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II Molières Amphitryon

Nach den deskriptiven und vergleichenden Vorarbeiten wende ich mich jetzt wieder der eigentlichen Interpretationsarbeit zu. Zunächst befasse ich mich mit Molières Bearbeitung des Amphitryon-Stoffes, in der nächsten Runde dann mit der Kleists.

In beiden Fällen handelt es sich, wie bereits bei Wolfs Medea, um vorläufige Probe-Interpretationen, die nicht den Anspruch erheben, allen Ansprüchen, die an eine ausgeführte wissenschaftliche Textinterpretation zu stellen sind, voll zu genügen. Hauptzweck ist wiederum, das für die Basis-Arbeit vorgeschlagene Analyse- und Deutungsverfahren an einem Beispielfall en détail vorzuführen. Auch die Molière-Deutung ist unter starkem Zeitdruck und hauptsächlich auf der Grundlage des Primärtextes erarbeitet worden; die Forschungslage wurde weitestgehend vernachlässigt.

Bei einer vorläufigen Probe-Interpretation ist von vornherein zu erwarten, dass die entwickelten Hypothesen weiter optimierbar sind und dass sie in einigen Fällen vielleicht auch revidiert werden müssen. Ich möchte in erster Linie demonstrieren, wie nach meiner Auffassung im Basis-Bereich vorgegangen werden sollte. Und damit wird auch gezeigt, dass und wie man auf relativ einfache Weise die Fähigkeiten der Hypothesenbildung und der kritischen Überprüfung von Hypothesen an den Text-Tatsachen schulen kann.

Es wird sich jedoch auch in diesem Fall zeigen, dass trotz schmaler Materialbasis und begrenzter Zeit eine Lösung für alle sich im Basis-Bereich stellenden Deutungsprobleme vorgelegt werden kann, die sich an den Text-Tatsachen gut bewährt.[15]

Bei der weitergehenden wissenschaftlichen Arbeit ist natürlich die Fachliteratur hinzuziehen. Dabei wird der Interpret oder die Interpretin häufig zweierlei Erfahrungen sammeln können: Erstens stößt man auf Erfolg versprechende Interpretationsideen, die man in die eigene Deutung einbauen kann; zweitens aber trifft man zuweilen auch auf Deutungsansätze, die in unterschiedlicher Hinsicht fehlerhaft und zu kritisieren sind, vor allem auf aneignende Interpretationen, die als wissenschaftliche auftreten.

Ich begebe mich also auf eigene Faust in die Textwelt Molières. Aufgabe ist es dabei, Hypothesen über die Textkonzeption, die ihr zugrunde liegende Literaturprogramm und das beide speisende Überzeugungssystem zu entwickeln, die sich in dem Sinn an den Text-Tatsachen bewähren, dass sie alle oder die meisten Elemente des Textes zu erklären vermögen. Die Erklärung besteht, formal gesehen, stets darin, dass aus einer Vermutung über das, was dahinter steckt, das fragliche Textelement logisch ableitbar ist.

Bei der Lektüre hat sich mir zunächst eine simple Hypothese über ein Element des Überzeugungssystems Molières aufgedrängt. Ich vermute, dass bei ihm eine Weltsicht vorliegt, der zufolge das, was in der Komödie geschieht – Götter nehmen Menschengestalt an und daraus ergeben sich diverse Verwicklungen – in Wirklichkeit nicht geschieht und geschehen kann. Daraus lässt sich eine Hypothese zur Textkonzeption gewinnen.

Wenn das, was im Stück passiert, nach Molières Auffassung in Wirklichkeit nicht passieren kann, dann ist zu vermuten, dass das mythische Handlungsgerüst und Modell als Vorwand dient, um eine andere Problematik, die für Molières Überzeugungssystem wirklich bedeutsam ist, in Form einer Komödie abzuhandeln. Die erste Hypothese über die Gestaltungsidee des Stücks sieht demnach so aus: Der Amphitryon-Stoff wird aufgegriffen, um in mythischer Verkleidung eine aktuelle Problematik zu verhandeln.

Welches könnte die – zur damaligen Zeit und speziell für Molière – aktuelle Problematik sein?

Liest man die Komödie im Licht dieser Fragestellung, so liegt die Antwort geradezu auf der Hand. Molière geht es darum, die Herrschenden und ihre Herrschaftspraxis in der feudalen Gesellschaft seiner Zeit kritisch unter die Lupe zu nehmen – unter besonderer Berücksichtigung des obersten Herrschers.

Dabei können mehrere Aspekte unterschieden werden. Erstens das Verhältnis der Herrschenden zu ihren Untergebenen (Amphitryon vs. Sosias), zweitens das Verhältnis der Herrschenden zu ihren Frauen (Amphitryon vs. Alkmene), drittens das Verhältnis des obersten Herrschers zu seinen Handlangern (Jupiter vs. Merkur), viertens das Verhältnis des obersten Herrschers zu den Frauen der anderen Angehörigen des Adels (Jupiter vs. Alkmene). Weitere Aspekte, die ich jetzt nicht alle aufzuzählen brauche, kommen hinzu.

Ich baue die Hypothese über die Textkonzeption weiter aus. Ist Molière die Gestaltungsidee zuzuschreiben, die – mehrere Facetten aufweisende – Herrscher- und Herrschaftsproblematik mit kritischem Blick, aber in konsequenter mythischer Verpackung abzuhandeln, so folgt daraus, dass man bei den Elementen, die diese Verpackung – also das gesamte mythische Modell – betreffen, niemals stehen bleiben darf. Vielmehr ist stets zu fragen, welche Bedeutung sie innerhalb der indirekt behandelten eigentlichen Problematik besitzt.

Das betrifft z.B. die ‘starken’ Identitätsprobleme, die im Verhältnis Sosias – Merkur auftreten: Sosias gerät in eine ‘totale’ Identitätskrise, wenn er mit dem Gott konfrontiert wird, der seine Gestalt angenommen hat und er selbst zu sein beansprucht. Derartige Probleme kann es für den Autor – nach unserer Hypothese über das Überzeugungssystem Molières – in Wirklichkeit gar nicht geben. Daher liegt es nahe, diese ‘starken’ Identitätsprobleme auf die ‘schwächeren’, aber dafür realen Identitätsprobleme zu beziehen, welche sich für die Untergebenen stellen, wenn sie zu Objekten der Herrschaftspraxis werden. Darüber wird noch genauer zu reden sein.

Mit diesen Ideen im Kopf wende ich mich nun dem Vorspiel der dreiaktigen Komödie zu. Aus den bisherigen Hypothesen ergibt sich, dass grundsätzlich zwischen eigentlicher Problematik und ihrer mythischen Verpackung zu unterscheiden ist. Wie ist dann z.B. der – bereits im Vorspiel auftretende –  Merkur zu deuten?

Auf der Ebene der mythischen Verpackung bzw. des mythischen Modells ist er der bekannte römische Gott, der unter anderem als „Jupiters Bote“ fungiert. Auf der Ebene der eigentlichen Problematik aber lässt er sich als oberster Handlanger des Herrschers deuten, der selbst adlig und Angehöriger der ‘herrschenden Klasse’ ist. Der Handlangerjob ist kein Zuckerschlecken: „immer wieder / Jupiters Bote sein, das strengt gewaltig an“.

Der Herrscher (Jupiter) ist auf Alkmene, die Frau des Feldherrn Amphitryon, scharf, und sein „Bote“ hat die Aufgabe, die erotische Attacke zu unterstützen. Diese Unterstützung wird im Stück mythisch verpackt. Merkur bittet die „Göttin“ Nacht, die „in einem von zwei schwarzen Pferden gezogenen Wagen“ daherkommt, die unter ihrer Kontrolle stehende Zeit zu verlängern, um das Liebesglück zu erhöhen. „Die Nacht soll sich so lange dehnen, / Wie nie bisher auf Erden eine Nacht. / Erst wenn er ganz gestillt hat sein verliebtes Sehnen / Und ausgekostet jede Wonne, / Ist’s Zeit, daß neu der Tag erwacht“.

