eine sprachunabhängige Erkenntnis demnach nicht möglich, dann ist uns allerdings auch die Möglichkeit genommen, "richtige" von "falschen" Wörter zu unterscheiden. Unabhängig von einer konkreten Situation, von einer Auseinandersetzung um die "richtige" Sicht der Dinge macht es keinen Sinn, einzelne Wörter als richtig oder falsch, als treffend oder nicht treffend zu charakterisieren. Anders formuliert: ein Eintrag in einem Wörterbuch kann weder falsch noch richtig sein, in einer konkreten Situation dagegen muss aus der Fülle der Wörterbucheinträge eine den Kommunikationszielen des Sprechers oder Schreibers möglichst adäquate Form ausgewählt werden; hier gibt es stets mehr oder minder passende Möglichkeiten. Und die Meinungen darüber, was jeweils passend und angemessen ist oder nicht, differieren mitunter ganz erheblich. Verdeutlichen kann man dies an politischen sprachbezogenen Auseinandersetzungen etwa über Baader-Meinhof-Gruppe vs. –Bande oder großer Lauschangriff vs. akustische Raumüberwachung mit richterlicher Genehmigung (so die versuchte Sprachregelung des damaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl). Die mit diesen Vokabeln verbundenen öffentlichen Debatten machen deutlich, dass erstens ein solcher "Streit um Wörter" meist interessegebunden ist und zweitens die unterschiedlichen sprachlichen Bezeichnungen als Mittel zum (politischen) Zweck dienen. Außerhalb einer Kontroverse um die Beurteilung bestimmter Sachverhalte (man könnte deshalb auch sagen: Problemverhalte), außerhalb einer konkreten Kommunikationssituation macht es keinen Sinn, jeweils eine Variante der antagonistischen Wortpaare bzw. Syntagmen zu bevorzugen, für mehr oder weniger "treffend", für "richtig" oder "falsch" zu erklären. (14)

Dass abgesehen von diesen theoretischen Erwägungen auch die praktische Umsetzung nicht gelingt, zeigen die in der Pressemitteilung des VdS vorgeschlagenen Alternativen. Für den Anglizismus kids beispielsweise werden als treffendere deutsche Wörter vorgeschlagen: Kinder, Kleine, Jugendliche, Gören, Rangen.

Ein linguistisches Verfahren, um Synonymität, Bedeutungsgleichheit in allen Kontexten festzustellen, besteht darin, innerhalb eines bestimmten Kontextes ein Wort durch ein anderes Wort zu ersetzen. Wenn beide Wörter denotativ und konnotativ identisch sind, können sie in allen Kontexten ausgetauscht werden, ohne dass sich eine Bedeutungsveränderung ergibt. Gerne zitierte Beispiele für Synonymie sind anfangen / beginnen und Apfelsine / Orange. Dass die vorgeschlagenen Alternativen zu kids dieses Kriterium –- selbst wenn man es äußerst großzügig auslegt -– nicht erfüllen, zeigt bereits ein Blick in ein gutes Wörterbuch (Duden 2001). Kids wird dort nämlich als Jargon-Ausdruck gekennzeichnet. Vor allem ist hier wohl an die Sprache der Werbung und an eine sich als "jugendlich" und "modern" verstehende Sprache zu denken. Diese Einschränkung bzw. Besonderheit der Verwendungsweise kommt den Wörtern Kinder, Kleine, Jugendliche nun gerade nicht zu. Sie sind vielmehr standardsprachliche Varianten, die durchaus auch in "offiziellen" Texten (z.B. von Behörden) verwendet werden, aber eben nicht werbewirksam eingesetzt werden können. Dass auch Gören bzw. Rangen nicht synonym zu kids verwendet werden kann, hängt mit einem anderen Phänomen zusammen. Gör (meist im Plural verwendet) stammt laut dem bereits zitierten Duden Universalwörterbuch aus dem Niederdeutschen und bedeutet ursprünglich "kleines hilfloses Wesen". Im heutigen Deutsch hat es zwei Bedeutungen, die beide eine pejorative Komponente haben, nämlich 1. "schmutziges, unartiges Kind" und 2. "vorwitziges, freches kleines Mädchen". Dass auch dies dem eher positiv konnotierten kids nicht entspricht, dürfte deutlich sein. Range schließlich, in dem wir das mhd. rangen (= sich hin und her winden) wiederfinden, wird im Duden-Wörterbuch als "lebhaftes Kind, das aus Übermut gern etwas anstellt" umschrieben. Erstaunt sein kann man hier allerdings, dass es in diesem modernen Wörterbuch noch nicht als "veraltet" gekennzeichnet ist. Ich zumindest wage die Prognose, dass die kids von heute nicht wissen, was Range bedeutet. Dass dieses Wort uns heute etwas altertümlich anmutet, macht einen entscheidenden Unterschied zu kids aus, das ja geradezu Modernität und Trendbewusstsein (beim Sprecher wie bei den mit dem Wort bezeichneten Kindern) signalisieren soll. (15) Diese auf Wörterbucheinträgen basierenden Überlegungen zur Semantik von kids und seinen deutschen Pendants kann man übrigens auch durch schlichte Einsetzproben illustrieren. Ich habe mir zu diesem Zweck noch einmal die CD-ROM-Ausgabe der FAZ des Jahres 1998 (dem Jahr des Pressemitteilung des VdS) angesehen. Aus den insgesamt 58 vorkommenden Texten mit kids habe ich willkürlich zwei ausgewählt, die zeigen können, dass die Ersetzung von Anglizismen häufig nicht ohne Bedeutungsveränderung möglich ist. In einem Artikel, in dem es um Weihnachten, genauer: um Musikanlagen als Weihnachtsgeschenke für Kinder geht, heißt es:

Ein Wort an alle Erziehungsberechtigten –- und zugleich an alle, die lange nicht mehr vor einer richtig guten HiFi-Anlage gesessen haben: Die Kids in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art, bestehend aus soliden Einzelkomponenten und passenden, gestandenen Lautsprechern, und schwören auf kompakte, komplette Rundum-glücklich-Pakete, die dann auch gleich noch den Vorzug haben, wenig zu kosten. (FAZ 08.12.1998)

Führt man nun die bereits oben geschilderte Probe auf Synonymität durch, dann ergeben sich die folgenden Sätze:

  1. Die Kinder in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art.
  2. Die Kleinen in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art.
  3. Die Jugendlichen in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art.
  4. Die Gören in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art.
  5. Die Rangen in der Familie haben nur noch wenig Sinn für HiFi der behäbigen Art.

Keiner dieser Sätze trifft genau die Bedeutung des Originals, und zwar wegen der oben beschriebenen semantischen Unterschiede. Insbesondere die Sätze 2, 4 und 5 scheiden intuitiv sofort aus. Doch auch in den Sätzen 1 und 3 werden andere Bedeutungsnuancen aktiviert als im Originalsatz. Dies liegt daran, dass Kinder ein allgemeinerer Begriff ist als kids, während Jugendliche stärker auf eine bestimmte Altersgruppe referiert (16) als kids. Außerdem sind beide Wörter im Gegensatz zu kids konnotativ neutral, so dass sie wenig "werbetauglich" erscheinen. Dementsprechend heißt es beispielsweise in einem Bericht über eine neue Spielekonsole der Firma Microsoft in der Zeit:

Schon der Begriff "Kind" ist schlecht fürs Geschäft. Das K-Wort wirkt abschreckend und vor allem uncool. (Die Zeit v. 14.03.2002, S. 45)

Deutlich werden die Unterschiede auch beim folgenden Beispiel, in dem ein Kompositum mit kids vorkommt. In diesem Text geht es um Computer, die an die Bedürfnisse von Kindern angepasst sein sollen oder anders ausgedrückt um eine Strategie der Computer-Industrie, Eltern einzureden, dass auch schon Kleinstkinder Computer benötigen (die dann offensichtlich auch noch im Zwei-Jahres-Rhythmus erneuert werden müssen):

Neue Zielgruppen werden durch die Genius-Mini-Familie angepeilt, die bereits für einjährige Kinder gedacht sind: Durch einfache manuelle Aktionen wie Drücken und Schieben soll die Feinmotorik der Kleinsten herangebildet werden. Auch diese Geräte suggerieren optisch Ähnlichkeit zum Notebook-PC. Mit der Kids-Baureihe soll das Kindergartenalter von etwa dreieinhalb Jahren an erste Erfahrungen mit Buchstaben und Zahlen sammeln; die Junior-Reihe schließt sich als Angebot für Kinder von fünf Jahren an. (FAZ 30.06.1998)

Die Einsetzung der deutschen Alternativen funktioniert hier teilweise nur durch Umschreibungen wie die Sätze 7 und 8 verdeutlichen.

  1. Mit der Kinder-Baureihe soll das Kindergartenalter von etwa dreieinhalb Jahren an erste Erfahrungen mit Buchstaben und Zahlen sammeln
  2. *Mit der Kleinen-Baureihe [Baureihe für die Kleinen] soll das Kindergartenalter von etwa dreieinhalb Jahren an erste Erfahrungen mit Buchstaben und Zahlen sammeln.
  3. *Mit der Jugendlichen-Baureihe [Baureihe für Jugendliche] soll das Kindergartenalter von etwa dreieinhalb Jahren an erste Erfahrungen mit Buchstaben und Zahlen sammeln.
  4. Mit der Gören-Baureihe soll das Kindergartenalter von etwa dreieinhalb Jahren an erste Erfahrungen mit Buchstaben und Zahlen sammeln.