Gemäß der Interpretationshypothese sind wir jedoch berechtigt und sogar verpflichtet, diese mythische auf eine denkbare reale Unterstützung zu beziehen. Der adlige Handlanger des obersten Herrschers kann dessen erotische Abenteuer auf mannigfache Weise unterstützen. Zwar vermag er nicht ‘objektiv’ die Zeit zu dehnen bzw. dehnen zu lassen, aber er kann die Verführung vorbereiten, das Liebespaar vor Störenfrieden schützen, für aufreizende Zerstreuung sorgen und vieles andere mehr.

Später (in I/2) nutzt Molière eine weitere Übertragungsmöglichkeit: Die ‘objektive’ mythische  Zeitdehnung verweist dann auf die ‘subjektive’ reale Zeiterfahrung Sosias’: „Wird diese Nacht denn nie zu Ende sein? / So langsam ist die Zeit noch nie gekrochen.“

Nun zur Liebespraxis des Herrschers. Innerhalb des mythischen Modells gilt: Jupiter kann die Gestalt Amphitryons annehmen, und er nutzt diese Möglichkeit, um seine sich auf Alkmene richtende Begierde zu befriedigen. „Von neuer Lieb ist er entfacht / Und just dabei, die Glut zu stillen. / Ihr wißt Bescheid von seinen Winkelzügen, / Wie oft er schon verbotne Frucht gepflückt, / Wie er vom Himmelsthron herabgestiegen, / Wenn ihn ein irdisch Weib entzückt, / Und wie’s ihm immer wieder glückt, / Die Sprödeste selbst zu besiegen. / Jetzt hat’s ihm Frau Alkmene angetan, / Und während auf Böotiens weitem Plan / Ihr Mann Amphitryon mit Einsatz seines Lebens / Zum Siege führt die Heere Thebens, / Nahm der Olympier die Gestalt des Gatten an / Und schwelgt am Ziele seines Strebens / Nun in den seligsten Genüssen.“

Auf welche (für das Überzeugungssystem Molières) reale Problematik lässt sich das beziehen? Ich sehe eigentlich nur eine Möglichkeit. Es geht um einen Herrscher, der sich auch in ‘gebundene’ adlige Frauen verliebt und der nicht einfach nur erfolgreich versucht, sie zu verführen, sondern der dabei auch unlautere Mittel einsetzt. Dass Jupiter im Stück die Gestalt Amphitryons annimmt und somit von Alkmene nicht mehr als ein anderer erkennbar ist, können wir somit als Darstellung einer betrügerischen Verführung in mythischer Form interpretieren.

Wie könnte ein solches Betrugsmanöver, bei dem die Frau meint, mit ihrem Gatten zu schlafen, während de facto ein anderer ihr beiwohnt, real aussehen? Der Verführer könnte z.B. folgendes Szenario wählen: Der naiven Frau wird durch eine geschickt ausgedachte Geschichte vorgespiegelt, ihr Mann warte voller Begierde in einem abgedunkelten Zimmer auf sie, und sie möge bitte schön auf diese von ihm gewünschte Form der lustvollen Begegnung eingehen. Ein gefälschter Brief könnte sich hier als nützlich erweisen.[16] Über handfeste erotische Betrugsmanöver vergleichbarer Art informiert beispielsweise der Roman Die gefährlichen Liebschaften.

Der Herrscher scheut, ist seine Begierde einmal entfacht, nicht einmal davor zurück, ein „erst wenige Tage“ vermähltes Paar, das noch der „ersten Liebe ganze Glut“ spürt, mit einem Trick auseinander zu dividieren und ihr Lebensglück möglicherweise dauerhaft zu zerstören. Und es ist leicht vorstellbar, dass er sogar einen besonderen kick aus der betrügerischen Verführung gewinnt.

Für den über allen thronenden Verführer, der nach der Maxime lebt ‘Erlaubt ist, was mir gefällt’, sind solche Betrugsmanöver gegenüber Jungverliebten sogar besonders attraktiv, da dem „fremden Gast“ so der „ersten Liebe ganze Glut“ zugute kommt, die für ihn sonst nur dort erreichbar wäre, wo sich eine Frau tatsächlich in ihn verlieben würde. „Den Zeitpunkt hat er sich aufs glücklichste gewählt“. Wir können uns einen Herrscher vorstellen, für den die letztere Konstellation sogar weniger attraktiv ist als die erstere, da er seine höchste Lust gerade aus dem Wissen gewinnt, dass er sich die „ganze Glut“ der liebenden Frau nur erschlichen hat.

Merkur spricht im Vorspiel aber nicht bloß die Problematik der betrügerischen, sondern auch die der ‘normalen’ Verführung an – ebenfalls in mythischer Verpackung. Für die ‘normale’ Verführung einer Ehefrau ist es nicht ratsam, sich bei der Dame „in des Gatten Maske einzuführen“. Die verführbare Gattin, die ihren Gemahl leid ist, lässt sich natürlich nur durch einen „Kavalier“ mit Kontrastprogramm gewinnen.

Merkurs weitere Ausführungen können nun auf zwei ganz unterschiedliche Formen der Verführung durch den Herrscher bezogen werden. Erstens auf die ‘halb-normale’ Verführung durch den Herrscher, der inkognito auf Eroberungen ausgeht, um der Einsamkeit, die die Herrscherrolle mit sich bringt, zu entfliehen. Hier handelt es sich um eine offene Verführung, die bloß den Status des Verführers im Unklaren lässt. Darauf beziehe ich folgende Passage: „Was nützt’s, wenn ihm die Menschen Weihrauch streun? / Auf eisiger Höhe seit Äonen / In starrer Einsamkeit zu thronen – / Kann ihn das auf die Dauer freun?“ Der Herrscher leidet hier darunter, „eigner Größe Sklave“ zu sein.

Davon ist die verdeckte Verführung, die mit betrügerischen Mitteln arbeitet, abzugrenzen. Es ist etwas anderes, ob X unter falschem Namen eine Frau für sich gewinnt, oder ob X eine Situation herbeiführt, in der die Verführung als Nicht-Verführung getarnt ist, z.B. als eheliche Liebe unter besonderen Vorzeichen in einem abgedunkelten Zimmer.

Auf beide Konstellationen passen die folgenden Verse: „Jupiter weiß Bescheid in allen Liebesdingen, / Den Glorienschein läßt er zu Haus, / Und um in alles, was ihn anlockt, einzudringen, / Schlüpft er aus seinem eignen Ich heraus, / Um als Nicht-Jupiter den Sieg dann zu erringen.“ Das Erringen des Siegs „als Nicht-Jupiter“ kann ja beide soeben beschriebenen Formen annehmen.

Die Reaktion der Göttin Nacht ist bezeichnend. Sie hat Verständnis für die erste Form der Verführung, aber sie kritisiert die zweite. „Daß es ihn manchmal reizt, aus seinen lichten Höhn / Hinabzusteigen auf die Erde / Und mit den Menschen Freude und Beschwerde / Zu teilen, kann ich schon verstehn. / Wär er bei diesem Spiel nur stets als Mensch zu sehn, / Gäb er sich nur als Mensch in Rede und Gebärde! / Doch er verbirgt sich oft auch hinter tierischen Fratzen, / Erscheint als Drache, Stier und Schwan – / Das, mein ich, ist nicht wohlgetan! / Kein Wunder, daß die Leute drüber schwatzen.“

Das mythische Motiv der Verwandlung des Gottes in eine Tiergestalt wird innerhalb der – von mir vermuteten – Textkonzeption zum Mittel, um die betrügerische Verführung durch den Herrscher (und vielleicht sogar allgemein: durch Angehörige der ‘herrschenden Klasse’) zu behandeln. Für den Herrscher „liegt ein eigner Reiz in diesem Maskenspiel“. Und diese Kritik scheint wiederum Teil einer umfassenderen Herrscherkritik zu sein. Denn ein Herrscher, der in erotischen Dingen völlig rücksichtslos ist, alle Möglichkeiten „durchkosten“ will und vor der Anwendung betrügerischer Mittel nicht zurückscheut, um seine Ziele zu erreichen, wird sich in politischen Dingen ähnlich verhalten. Und er wird sein Verhalten auf ähnliche Weise rechtfertigen: ‘Erlaubt ist, was mir gefällt – es gibt keine Instanz (auch keine Gewissensinstanz), die mir Beschränkungen auferlegen dürfte’.