Offensichtlich wird auch durch diese Beispiele, dass ein bloßes Ersetzen von Anglizismen teilweise nur mit Bedeutungsveränderung möglich ist. Die Sätze 7 und 8 zeigen zudem, dass manche Anglizismen die ökonomische Bildung von Komposita ermöglichen, die den deutschen Pendants nicht zukommt. Außerdem verdeutlichen die Sätze 9 und 10, dass der Kontext nicht zu vernachlässigen ist. Sowohl Gören-Baureihe (negativ konnotiert) wie auch Rangen-Baureihe (veraltet) sind deshalb weder in einem aktuellen Zeitungstext noch in einem modernen Werbeprospekt denkbar. Zuzustimmen ist in diesem Zusammenhang Angelika Linke (2001:375), die zusammenfassend bemerkt: "[...] wenn man im Deutschen von ,Kids‘ redet, meint man also letztlich etwas anderes, als wenn man einfach von ,Kindern‘ oder ,Jugendlichen‘ sprechen würde“ – von ,Kleinen‘, ,Gören‘ oder ,Rangen‘ ganz zu schweigen."

4. Die Behinderung zwischenmenschlicher Verständigung

Ich komme damit zum dritten Kriterium, das in der Pressemitteilung des VdS durch ein Beispiel verdeutlicht wird:

Wenn Fahrgäste auf deutschen Bahnhöfen dreimal vergeblich zum Service Point gerufen werden, bis dann beim vierten Aufruf die Bitte zum Erscheinen bei der Auskunft von Erfolg begleitet wird (so beobachtet auf dem Hauptbahnhof von Hannover), darf man sich durchaus fragen, wen die Benutzer solcher Anglizismen eigentlich ansprechen wollen [...] (Pressemitteilung; vgl. Anm. 7)

Man darf sich natürlich auch durchaus fragen, ob dieses Beispiel tatsächlich belegt, dass service point die zwischenmenschliche Verständigung behindert. Dass eine mögliche Alternative zu diesem Wort Information lauten soll, entbehrt ebenfalls nicht einer gewissen Pikanterie, zumindest wenn dieses Wort als "deutsches Wort" durchgehen soll. Immerhin scheint es mir im Sinne einer sich als emanzipatorisch verstehenden Sprachkritik plausibel, dass man darüber nachdenkt, Wörter zu vermeiden, die die Verständigung behindern. Dabei darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass Verständlichkeit wohl selten alleiniges Prinzip unser Äußerungen sein dürfte. Die Art unseres Sprechens ist von hohem Prestigewert und Sprecher bzw. Schreiber möchten folglich nicht nur verstanden werden, sondern beispielsweise gleichzeitig anderen Menschen imponieren, indem sie sich als gebildet, überlegen, witzig, amüsant usw. zu erkennen geben. (17) Dabei leisten ihnen heutzutage Anglizismen ausgezeichnete Dienste – während eine feudal-großbürgerliche Oberschicht bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts v.a. Entlehnungen aus dem Französischen als standesgemäß erachtete. Der Gedanke, dass menschliche Kommunikation nicht ausschließlich an optimaler Verständlichkeit ausgerichtet ist, findet sich übrigens schon andeutungsweise bei Wieland, der im Hinblick auf Adelungs Sprachpurismus bemerkt:

Nach Herrn Adelung ist die Verständlichkeit die einzige Absicht der Sprache: "... Hätte er gesagt die erste, so wäre nichts dagegen einzuwenden: daß sie die einzige sey, wird ihm kein Dichter zugestehen. Der will und soll mit seiner Sprache noch viele andre Absichten erreichen." (18)

Ergänzen möchte man: Verständlichkeit ist nicht einmal unbedingt die erste Absicht der Sprache bzw. Sprecher – und das gilt nicht nur für Dichter. Eingeschränkte oder mangelnde Verständlichkeit – so möchte man andererseits dem VdS sagen – ist keineswegs auf Anglizismen beschränkt. Sie kann durch Fremdwörter aber beispielsweise auch durch die fachsprachliche Verwendung von „alltagssprachlichen“ Wörtern hervorgerufen werden – man denke an Vokabeln wie Diät in medizinischer oder Besitz in juristischer Fachsprache. Dass allerdings auch die gewaltsame Eindeutschung etablierter Fremdwörter – aktuelle Beispiele wären "Übersetzungen" des Typs Prellsack statt airbag, Geräuschkarte statt Soundkarte oder gar Hellraumprojektor bzw. Tageslichtschreiber statt Overheadprojektor wie sie im Wörterbuch überflüssiger Anglizismen zu finden sind –- dass derartige "Nicht-Fremdwörter" keineswegs zur herbeigesehnten "Identität von Rede und Gegenstand" (sondern eher zu Verständnisschwierigkeiten) führen, das hat Adorno schon angedeutet. (19) Und lange vorher –- im 19. Jahrhundert –- war Karl Christian Friedrich Krause mit seinen schlicht unverständlichen "Übersetzungen" bereits kläglich gescheitert. (20)

Weiterhin ergibt sich an diesem Punkt eine methodische Schwierigkeit, die auf der Nicht-Unterscheidung von Semantik und Pragmatik beruht. Genau so wenig wie Wörter lügen können oder als Wörter unmenschlich sein können – das hat die Sprachwissenschaft spätestens in den 60er Jahren aus der Beschäftigung mit dem Wörterbuch des Unmenschen gelernt (21) – genau so wenig kann man einzelnen Wörtern ohne Kontext vorwerfen, sie behinderten die Verständigung. Dies können sie allenfalls in einer konkreten Situation. (22) Ebenso wie ein medizinischer Fachausdruck in der Arzt-Patienten-Kommunikation hinderlich sein kann, so kann seine laienhafte Umschreibung auf einem Ärzte-Kongress befremdlich wirken und kontraproduktiv sein. Für das vom VdS angeführte Beispiel service point gilt dementsprechend: die Wahrscheinlichkeit, dass ausländische Reisende das Wort Auskunft verstehen, ist geringer, als dass sie das inkriminierte service point richtig deuten. Am wenigsten problematisch ist in solchen Fällen allerdings wohl die Verwendung von Internationalismen (und nicht: Anglizismen) wie Information. (23)

5. Die Verarmung der deutschen Sprache

Ich komme damit zum vierten Punkt des Kriterienkatalogs, der besagt, dass die deutsche Sprache ärmer werde durch die Verdrängung bzw. Ersetzung deutscher Wörter. Zu fragen ist natürlich, ob die deutsche Sprache nicht auch reicher werde, indem sie Wörter aus anderen Sprachen aufnimmt und integriert. (24) Man denke beispielsweise an Wörter wie Film, Gully, Keks, Pullover, Schal, Straps oder Tank, die heute kaum noch ein Sprecher des Deutschen als Anglizismen klassifizieren würde. Inwieweit nämlich englische Wörter tatsächlich bedeutungsgleiche deutsche Vokabeln -– so es sie überhaupt gibt –- verdrängen, lässt sich in einer synchronen Betrachtungsweise nicht eruieren, sondern müsste in einer diachronen Studie erforscht werden. (25) Gerade bei den inkriminierten relativ "neuen" Anglizismen ist dies jedoch schwerlich möglich. Außerdem sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass auch Anglizismen nicht davon ausgenommen sind, irgendwann im Deutschen nicht mehr verwendet zu werden, darin unterscheiden sie sich nicht von beliebigen anderen Wörtern. Gerhard Stickel hat anhand der Schrift "Wider die Engländerei in der deutschen Sprache" von Hermann Dunger, die 1899 in erster, zehn Jahre später in zweiter Auflage erschien, eine Fülle von Anglizismen aufgelistet wie beispielsweise Supper, Diner, Grill-room, Garden-Party, Five o’clock tea, die seinerzeit Gegenstand sprachpflegerischer Kritik waren, heute aber im Deutschen nicht mehr verwendet werden. (26)

Dass im übrigen jeder Sprachzustand ein Nebeneinander von Altem und Neuem ist und dass v.a. Neues nicht Altes sozusagen automatisch verdrängt oder ersetzt, das hat die Sprachgeschichtsschreibung inzwischen gezeigt. (27) Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang noch angemerkt, dass in einer diachron angelegten Studie zwar möglicherweise das "Verschwinden" einzelner Wörter nachgewiesen werden könnte, dass aber die Erforschung der Ursachen damit noch keineswegs geleistet wäre. Eine solche Ursachenforschung dürfte methodisch jedoch äußerst heikel sein und sollte nicht vorschnell monokausalen Erklärungen folgen. (28) Übrigens: das eben erwähnte Nebeneinander von Altem und Neuem in der Sprache können Großeltern wie Eltern ein klein wenig am eigenen Leibe erfahren, wenn sie sich mit ihren Enkeln bzw. Kindern unterhalten: was die eine Generation möglicherweise als dufte, knorke, astrein, schön, klasse oder sehr gut bezeichnet, ist für deren Nachkommen krass, fett, cool oder geil. (29) Der höchste Grad dieser Adjektive wird übrigens nicht mit sehr, äußerst, ungemein o.ä. gebildet, sondern ausschließlich mit voll, so dass demnach nicht nur ein Film oder Kleidungsstück voll krass bzw. voll cool (als Ausdruck der Wertschätzung), sondern auch ein Glas voll leer sein kann. Wegen des partiellen Bedeutungswandels von voll ist dies für die Sprecher keineswegs widersprüchlich.