Entsprechendes gilt für die gesamte ‘herrschende Klasse’. „Nur beim gemeinen Volk nimmt man es ganz genau. / Was Leute höhern Standes unternehmen, / War immer recht und immer gut, / Und Taten gibt man ihren Namen / Nach dem nicht, was sie sind, nach dem nur, wer sie tut.“

Die Nacht erscheint, wenn man dieser Linie folgt, auch als moralische Instanz, die das „saubre Unternehmen“ durchschaut, als „Hüterin der guten Sitten“: „Der Auftraggeber soll sich schämen!“ Dem skrupellosen Handlanger des Herrschers gilt eine solche Einschätzung schlicht als „zurückgeblieben“. In I/4 bemerkt er, in der Gestalt des Sosias, zu Cleanthis: „Ich schätze Laster ohne Lärmen / Viel mehr als Tugend mit Geschrei.“

Die postulierte Gestaltungsidee Molières impliziert auch, dass das mythische Verhältnis zwischen Göttern und Menschen generell als Verpackung des realen Verhältnisses zwischen den Herrschenden und ihren Untergebenen konzipiert ist. In diesem Sinn sagt die Göttin Nacht gleich zu Beginn: „Man hat wohl seine kleinen Schwächen, / Doch soll man nicht darüber sprechen. / Das bleibt den Menschen überlassen.“

Ich vermute, um auf die „guten Sitten“ zurückzukommen, dass sowohl die spezielle als auch die generelle Herrscherkritik Molières gespeist wird von der Vorstellung einer gerechte(re)n Ordnung, in der die Herrschenden sich solch drastische Verstöße gegen die „guten Sitten“ nicht leisten können. Ob dieses normativ-werthafte Gegenbild bei Molière vage bleibt oder in anderen Zusammenhängen differenziert entfaltet wird, von wem er es übernommen hat, in welchen Traditionen es steht – das alles kann in einer Modell-Interpretation, die allein den Text berücksichtigt, nicht näher untersucht werden.

Begeben wir uns nun in den ersten Akt. Sosias’ Monolog in der ersten Szene gibt Auskunft über das Verhältnis des adligen Herrn zu seinem Untergebenen. „Die hohen Herren bilden sich ja ein, / Es müsse alles sich nach ihrem Willen fügen. / Ob’s Tag, ob’s Nacht, mag’s regnen, donnern, schnein – / Der Herr befiehlt, der Knecht muß fliegen.“ Auch die Willkür der Herrschaft wird – am Beispiel Amphitryons – angesprochen: „Du kannst dich zwanzig Jahre plagen, / Und machst du alles noch so gut – / Du brauchst nur einmal zu versagen, / Da packt ihn schon die Wut!“

Diese Linie wird in II/1 fortgeführt. „Der Diener hat sich nach dem Herrn zu richten. / Wahr ist drum nur, was Ihr für wahr erkannt.“ Sosias baut deshalb vor: „In welcher Form wünscht Ihr mein Thema vorgetragen? / Wie’s das Gewissen mir gebeut? / Halt ich’s mit Treu und Redlichkeit? / Ja? Oder soll ich nur von Dingen sagen, / Die Eurer Herrlichkeit behagen?“

Auf der anderen Seite wird die „Eitelkeit“ durch den prestigeträchtigen Adels-Dienst befriedigt, dessen Vorzüge letztlich für den Diener überwiegen. „Wenn wir ein freundlich Wort nur hören, / Ist’s mit dem Widerstand vorbei. / So lassen wir uns immer neu betören / Und werden niemals frei.“

Zu beachten ist auch die Opposition zwischen dem Mut des Herrn und der Feigheit des Dieners. Sosias soll Alkmene „Bericht erstatten / Von dem Verlauf der blutigen Schlacht, / Von unserm großen Sieg, den Taten ihres Gatten – / Und hab doch gar nicht mitgemacht!“ „Indessen draußen wütete die Schlacht“, verleibte sich Sosias „zwei dicke Scheiben“ vom „fetten Schinkenbein“ ein und leerte eine „Flasche Wein“. In II/1 sagt Sosias: „Wir gehn nicht alle auf denselben Wegen. / Der eine wirft sich der Gefahr entgegen, / Der andre sucht sie zu vermeiden.“

In I/2 sagt Sosias zum gestaltgleichen Merkur: „Fürwahr, zum Ruhm gereicht dir’s nicht, / Auf einen Gegner, dem’s an Mut gebricht, / Blind loszuhaun mit beiden Fäusten.“

Die erste größere Bewährungsprobe für meinen Ansatz ist die zweite Szene, in der Sosias und Merkur, der „auf Jupiters Befehl“ die Gestalt des Sosias angenommen hat, aufeinandertreffen. Wie ist diese Szene zu interpretieren? Ich folge weiterhin dem Prinzip: Suche nach der realen Problematik, die mythisch verpackt wird. Das fällt nicht schwer. Es geht, so nehme ich an, um die brutalen Praktiken, welche die Handlanger des radikal-egoistischen Herrschers gegenüber einfachen Leuten anwenden, die ihre Pläne – hier: das Auskosten der betrügerischen Verführung in einer „seligen Nacht“ – stören könnten.

Mit den einfachen Leuten springen die Handlanger, ganz dem Vorbild des Herrschers folgend, völlig nach Belieben um. In den niederen Rängen geht freilich alles direkter, sadistischer zu. Merkur: „Ich kann es kaum ertragen – seit zwei Wochen / Zerbrach ich keinem Schufte mehr die Knochen. / Vom Müßiggang ward ich ganz schwach. / Im rechten Augenblick kommst du gekrochen. / Auf deinem Buckel hol ich das Versäumte nach.“

Der arme Sosias wird ohne Grund geschlagen, vor allem aber wird er seelisch erniedrigt. Die mythische Identitätsproblematik, die sich daraus ergibt, dass der Gott Merkur sich die „Figur“ vom „Knecht Amphitryons“ leiht, ist innerhalb der Weltsicht Molières keine echte Problematik, doch sie verweist auf eine – nämlich auf die des Psychoterrors, der im Extremfall bis zum Identitätsverlust, allerdings nicht-mythischer Art, führen kann.

Das lustige Streitgespräch zwischen Sosias 1 und Sosias 2, in dem es darum geht, wer der wahre Sosias ist, verweist auf reale Praktiken der Einschüchterung und Ich-Enteignung, die überhaupt nicht lustig sind. Im mythischen Modell geht es um den Verlust von „Gestalt und Namen“, was auf fulminante Weise durchgespielt wird; auf der Ebene der eigentlichen Problematik um äußerliche Anwendung von Gewalt – Merkur appliziert z.B. „eine kräftige Schelle“ – und vor allem um Psychoterror.

Zu Merkurs Vorwurf „Was fällt dir ein, / Den Namen Sosias zu stehlen!“ lassen sich leicht korrespondierende seelische Foltermethoden finden, die darauf abzielen, „daß ich mein eigen Selbst“ – in gewisser Hinsicht – „verleugne“, d.h. die zu einer psychischen Umgestaltung führen. Der Körper- und Seelenfolterer ist durchaus in der Lage, das „Wesen“ des Gefolterten „in Dunst und Nebel aufzulösen“ – wenngleich auf andere Weise, als es im mythischen Modell erscheint, das ja einen tatsächlichen Gestaltwandel voraussetzt. Und das ein tatsächliches Wissen Merkurs um das zulässt, was Sosias „ganz heimlich tat, was keiner sah“.

Auf der Gegenseite verweist Sosias’ Antwort: „Ich heiße Sosias, und wollt ich’s leugnen, / So wär ich nicht mehr ich“ auf reale Ichdeformationen, die unter solchen Bedingungen auftreten können. „Wer hilft mir, daß ich mich nicht ganz verliere?“

Wenn die vorgeschlagene Deutung zutreffend ist, so gebührt Molière Hochachtung für den Mut und die Klarsicht, die in seinem 1668 uraufgeführten Stück erkennbar werden. Am Beispiel eines erotischen Betrugsmanövers werden allgemeine Prinzipien und Praktiken ‘absolutistischer’ Herrschaft kritisch vorgeführt und das alles in einer – klug gewählten und konsequent durchgehaltenen – mythischen Verkleidung. Je intensiver man über das Stück nachdenkt, desto mehr bleibt – zumindest was diese Partien anbelangt – das Lachen im Halse stecken.

Ich komme zur dritten Szene. Mythisches Modell und Wirklichkeitsgehalt scheinen hier stärker auseinander zu fallen. Zumeist wird ein mit betrügerischen Mitteln Verführender von der arglos Verführten wohl entweder beim Beischlaf selbst oder danach oder spätestens am nächsten Morgen als Nicht-Ehemann erkannt. Damit ist die Affäre dann beendet. Die Möglichkeit, dass die Verführte sich in den Betrüger verliebt, kann in diesem Kontext wohl ausgeschlossen werden. Alkmene steht für eine frischverheiratete, ihren Gatten liebende Frau, die auf den erschlichenen Beischlaf unmittelbar wohl nur mit Abscheu und Entsetzen reagieren kann.

Vielleicht ist noch eine weitere Möglichkeit zu erwägen. Orientiert man sich an dem vorhin erwähnten Szenario – abgedunkeltes Zimmer, Intrige, gefälschter Brief –, so besteht prinzipiell auch die Möglichkeit, dass der Verführer danach unerkannt bleibt und dass die betrogene Frau weiterhin wähnt, es mit ihrem Gatten zu tun gehabt zu haben. Wenn der betrügerische Verführer z.B. nach dem Liebesakt sogleich das Zimmer verlässt, kann die Betrogene weiterhin der Ansicht sein, alles sei in Ordnung. Diese denkbare Realsituation kommt der in Molières Komödie entfalteten mythischen Konstellation vielleicht am nächsten.

Das mythische Modell gestattet es freilich, die Konflikte zu radikalisieren. Ein göttlicher Betrüger, der tatsächlich die Gestalt des Ehemanns anzunehmen vermag, kann von der Betrogenen nämlich, wenn der Gott es nicht will, niemals als Nicht-Ehemann erkannt werden. Hier ist indes zu bedenken, was Amphitryon – ein Mensch, dem die sich abspielenden mythischen Ereignisse zunächst nicht zugänglich sind –  in III/1 äußert. „Zwar gibt es staunenswerte Ähnlichkeiten, / Die wohl ein Schwindler sich zunutze machen kann, / Doch schwerlich läßt sich eine Frau verleiten. / Sie kennt an ihrem Ehemann / Unzählige kleine Eigenheiten, / Die niemand sieht, ihr aber viel bedeuten.“

Jupiter, der diese Probleme nicht hat, vermag demgegenüber seine Rolle auch nach den „Wonnen dieser Nacht“ weiterzuspielen, z.B. so: „meine Liebe war seit je im Widerstreite / Mit meiner Pflicht für Vaterland und Heer: / Sie trieb auch diesmal mich hierher an deine Seite.“

Das ästhetische Spiel mit der perfekten Tarnung, die ja weit über den nach der Verführung unerkannt davonziehenden Betrüger hinausgeht, gestattet es Molière nun, auch Elemente der ‘normalen’ Verführerproblematik einzubauen. Jupiter möchte, dass Alkmene zwischen dem Geliebten und dem Gemahl unterscheidet und den ersteren über den letzteren stellt.

Mit der Einführung dieses Elements wird die Problematik der betrügerischen Verführung zunächst verlassen (denn in diesem realen Kontext wäre die Unterscheidung sinnlos). Sinn macht sie aber im Kontext ‘normaler’ Verführung, die ja zu einer dauerhaften Liebesbeziehung führen kann. In der Situation des Ehebruchs steht die ihren Mann – offen oder verdeckt – betrügende Frau zwischen dem Geliebten und dem Gatten, und es ist verständlich, dass der Liebhaber möchte, dass die Frau ihn mehr liebt als ihren Gatten und dass sie zwischen ‘reiner’ Liebe und bloßer Pflichterfüllung unterscheidet.

Das mythische Szenario führt nun zu einer Verklammerung beider Problematiken. Jupiter nimmt Züge des ‘normalen’ Verführers und Liebhabers an, Alkmene hingegen verbleibt – aufgrund des mythischen Gestaltenwechsels – in der Rolle der Betrogenen, welche die für eine ‘normale’ Geliebte geradezu zwingende Unterscheidung gar nicht zu vollziehen vermag. „Geliebter und Gemahl sind mir stets eins gewesen, / Ich kann sie deshalb auch nicht voneinander lösen.“

Ich schiebe einen Exkurs zur Bewertung ein. Die dargelegte Verklammerung hat künstlerische Vor- und Nachteile. Vorteilhaft ist, dass beide Verführungs- und Liebesmodelle zusammen behandelt werden können, nachteilig ist oder könnte sein, dass die Kritik am ‘absolutistischen’ Herrscher etwas an Schärfe verliert, denn der Herrscher, der von der geliebten Frau als Liebhaber anerkannt sein will, ist eine Figur mit sympathischen Zügen, anders als der betrügerische Verführer.

Ich schlage vor, die dritte Szene als eine Kompromissbildung – dieser Ausdruck nicht im spezifisch psychoanalytischen Sinn verstanden – zu betrachten, welche die beiden Verführungsmodelle betrifft. Während bei der ‘normalen’ Verführung die Frau wissend und mitschuldig ist, bleibt sie bei der betrügerischen Verführung unwissend und völlig unschuldig. Während der Verführer beim Betrug alleinschuldig ist, kommt ihm im anderen Fall nur ein Teil der Schuld zu, und ein Verlangen nach Anerkennung als – dem Ehemann überlegener – Liebhaber kann sich entwickeln.

Molière lässt Alkmene ganz in der Position der Betrogenen, während Jupiter eine Mischung zwischen Betrüger und ‘normalem’ Verführer wird, die nur unter mythischen Vorzeichen denkbar ist, aber real nicht funktionieren könnte. Alkmene ist die Amphitryon wahrhaft liebende und ihm vollkommen treue Ehefrau, die von „tausend Ängsten“ um den „Helden“ heimgesucht wird. „Ach alle Freude an des Liebsten Siegen, / Der Stolz, ihn ruhmgekrönt zu schauen, / Vermag die Qualen, die wir armen Frauen / Erdulden, niemals aufzuwiegen.“

Bleiben wir noch etwas bei der Liebhaberproblematik. Der ‘gemischte’ Jupiter kann innerhalb des mythischen Modells den Bedenken des ‘normalen’ Liebhabers in gesteigerter Form nachgehen. „Ist’s reine Liebe nur, die dich beseelt“, kann ein solcher Liebhaber seine Geliebte fragen, und diese Liebe vom „Pflichtbewußtsein“ gegenüber dem Gatten, insbesondere von der Zärtlichkeit, „Die sie ihm nur aus Pflicht als Gattin schenkt“, abgrenzen. „Ach, weißt du denn, was in mir glüht und brennt? / Es sind so heiße, wilde Flammen, / Wie sie kein Ehegatte kennt“. Der Liebhaber „Will die Geliebte ganz für sich allein“, ihr Herz soll „nur ihm“ gehören. Für den Liebhaber ist die „leidige Pflicht“ das, was „alle Seligkeit vergiftet und zerstört“. „Denk an den Liebsten nur und an den Gatten nicht.“

Unter den mythischen Vorzeichen des Gestaltenwechsels aber verdichtet sich diese externe Abgrenzung zu einer internen, die freilich – nach dem postulierten Überzeugungssystem Molières – als irreal gelten muss. „Geliebter bin ich dir und Ehgemahl / Und möchte doch nur der Geliebte sein – / Doch immer schiebt sich störend, mir zur Qual, / Der Gatte zwischen uns hinein“.