6. Fazit

Was lässt sich also abschließend zu den Vorschlägen des VdS sagen? Die zitierten Ausführungen der Pressemitteilung kann man v.a. dadurch charakterisieren, dass sie grundlegende Erkenntnisse und Unterscheidungen der Sprachwissenschaft außer Acht lassen. Dies betrifft nicht nur die seit der Rezeption de Saussures geläufige Unterscheidung von langue und parole, Diachronie und Synchronie, sondern auch das Verhältnis von Semantik und Pragmatik. Gerade durch das abstrakte, kontextlose Interpretieren von Wortbedeutungen wird der Eindruck erweckt, Wörter ließen sich durch andere, scheinbar synonyme Wörter, beliebig ersetzen. Ausgeblendet wird dabei die zentrale Erkenntnis, dass Kommunikation sowohl situationsangemessen als auch intentionsadäquat (erfolgsorientiert) zu sein habe. Demzufolge herrschen in der Werbung eben andere sprachliche Standards als in einer Predigt, in einem Arzt-Patienten-Gespräch andere als in einer politischen Diskussion. Probleme entstehen v.a. dann, wenn Menschen nicht in der Lage sind, Situationen auf einen adäquaten Sprachgebrauch hin zu interpretieren, wenn also der Arzt in seiner Sprechstunde wie auf einem Ärzte-Kongress spricht, ein Politiker auf diplomatischem Parkett einen Wahlkampfauftritt inszeniert oder aber –- die Folgen wären wahrscheinlich fatal –- im berühmten bayerischen Bierzelt diplomatische Formulierungen wählt.

Derartige Prozesse zu untersuchen, wäre ein lohnendes Unterfangen für eine aufgeklärte Sprachkritik. Dazu bedürfte es jedoch größerer methodischer Anstrengungen als sie die sog. Laienlinguistik unternimmt. Deren Klagen über den nicht aufzuhaltenden Sprachverfall sind ein alter Topos der Sprachkritik, den Horst Sitta einmal unter die schöne Gattung der "Altherrentopoi" subsumiert hat. (30) Nur schwer ist dieser Topos jedoch mit der Tatsache zu vereinbaren, dass uns partout kein Beispiel für eine tatsächlich "verfallene" durch Fremdworteinfluss oder Sprachwandel zugrunde gerichtete Sprache einfallen will. Das zumindest –- finde ich -– sollte die Anglizismenjäger stutzig machen.