Da Alkmene Jupiter ja, dem Modell zufolge, für Amphitryon selbst hält und durchgängig halten muss, wird sie nun gedrängt, eine für sie sinnlose und nicht vollziehbare Unterscheidung zu treffen, was sie zurückweist. „Als deine Gattin erst kann ich mich dir ganz schenken, / Und meine Liebe frei gestehn“.

Jupiter sagt: „Ich will, daß du so heiß für mich empfindest, / Weil ich als Liebender dein Herz gewann, / Und deine Liebe nicht damit begründest, / Daß ich als dein Gemahl sie einfach fordern kann.“ Für diese Konstellation gibt es, wie wir sehen konnten, kein direktes Real-Äquivalent, wohl aber zwei indirekte Äquivalente, die durch eine Kompromissbildung vereinigt werden – die betrügerische Verführung hier, die ‘normale’ Verführung dort.

Das genügt zur dritten Szene. Die gesamte Nebenhandlung zwischen Sosias – Merkur / Sosias – Cleanthis, zu der die vierte Szene gehört, übergehe ich in meiner Interpretation. Ich begnüge mich mit der Behauptung, dass die Deutungsprobleme, welche die Nebenhandlung – die als Spiegelung der Haupthandlung aufgebaut ist – aufwirft, relativ leicht zu lösen sind.

 

Zum zweiten Akt. Mein Interpretationsansatz unterscheidet bekanntlich die mythische von der eigentlichen Problematik. Einerseits bin ich bestrebt, die mythische Problematik (Götter nehmen Menschengestalt an, und das hat Folgen) auf eine für Molières Überzeugungssystem reale Problematik (die ‘absolutistische’ Herrschaft und ihre Folgen) zu beziehen. Andererseits räume ich ein, dass das mythische Modell, obwohl es in ‘systematischer’ Hinsicht als Verkleidung einzuschätzen ist, eine gewisse Eigenständigkeit besitzt. Das mythische Szenario kann, gerade auch um der komödiantischen Effekte willen, frei ausgereizt werden.

Zu diesen Partien gehört offenbar die erste Szene. Hier stehen zwar ständig die Realkonflikte zwischen dem adligen Herrn und dem Diener im Hintergrund, doch vorrangig werden die Möglichkeiten des mythischen Modells effektvoll ausgespielt. Sosias ist ja tatsächlich seinem Doppelgänger, dem Gott Merkur in Menschengestalt, begegnet, für Amphitryon aber ist von vornherein klar, dass das nicht stimmen kann. Es handelt sich seiner Ansicht nach um einen „albernen Bericht“, und er erklärt sich das von Sosias Berichtete als Produkt des Traums, des Wahnsinns, der Trunkenheit oder der Lust am Unsinn. „Mensch, träumst du oder bist du toll? / Ist dir das Blut zu Kopf gestiegen? / Bist du des süßen Weines voll? / Schwatzt du nur Unsinn zum Vergnügen / Und willst, daß ich dir glauben soll?“ „Wer all das glaubte, wäre doch verrückt.“

Diese Konstellation, in der alles – nach Maßstäben der uns geläufigen Alltagserfahrung –  „auf den Kopf gestellt“ ist, führt zu paradox-witzigen Formulierungen und Dialogen. Einige Beispiele. Sosias erzählt: „Herr, ich war schon hier, / Bevor ich angekommen war.“ „Das Ich, das Ihr hier seht, kam matt und abgehetzt / Hier an; das andre, kampfesmutig, / Schlug ihm alsbald den Rücken blutig.“ „Gingst du denn nicht ins Haus hinein? Sosias: Wie sollt ich? Stand ich selbst doch vor der Türe / Und fing gewaltig an zu schrein: / Es ging mir schlecht, wenn ich mich auch nur rühre.“ „Der Ich, der nur für sich allein beansprucht, ich zu sein / [...] ließ mich nicht hinein.“

Die Strategie, die mythische auf eine reale Problematik zu beziehen, greift auch hier. Denn in mythisch-phantastischer Radikalisierung kommen immer auch Probleme des Verhältnisses zwischen Herr und Diener zur Sprache. „Natürlich! Was die Herrschaft sagt, / Muß immer tief und geistreich sein, / Doch wenn der Knecht ein Wörtlein wagt, / Dann sind es blöde Faselein.“

Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, dass es sich um eine außerordentlich weitreichende Form der Wahrheits-Verkennung handelt. Der eine ist einem (göttlichen) Doppelgänger begegnet, der andere glaubt nicht an die Existenz solcher Doppelgänger.

Es ist vielleicht nützlich, eine alternative Gestaltungsmöglichkeit zu erwägen. Molière hätte sowohl Amphitryon als auch Sosias als mythisch denkende Menschen darstellen können, für die es selbstverständlich ist, dass es a) Götter gibt und dass diese b) nach Belieben Menschengestalt annehmen können, die eben c) auch ihre eigene zu sein vermag. Die Szene hätte dann aber nicht mehr effektvoll gestaltet werden können. Denn ein Amphitryon, der in der angeführten Hinsicht mythisch denkt, könnte Sosias’ Bericht nicht mehr von vornherein als völlig unglaubwürdig ansehen. Er würde von selbst auf die Idee des Gestaltenwechsels kommen. Und für Sosias wäre wiederum die Doppelgänger-Erfahrung weniger radikal als für ein nicht-mythisches Alltagsbewusstsein. Innerhalb eines mythischen Denksystems gibt es keine andere Deutungsmöglichkeit als die folgende: ‘Das muss doch ein höheres Wesen sein, das – aus mir noch unbekannten Gründen – meine Gestalt angenommen hat’. Und es liegt dann nahe, den Weisungen dieses höheren Wesens zu folgen und demütig darauf zu warten, dass es den Gestalt-Mantel wieder auszieht.

Weshalb hat Molière diese Möglichkeit nicht gewählt? Erstens ist Molière vielleicht gar nicht auf die dargelegte Idee gekommen, weil sein eigenes Überzeugungssystem in dieser Hinsicht völlig unmythisch ist. Zweitens und vor allem aber wollte Molière, so meine Vermutung, das mythische Szenario primär als Vorwand benutzen, um eine ihn bedrängende Problematik seiner Zeit zu behandeln; mit einem solchen Konzept aber wäre die starke Aufwertung des mythischen Modells, zu der die alternative Gestaltung führen würde, nicht vereinbar. Deshalb konnte sie nicht gewählt werden.

Noch ein dritter Grund ist erwägenswert: Molière wollte offenbar auch ein Feuerwerk komödiantischer Effekte abbrennen, was wiederum mit seinem Literaturprogramm zusammenhängt. Solche Effekte lassen sich erzielen, wenn unmythische Menschen mit einem tatsächlichen mythischen Ereignis (hier: mit einem göttlichen Gestaltenwechsel) konfrontiert werden. Würden die Figuren hingegen ihrerseits mit einem mythischen Bewusstsein ausgestattet, so käme gerade keine witzige Spannung mehr zustande.

Die zweite Szene ist ähnlich gearbeitet wie die erste, und die soeben vorgetragenen Überlegungen lassen sich auf sie anwenden. Die unmythischen Menschen Amphitryon und Alkmene müssen, wie zuvor schon Sosias, ein tatsächliches mythisches Ereignis (hier: Jupiters Verwandlung in Amphitryon und die Liebesnacht mit Alkmene) verarbeiten.