7. Fußnoten

  1. Der vorliegende Text ist die leicht überarbeitete Fassung meines Habilitationsvortrages, gehalten am 2. Juli 2002 vor der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der ursprüngliche Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten. Für ihr Interesse und zahlreiche Anregungen danke ich meinen Düsseldorfer Kollegen Dietrich Busse, Georg Stötzel, Martin Wengeler und insbesondere Rudi Keller. Verbliebene Fehler und Unzulänglichkeiten gehen selbstverständlich ausschließlich zu meinen Lasten.
  2. Eine gute Zusammenfassung der deutschen Anglizismenkritik seit 1945 bietet Jung (1995). Dass Klagen über den Niedergang, Verfall usw. der Sprache seit jeher zu den ,Klassikern‘ der Sprachkritik zählen und „vermutlich so alt sind wie die Sprache selbst“, bemerkt Schiewe (1998: 250 ff.); vgl. auch von Polenz (Bd.1:35 ff., Bd. 3:294 ff.) sowie Keller (1994:23), der anmerkt, dass es bislang noch kein einziges Beispiel für eine tatsächlich verfallene Sprache gebe.
  3. Die Hamburger Modeschöpferin Jil Sander im Magazin der FAZ; zit. nach Zimmer (1998:21 f.)
  4. Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von Strassner (1995).
  5. G. E. Lessing: Zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. In: Sämtliche Schriften, Bd. 16. Stuttgart 1886 ff., S. 13; zit. nach Strassner (1995:142).
  6. Vgl. z.B. Pogarell/Schröder (2000), Zabel (2001). Eine kritische Auseinandersetzung mit den Beiträgen in Zabel (2001) findet sich in der Rezension von Niehr (2002); vgl. auch Drews’ (1999) abgewogene Darstellung. Einen aktuellen Überblick über die linguistische Diskussion bekommt man bei Stickel (2001).
  7. Pressemitteilung des VWDS vom 08.07.98; zit. nach Zabel (2001:261 f.).
  8. Wellness wurde in den 60er Jahren in den USA geprägt. Der Arzt Halbert Dunn kreierte das Kunstwort, das sich aus well-being und fitness zusammensetzt. In Zeiten steigender Kosten im Gesundheitswesen sollte wellness helfen, Krankheiten wie Krebs und Herzinfarkt vorzubeugen. Inzwischen ist der Bedeutungsumfang des Wortes immer weiter gewachsen: „Der US-amerikanische Gesundheitspapst Don Ardell erklärt es [wellness, Th.N.] sogar zur ,Philosophie‘, zu der ,Stress-Management, Fitness, emotionale Intelligenz, Spiritualität, Humor, eine gute Beziehung, kritisches Denken und Ernährung‘ gehören. Also eigentlich alles. Man kann sagen: Das Leben ist Wellness.“ (Die Zeit, 14.03.2002, S. 61)
  9. Zusätzlich ist zu beachten, dass Anglizismen nicht nur in der Werbung sondern auch in den Medien möglicherweise weiter verbreitet sind als im übrigen geschriebenen und gesprochenen Deutsch; vgl. dazu auch Anglizismen-Wörterbuch (1993:93).
  10. Da Wörterbücher dem aktuellen Sprachgebrauch notwendigerweise immer etwas „hinterher hinken“, ist es durchaus angemessen, hier ein Wörterbuch aus dem Jahre 2001 zu konsultieren. Zu aktuellen Anglizismen in den Printmedien, die sich noch nicht in den einschlägigen Wörterbüchern finden, vgl. Ludwig (2001:393 ff.).
  11. In der Anglizismenkritik nach Art des VdS scheint mir eine naiv realistische Vorstellung eines Gegenübers von Dingen der „realen Welt“ und „Sprache“ vorzuherrschen, in der die Sprache die „Realität“ möglichst „treffend“, d.h. genau und unverfälscht abbilden soll; nur innerhalb einer solchen Sprachkonzeption macht die Suche nach „treffenden“ Ausdrücken (auf der Ebene der langue) überhaupt einen Sinn; zur Beurteilung realistischer und relativistischer Sprachauffassungen vgl. Keller (1995:71ff.) sowie Schiewe (1998:28ff.).
  12. Dies heißt freilich nicht, dass sie außerhalb einer konkreten Situation keine Bedeutung hätten; vgl. Keller (1995:116). Zu unterscheiden sind in diesem Sinne die lexikalische und die aktuelle Bedeutung eines sprachlichen Zeichens. Die Summe aller aktuellen (kontextuell geprägten) Bedeutungen konstituiert die lexikalische Bedeutung, die als „virtuelles Bedeutungspotential“ zu verstehen ist; vgl. Glück (2000:25).
  13. Keller (1995:39). Dieser Gedanke findet sich in der Sprachphilosophie seit dem 17. Jahrhundert; vgl. Gardt (2001:40, 46 f.), Werlen (2002:95 ff.).
  14. Nach Schiewe (2001:291) gibt es allerdings Wörter, bei denen die Sprachkritik ansetzen könne, ohne den weiteren Kontext zu kennen: Komposita und Ableitungen, bei denen der Kontext in der Wortbildungskonstruktion steckt. Bei Wörtern wie ausländerfrei, judenfrei, Menschenmaterial, Rentnerschwemme "wird man die Lüge, die Beschönigung, die Inhumanität, die Diskriminierung den Wörtern zuschreiben können". Fraglich bleibt allerdings, ob der Nachweis von Beschönigung oder Inhumanität etc. zu den Aufgaben deskriptiver Linguistik gehört und v.a. welche Möglichkeiten den SprachkritikerInnen oder -wissenschaftlerInnen bleiben, wenn jemand bewusst beschönigendes oder auch diskriminierendes Vokabular verwendet, z.B. weil genau dies seinen Intentionen entspricht.
  15. Zu kids als neuem sozialem Konzept, das v.a. durch soziale Autonomie gekennzeichnet ist, vgl. Linke (2001:376 ff.). Gut in diesen Zusammenhang passt, dass kid(s) im Gegensatz zu Kind(er), Mutter, Vater etc. kein relationaler Ausdruck ist: man ist immer jemandes Kind, Mutter oder Vater, nicht aber jemandes kid.
  16. Das Duden Universalwörterbuch (2001:859) gibt als Bedeutungen für Jugendlicher an: "a) junger Mensch; jmd., der sich im Lebensabschnitt zwischen Kindheit u. Erwachsensein befindet [...] b) (Rechtsspr.) junger Mensch zwischen dem 14. u. 18. Lebensjahr." Wenn man für den Ausdruck kids eine "Altbersbeschränkung" angeben möchte, dann liegt sie wohl bei ca. 14 Jahren; vgl. dazu Linke (2001:374).
  17. Vgl. Keller (1994:139 ff.). Insbesondere große Unternehmen wie die Deutsche Bundesbahn oder die Deutsche Telekom dürften mit Anglizismen und Hybridbildungen wie service point, GermanCalls, CityCalls, GlobalCalls bzw. BahnCard etc. ihre internationale Bedeutung als "global players" unter Beweis zu stellen versuchen bzw. "suchen sie den sprachlichen ,Duft der großen weiten Welt‘ auch in die schwäbische, westfälische und brandenburgische Provinz zu bringen und damit bessere Geschäfte zu machen". (Stickel 2000, S. 9)
  18. Ch. M. Wieland: Über die Frage: Was ist Hochdeutsch? und einige damit verwandte Gegenstände. In: Gesammelte Schriften, Bd. 22. Berlin 1954, S. 419; zit. nach Strassner (1995:150).
  19. Vgl. Adorno (1959:181). Adorno vermutet außerdem, dass Fremdwörter gerne zu Sündenböcken gemacht werden, "denen man eben doch meist nur aufbürdet, was man dem Gedanken verübelt". (Adorno 1959:182)
  20. So verdeutschte Krause den Satz "Die Poesie ist in ihren freien Dichtungen über alle Moralität erhaben" folgendermaßen: "Die Lebeinbildung ist in ihren freien Ewiglebdarbildungen über alle Eigenwesenlebgesetzlichkeit erhaben". Der Satz "Dieser Mensch ist Gottes Sohn" lautete im "Krause-Deutsch": "Dieses ordentliche Geistleibinvereinwesen ist durch Wesen als gleichwesentliches Nebenausserwesen miteigenlebverursacht"; zit. nach Strassner (1995:206).
  21. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung zusammenfassend von Polenz (Bd. 3:314 ff.)
  22. Umgekehrt gilt freilich auch Adornos Bemerkung: "Die abstrakte Verteidigung der Fremdwörter bliebe hilflos. Sie bedarf, nicht zur Illustration sondern zur Legitimation, der Analyse von Stellen, an denen Fremdwörter überlegt eingefügt sind." (Adorno 1959:184)
  23. Zu Internationalismen vgl. von Polenz (Bd. 3:399 ff.).
  24. Außerdem ist die Möglichkeit nicht außer Acht zu lassen, dass Entlehnungen wie beispielsweise violett und lila, Horizont (vs. Gesichtskreis) oder Karikatur (vs. Zerrbild) die vorhandenen Bezeichnungsmöglichkeiten weiter differenzieren; vgl. von Polenz (Bd. 1:42, 76), (Bd. 2:85 ff., 132) sowie (Bd. 3:404 f.).
  25. Vgl. beispielsweise die Skizze von Krause-Braun (2002), in der auch methodische Probleme angesprochen werden.
  26. Vgl. Stickel (2000:3). Dort finden sich auch Beispiele für erfolgreiche Verdeutschungen von Anglizismen (z.B. im Fußball: back / Verteidiger, center / Mitte, penalty cick / Strafstoß, half time / Halbzeit usw. ) und innere Entlehnungen, deren englische Vorbilder uns heute gar nicht mehr bewusst sind (Außenseiter / outsider, Gemeinplatz / common place, Jungfernrede / maiden speech, Selbstverwaltung / self government usw.).
  27. Vgl. von Polenz (Bd. 1:79) sowie auch schon de Saussure (2001:83 ff., 120 ff.).
  28. Zu den komplexen Faktoren des Sprachwandels und insbesondere dem "Verschwinden" von Wörtern vgl. von Polenz (Bd. 1:47) sowie Keller (1994:113 ff., 129 ff.).
  29. Zu den Motiven solch expressiven Sprachverhaltens vgl. Keller/Kirschbaum (2000). Dass die Verwendung von Adjektiven wie geil, super, toll letztlich doch zu einer Verarmung der deutschen Sprache führen müsse, weil sie nämlich zu Lasten von Wörtern wie wunderschön oder zauberhaft gehe (vgl. Kilian 2001:308 f.), scheint mir ein nur vordergründig plausibles Argument. Denn die Verwendung solcher "neuer" Wörter -- häufig sind es "alte" Wörter mit (partiell) neuer Bedeutung -- eröffnet ja gleichzeitig neue sprachliche Möglichkeiten. Derartige Sprachwandelprozesse als Verarmung zu interpretieren, ist daher zumindest einseitig.
  30. Vgl. Strassner (1995:302).