Dabei sollte die denkbare Realproblematik nicht aus den Augen verloren werden: die betrügerische Verführung (durch den Herrscher) und die Folgen, die sie für das frisch verheiratete Ehepaar hat. Dass dies eine extreme Belastungsprobe darstellt, liegt auf der Hand. So muss der betrogene Ehemann sich zwangsläufig fragen, ob seine Gattin tatsächlich völlig unschuldig ist oder ob es sich nicht doch um eine ‘normale’ Verführung handelt, welche die Zustimmung der Verführten voraussetzt. Läge letzteres vor, so müsste auch an der Echtheit der bisherigen Liebesbekundungen der Ehefrau gezweifelt werden. Wenn sie schon „wenige Tage“ nach der Vermählung den Ehemann betrügt, so wird es auch mit der „ersten Liebe ganzer Glut“ nicht so weit her sein.

Das mythische Modell ermöglicht es nun, den Realkonflikt in phantastischer Form durchzuspielen. Das hat dramatische Vorteile, denn der getarnte Jupiter kann ja problemlos wiederkommen, während der getarnte menschliche Verführer sich nicht wieder blicken lassen könnte bzw. mit Gewalt, Erpressung und dergleichen arbeiten müsste, um erneut zum Zuge zu kommen.

Im Einzelnen. Amphitryon erwartet das zu Erwartende, dass Alkmene bei seiner Rückkehr als Sieger „beglückt“ und von „glühendem Verlangen“ erfüllt ist. Das „So schnell zurück?“ muss ihn arg enttäuschen und weckt erste Zweifel an der Echtheit der Liebe. „Ach, wen des Liebsten Wiederkehr / So wenig freut, dem ward die Trennung auch nicht schwer! / Spricht so das starke, innige Gefühl? / Ein Herz, das heiß in Liebe brennt?“

Der eher kühle Empfang, der aus Alkmenes Sicht völlig angemessen ist, hat sie den geliebten Gatten doch erst vor wenigen Stunden nach einer langen Liebesnacht verabschiedet, tut seinem „Herzen bitter wehe“. Das mythische Modell erlaubt es, den denkbaren Realkonflikt auf die tragische Spitze zu treiben. Nur hier kann ja die Ununterscheidbarkeit zwischen dem Gatten und dem betrügerischen Verführer voll aufrechterhalten werden, die es Alkmene ermöglicht zu sagen: „Als gestern abend du so plötzlich vor mir standst, / Wußt ich vor Freude kaum noch, wo ich bin. / Ich gab mich dir mit Leib und Seele hin. / Vergeblich frag ich mich, was du noch wünschen kannst.“ „Als ich jubelnd dich empfangen, / Da strahltest du und priesest dein Geschick. / Im Morgengraun erst bist du fortgegangen.“

Amphitryon – der uns ja bereits als unmythischer Mensch bekannt ist – kann nicht umhin, das Geschehen mit den Mitteln seines profanen Alltagsbewusstseins zu deuten, ebenso wie zuvor gegenüber Sosias. Eine Erklärung als Wunschtraum, als „Sehnsuchtstraum“ drängt sich auf. „Hat deiner Ungeduld vielleicht / Das Heißersehnte als erreicht / Ein Traumbild vorgetäuscht, Alkmene?“ „Nur wenn du träumtest, könnt ich dir verzeihn, / Was ich aus deinem Mund gehört.“

Die ebenfalls unmythische Alkmene, noch ohne jeden Verdacht, dass ein anderer die Stelle ihres Gatten eingenommen haben könnte, wendet notwendigerweise ähnliche Kategorien an. „Amphitryon, verwirrte dir vielleicht / Den Kopf ein Anfall von Migräne“? Eine „Krankheit“ muss wohl seinen „Geist verstört“ haben.

Der denkbare Realkonflikt lässt, ich erinnere daran, nur in Sonderfällen eine ähnliche Zuspitzung zu. Wenn der betrügerische Verführer z.B. nach dem Liebesakt sogleich das abgedunkelte Zimmer verlässt, kann die Betrogene weiterhin der Ansicht sein, alles sei in Ordnung. So kann eine ähnliche Konstellation wie die jetzige entstehen.

Amphitryon wird aus den Erzählungen Alkmenes allmählich klar, dass tatsächlich ein anderer seine Stelle eingenommen hat. Das „Gesinde“ hat ihn „gestern abend“ gesehen, Alkmene weiß „Einzelheiten eurer großen Schlacht“, die sie normalerweise nicht wissen könnte, und vor allem trägt sie bereits das „Geschmeide“, das ihr Mann ihr jetzt erst schenken will – „die Spange mit den Diamanten“.

Sosias, der ja den ihn betreffenden Teil des mythischen Ereignisses bereits durchlitten hat, meint: „Wer wird hier nicht an Zauber glauben wollen?“ Damit trifft er die Sache, denn Jupiter verfügt ja offenbar über die magische Fähigkeit, die Spange aus der Kassette zu entwenden, ohne das Siegel zerstören zu müssen. Dieses Ausreizen des mythischen Modells verliert aber nicht völlig die Bodenhaftung, denn es geht ja weiterhin um die betrügerische Verführung und die sich daraus ergebende Bedrohung des „Liebesglücks“ der Eheleute, die nicht zuletzt die „Mannesehre“ betrifft. Kränkend für den Mann ist es ja auch, wenn die Frau – guten Gewissens – die Liebeskunst des Doppelgängers rühmt: „Sooft wir auch beisammen waren – / Nie hab ich deiner großen Liebe Macht / So überwältigend erfahren.“ „Weh mir, das hat mich umgebracht.“

Während Amphitryon zuvor bei Sosias das Ereignis selbst noch wegzuerklären vermochte, hat ihn Alkmene nun mit harten Tatsachen konfrontiert, die eine solche Strategie unmöglich machen. Seine „Schmach“ ist offenbar. Da eine übernatürliche Erklärung, die einen göttlichen Doppelgänger annimmt, für ihn – trotz des Ausrufs: „Was hier geschieht, ist wider die Natur! / Ich weiß nicht, wie ich mir’s erkläre“ – immer noch nicht ernsthaft in Frage kommt, liegt es nahe, das Erklärungsmuster ‘Es war bloß ein Traum’ zu ersetzen durch ‘Es handelt sich um Ehebruch’: “Ich war’s nicht, der gewagt, sich dir zu nahn! / Auch dich muß ich drum schuldig sprechen!“ „Auf lodre, meines Herzens heiße Glut, / Und schreie laut nach Rache, Rache, Rache!“ Das „Lügennetz“ der ihn betrügenden Frau will er entzweireißen – der Bruder soll bestätigen, dass er „Seit gestern nicht von seiner Seite wich“. Und des „nächtlichen Besuchs Geheimnis“ will er aufdecken.

Alkmene glaubt zu wissen, dass ihr Gatte in der Nacht bei ihr war, und will, dass er es zugibt. Sie muss Amphitryons Reaktion als „widerlich verleumderisches Spiel“ empfinden, hinter dem sie das Bestreben vermutet, sie wieder loszuwerden. „Erkaltete so plötzlich dein Gefühl / Und wünschst du dich von mir zu trennen? / Fürwahr, du hättest dieses Ziel / Mit andern Mitteln auch erreichen können.“

Ich vernachlässige die – zur Nebenhandlung gehörenden – Szenen Drei, Fünf und Sieben und wende mich gleich den Szenen Vier und Sechs zu. Jupiter/Amphitryon kehrt an den Ort des Geschehens zurück. Der betrügerische göttliche Verführer hat von Alkmene noch keineswegs genug. Der Ehezwist soll Anlass für die Fortsetzung sein. „O welche Wonne wird es sein, / Wenn ich mich jetzt mit ihr versöhne!“

Die ganze Sequenz lässt sich weitgehend dem Ausreizen des mythischen Modells mit gelockertem Realitätsbezug zuordnen. Ein menschlicher betrügerischer Verführer könnte vielleicht die Verführung wiederholen – ein weiterer Treff im abgedunkelten Zimmer –, aber eine Versöhnung mit der Verführten ist nur unter mythischen Vorzeichen denkbar.