8. Literatur

  • Adorno, Theodor W. 1959: Wörter aus der Fremde. Funktion und Gebrauch. In: Akzente. Zeitschrift für Dichtung 2/1959, S. 176-191.
  • Anglizismen-Wörterbuch 1993 ff.: Der Einfluß des Englischen auf den deutschen Wortschatz nach 1945. Begründet von Broder Carstensen, fortgeführt von Ulrich Busse unter Mitarbeit von Regina Schmude. (3 Bde). Berlin, New York.
  • Drews, Jörg 1999: Auf dem Weg zum Denglitsch. Wieviel Angloamerikanisch verträgt die deutsche Sprache? In: Meier, Christian (Hrsg.): Sprache in Not? Zur Lage des heutigen Deutsch. Göttingen, S. 15-31.
  • Duden 2001 – Deutsches Universalwörterbuch. 4., neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim u.a.
  • Gardt, Andreas 2001: Das Fremde und das Eigene. Versuch einer Systematik des Fremdwortbegriffs in der deutschen Sprachgeschichte. In: Stickel 2001, S. 30-58.
  • Glück, Helmut (Hrsg.) 2000: Metzler Lexikon Sprache. 2., erw. Aufl., Stuttgart, Weimar.
  • Jung, Matthias 1995: Amerikanismen, ausländische Wörter, Deutsch in der Welt. Sprachdiskussionen als Bewältigung der Vergangenheit und Gegenwart In: Stötzel, Georg / Wengeler, Martin u.a.: Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin, New York, S. 245-284.
  • Keller, Rudi 1994: Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. 2., überarb. u. erw. Aufl., Tübingen, Basel.
  • Keller, Rudi 1995: Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens. Tübingen, Basel.
  • Keller, Rudi / Kirschbaum, Ilja 2000: Bedeutungswandel. In: Der Deutschunterricht 3/2000, S. 41-53.
  • Kilian, Jörg 2001: Kritische Semantik. Für eine wissenschaftliche Sprachkritik im Spannungsfeld von Sprachtheorie, Sprachnorm, Sprachpraxis. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik (29)2001, S. 293-318.
  • Krause-Braun, Christiane 2002: "Aliens" in der deutschen Pressesprache? Anglizismen im heutigen Pressedeutsch – ein Vergleich der "Badischen Zeitung" von 1949 und 1999. In: Muttersprache (112)2002, S. 155-173.
  • Lehr, Andrea u.a. (Hrsg.) 2001: Sprache im Alltag. Beiträge zu neuen Perspektiven in der Linguistik. Herbert Ernst Wiegand zum 65. Geburtstag gewidmet. Berlin, New York.
  • Linke, Angelika 2001: Zur allmählichen Verfertigung soziokultureller Konzepte im Medium alltäglichen Sprachgebrauchs. In: Lehr, S. 373-388.
  • Ludwig, Klaus-Dieter 2001: Was (noch) nicht im Wörterbuch steht. In: Lehr, S. 389-408.
  • Niehr, Thomas 2002: Rezension zu Zabel (2001). In: Sprachreport 1/2002, S. 30-31.
  • Pogarell, Reiner / Schröder, Markus 2000: Wörterbuch überflüssiger Anglizismen. 3. Aufl., Paderborn.
  • Polenz, Peter von 1994 ff.: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. (3 Bde). Berlin, New York.
  • Saussure, Ferdinand de 1916/2001: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. 3. Aufl., Berlin, New York.
  • Schiewe, Jürgen 1998: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart. München.
  • Schiewe, Jürgen 2001: Aktuelle wortbezogene Sprachkritik in Deutschland. In: Stickel 2001, S. 280-296.
  • Stickel, Gerhard 2000: Englische und andere Neuheiten im heutigen Deutsch und was die Leute davon halten. (Manuskript, unveröffentlicht). [Teilweise abgedruckt in: Stickel, Gerhard, Englisch-Amerikanisches in der heutigen deutschen Lexik und was die Leute davon halten. In: Herberg, Dieter / Tellenbach, Elke (Hrsg.): Sprachhistorie(n). Hartmut Schmidt zum 65. Geburtstag. Mannheim, S. 137-149. Institut für deutsche Sprache: amades Nr. 2/00].
  • Stickel, Gerhard (Hrsg.) 2001: Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz. Aktueller lexikalischer Wandel. Berlin, New York.
  • Strassner, Erich 1995: Deutsche Sprachkultur. Von der Barbarensprache zur Weltsprache. Tübingen.
  • Werlen, Iwar 2002: Sprachliche Relativität. Eine problemorientierte Einführung. Tübingen.
  • Zabel, Hermann (Hrsg.) 2001: Denglisch, nein danke! Zur inflationären Verwendung von Anglizismen in der deutschen Gegenwartssprache. Paderborn.
  • Zimmer, Dieter E. 1998: Deutsch und anders – die Sprache im Modernisierungsfieber. Reinbek bei Hamburg.

Der Autor ist Privatdozent am Lehrstuhl für Deutsche Philologie und Linguistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.