Dennoch lässt sich ein Realitätsbezug konstruieren. Der Dialog Jupiter – Alkmene verweist nämlich auf typische Versöhnungsgespräche zwischen entzweiten Liebenden. „Willst du kein gutes  Wort mir gönnen? / O sag, daß ich noch hoffen kann!“ „Den Mann, der mir so weh getan, / Kann ich fortan nicht meinen Gatten nennen.“

Ihr Mann erscheint der gekränkten, Züge von Hass zeigenden Ehefrau als „Ungeheuer, widerwärtig, greulich!“ „Schmerz und Verzweiflung“ sind an die Stelle der „Zärtlichkeit“ getreten. Aber in der Tat: Ein „Gefühl, wie wir es füreinander hegen“, kann nicht „Mit einemmal in nichts verwehn“. Es kann gewiss in Hass umschlagen, doch der Rückweg zur Liebe bleibt offen.

Molière wechselt also erneut die Bezugsproblematik und erzeugt eine Kompromissbildung. Jupiter stellt sein Verhalten zunächst als „bloßen Scherz“ dar, „den ich – es tut mir leid – / Zur Unzeit mir erlaubt“. Ein angesichts des Vorgefallenen wenig überzeugendes Manöver. Das wird im Kontrast zur Eifersuchtsreaktion deutlich, die für Alkmene nachvollziehbarer und verzeihlicher gewesen wäre. „Der Eifersucht unheimliche Gewalt / Kann auch den edlen Geist erfassen: / Hat sie ihn erst gepackt, dann kennt er keinen Halt, / Und Taten kann sie ihn vollbringen lassen, / Die nicht zu seinem Wesen passen.“

Doch: „Wenn er sich in verstellter Wut / Versündigt an den heiligsten Gefühlen – / Oh, das bedeutet Kränkung bis aufs Blut! / Was du mir angetan, machst du nie wieder gut!“ Jupiter versucht dann in einem zweiten Schritt das, was er „heut verbrach / Nicht zu entschuldigen, nur zu erklären“. Hier kommt eine andere Bezugsproblematik wieder ins Spiel, nämlich die des ‘normalen’ Liebhabers, der um Abgrenzung vom Gatten bemüht ist und diesem vorgezogen werden möchte. „Die Schuld an dem Geschehnen trägt / der Gatte nur. Der Liebende indessen / Der dich in seinem tiefsten Herzen hegt, / Hätte sich nie so weit vergessen!“

Das mythische Modell erlaubt also hier eine Verklammerung dreier Problematiken (die betrügerische Verführung, der große Ehekrach zwischen Liebenden, die ‘normale’ Verführung), die in der Erfahrungswirklichkeit deutlich voneinander unterschieden sind.´Innerhalb des mythischen Modells trifft es zu, dass nicht der Verführer/Liebhaber, sondern der Gatte an dem Streit beteiligt war, obwohl die eigentliche „Schuld“ natürlich Jupiter zukommt.

Hier ist erneut ein Realitätsbezug herstellbar. Der radikal-egoistische Herrscher zerstört nicht nur durch ein Betrugsmanöver eine junge und völlig intakte Ehe – er versucht aus dieser Situation auch noch Profit für sich zu schlagen, indem er den Gatten, dessen Verhalten für ihn vorhersehbar gewesen ist, als den eigentlich Schuldigen ausgibt. Ein ziemlich niederträchtiger und bösartiger Schachzug. „Der Gatte war’s, der Ehemann, / Der sich an dir vergriff, nur weil er glaubte, / Daß Hymens Hausrecht ihm erlaubte, / Sich aufzuspielen als Tyrann.“

Wählt man jedoch die ‘normale’ Verführung bzw. Liebschaft als Bezugssystem, so wird Jupiters Vorgehen völlig verständlich.„Drum hasse, drum verachte den Gemahl / Ich tu’s mit dir [...] / Gewöhne dich zu unterscheiden, / laß des Geliebten für des Gatten Tat, / An der er keinen Anteil hat, / Nicht unverdienterweise leiden.“

Für die unmythische Alkmene sind das bloße „Silbenstechereien“, sie „kann / Und will die zwei nicht unterscheiden“. Jupiter muss das einsehen, und er nimmt im letzten Versuch schließlich die „ganze, schwere Schuld“ – sofern sie mit dem Verhalten Amphitryons zusammenhängt – auf sich. „Bei jener Flamme, die in meiner Seele brennt / Und die zu stillen dir allein vergönnt – / Erbarm dich, schenk mir deine Gnade wieder!“ Verweigert Alkmene die Versöhnung, so will er „durch dieses Schwert der Qual ein End’“ machen. Diese „Sühne“ anzunehmen, kann Alkmene die „Kraft“ nicht finden. Angesichts der Alternative „Tod oder Gnade“ ist sie zur Verzeihung bereit, sich allerdings ihrer „Schwäche“ schämend.

Da in dieser Szene drei Problematiken miteinander in einem mythisch-phantastischen Rahmen verschränkt sind, müssen bei der Interpretation auch die zugehörigen Realbezüge berücksichtigt werden. Im Kontext der ‘normalen’ Verführung und Liebschaft ist eine Versöhnung nach Selbstmordandrohung ebenso denkbar wie bei einem großen Ehekrach zwischen Liebenden. Im Kontext der betrügerischen Verführung ist eine solche Versöhnung jedoch völlig undenkbar. Hier fällt daher alles auf den radikal-egoistischen Betrüger – den Herrscher – zurück. Er versucht, wie bereits erwähnt, aus dem von ihm verschuldeten Ehezwist noch Vorteile für sich zu gewinnen. Er macht den gelinkten Gatten herunter und baut sich selbst als Alternative auf. Er spielt auch am Ende ein falsches Spiel, denn er würde sich niemals bei Nicht-Erreichen der Versöhnung töten – dafür steht auf der Ebene der mythischen Verpackung die Tatsache, dass er unsterblich ist. Er scheint vielmehr geschickt einzukalkulieren, wie die ihren Gatten im Innersten noch liebende Frau auf das Entweder – Oder reagieren muss.

Einige Elemente aus Jupiters Selbstbezichtigung müssen – in Kontext der betrügerischen Verführung betrachtet – als zutreffend gelten. Er brachte „nichts als Leid“. „Zu jeder Schandtat stets bereit, / Den Göttern wie den Menschen gleich zur Last.“ Würde Jupiter Alkmene wirklich lieben – und Liebe ist ja mit dem Bestreben verbunden, das Wohl des anderen zu fördern und nicht zu unterminieren –, würde er sie nicht bloß begehren, so hätte er eine betrügerische Verführung niemals unternommen.

Noch ein Wort zum mythischen Modell. Innerhalb der unmythischen Denkweise Alkmenes kann es grundsätzlich keine befriedigende Erklärung des Geschehenen geben, und so muss sie sich mit Halbheiten begnügen, die auf Dauer keinen Bestand haben.

 

Ich komme jetzt zum dritten und letzten Akt. In der ersten Szene begegnen wir dem völlig desorientierten Amphitryon, der sich – im Rahmen unmythischen Denkens verbleibend – um des „Rätsels Lösung“ bemüht, die so jedoch nicht zu finden ist. Er kann nicht wirklich glauben, „daß ein böser Geist mich genarrt“. Er kann letztlich nur hoffen, Alkmene sei „nicht bei Verstande“ gewesen, obwohl auch damit das Geschehene nicht voll zu erklären ist.

Das Zusammentreffen zwischen Amphitryon und Sosias/Merkur lässt sich – jenseits des mythischen Modells, das erneut gewinnbringend ausgereizt wird – auf das Verhältnis zwischen dem Handlanger des betrügerischen Herrschers und dem betrogenen Angehörigen der ‘herrschenden Klasse’ beziehen. Das adlige Werkzeug der bösartigen Pläne kann seine eigene Bösartigkeit voll ausleben. So bemüht sich Merkur, „zum Spaß“ den bereits arg gebeutelten Amphitryon „recht gründlich zu verhetzen“: „tückisch ist schon mein Planet, / Da will auch ich mir was erlauben.“ Zwar sollen die Menschen bzw. das Volk den Göttern bzw. dem Herrscher „Erhabne Güte“ zuschreiben, aber dies ist bloßer Schein, der die Wahrheit verbirgt.

Natürlich ist auch die bereits bekannte Herr-Diener-Beziehung im Spiel, denn Amphitryon muss ja glauben, es mit ‘seinem’ Sosias zu tun zu haben. „Na warte nur, du Hundesohn! / Mein Knüppel wird dich bald belehren, / Ob es sich ziemt, in diesem Ton / Mit dem Gebieter zu verkehren.“ „Du wirst bald sehn, was einem Schufte / Von einem Knecht gerät, / der seinen Herrn verrät.“

Entscheidend ist jedoch, dass das männliche Neben-Opfer der betrügerischen Verführung von einem Mitglied der Verführer-Clique systematisch weiter erniedrigt wird. Zum Beispiel so: „Ein kleiner ehelicher Zwist / War nur dazu bestimmt, den Frieden einzuleiten. / Nun schwelgen sie in Tausend Seligkeiten. / Begreifst du, daß du überflüssig bist?“

Amphitryon muss, seiner unmythischen Denkweise folgend, nun zur Überzeugung gelangen, dass eine ‘normale’ Liebschaft vorliegt, was den Verlust seiner „Ehre“ bedeutet und seine „Liebe“ lächerlich macht. Für ihn gibt es jetzt kein Zögern mehr. „Nichts soll, nur wilde Rachbegier / Fortan in meinem Herzen wohnen!“

In der Realität wird sich eine solche Rache direkt gegen den betrügerischen Verführer richten, d.h. gegen den Herrscher, dem der adlige Feldherr aber auf der anderen Seite Gehorsam schuldig ist und den er wahrscheinlich auch verehrt.

Ich vernachlässige III/4 und wende mich gleich Jupiters Auftritt zu. „Unerhört! Amphitryon seh ich verdoppelt hier!“ Für den ‘echten’ Amphitryon ist das gleichbedeutend mit der Vernichtung seines Glücks. Weiterhin wird freilich versucht, das Rätsel innerhalb der unmythischen Denkweise zu lösen. Demnach haben wir es mit zwei Menschen zu tun, die einander auf verblüffende Weise gleich sind. „Wie die Natur so etwas fertig brachte? / Dies Rätsel ist für mich zu schwer.“ Es soll somit auf profane Weise entschieden werden, wer der echte Amphitryon ist.

Für Alkmene ergibt sich daraus eine gewisse Entlastung, da sie jetzt als unschuldig Betrogene erscheint. Diese Entlastung ist allerdings begrenzt. In III/7 sagt Amphitryon: „Und ob sie’s auch nicht merkt, / ihr Herz ist nicht mehr rein. / Denn in der Seele tiefstgeheimes Leben / Greift solch ein Irrtum ja hinein“. Wenngleich diese Konstellation nur innerhalb des mythischen Modells möglich ist, müssen wir nach denkbaren Realitätsbezügen fragen.

Das männliche Neben-Opfer einer betrügerischen Verführung stellt den Herrscher zur Rede und will ihn zum Duell fordern. „Nun muß das blanke Eisen her / Als einziges Mittel, das dem Spuk ein Ende machte!“ Er will „mit des Betrügers Blut die Schande“ wegspülen. Die Offiziere halten ihn zurück und arbeiten so de facto Jupiter in die Hände. „Wo Eure Pflicht, mit mir zu kämpfen, wäre, / Da weicht ihr feige aus und reißt auch mich zurück!“

Der Herrscher bleibt ganz cool. „Ihr seht, daß ich die Fassung nicht verlor. / Ich denke nicht daran, das Schwert zu zücken. / Ich ziehe sanftre Mittel vor“. Er spielt seinen Status-Vorteil geschickt aus. Er dreht vor allem den Spieß um. Die sich im mythischen Modell ergebende Frage danach, wer „der Echte“ ist, verweist somit auf die Strategie des radikal-egoistischen Herrschers, die Schuldverhältnisse zu seinen Gunsten umzuverteilen. Jupiter will seine „guten Rechte“ beweisen.

Jupiter will aus angeblich moralischen Gründen „Rechenschaft vor aller Welt“ geben. „Alkmenen gegenüber hab ich Pflichten. / Ich muß das Lügennetz vernichten, / Das ihren guten Ruf bedroht.“ Bezieht man das auf die Problematik der betrügerischen Verführung, so werden die Implikationen erkennbar. Die Tat des Herrschers ist ruchbar geworden, und er ist genötigt, sein Image wiederherzustellen. Der sich an keine Moral gebunden Fühlende setzt zu diesem Zwecke die Maske des Moralisten auf und gibt vor, am „guten Ruf“ der von ihm Verführten interessiert zu tun. Aus dem Minus macht er ein Plus: Alkmene ist nicht von einem X-Beliebigen verführt worden, sondern vom obersten Herrscher, und darauf sollte sie stolz sein. So wie die von Jupiter in Tiergestalt Verführten stolz darauf sein können, vom obersten Gott ausgewählt worden zu sein.

Diese Rechtfertigungsstrategie muss auf diejenigen, die im absolutistischen Herrschaftssystem zur ‘herrschenden Klasse’ gehören und die die amoralischen Grundlagen dieses Systems zumindest implizit akzeptieren, überzeugend wirken: Wenn der Herrscher dahinter steckt, dann ist alles in Ordnung. „Ja, nun wird alles offenbar: / Der, von Alkmenens Reiz berauscht, / Mit ihrem Gatten die Gestalt getauscht – / Wißt, daß es Jupiter, der Herr der Götter war.“

Jupiter – „immer noch in Amphitryons Gestalt, aber mit Donnerkeil und Adler, in einer Wolke“ – verkündet: „Nun sich als Trug erwies, woran du blind geglaubt, / Und sich ein Weg zurück zu Ehr’ und Frieden fand, / Erhebe wieder stolz dein Haupt!“

Damit schließt sich dann der Kreis. Die betrügerisch Verführte kann stolz darauf sein, vom Herrscher erwählt worden zu sein. Und der entehrte Ehemann kann eben diese Erwählung als Wiederherstellung seiner verlorenen Ehre betrachten. „Wer in sein Glück mit Jupiter sich teilt, / Kann nimmermehr für ehrlos gelten, / Es muß vielmehr sein Ruhm noch heller strahlen, / Hat er der Götter höchsten zum Rivalen. / Du hast nicht den geringsten Grund zu klagen.“

Einer Fortsetzung des zwischenzeitlich zerstörten „Liebesglücks“ steht nun nichts mehr im Wege. Beide können schließlich stolz darauf sein, dass aus der Liebesnacht ein Kind des Herrschers hervorgehen wird. Und sie sind überzeugt, dass dies Kind nur ein großer Held – für den im mythischen Modell Herkules steht – werden kann. Zu befürchten ist allerdings, dass der Sohn eher eine Neuauflage seines Vaters sein wird. In mythischer Verpackung: „Es ist mein Wille, / Daß dir ein Sohn geboren werde, / Des Name Herkules die Welt mit Ruhm erfülle. / [...] Die Welt soll sehn, daß ich dir gnädig bin, / Und dich um meine Gunst beneiden.“

Die naheliegenden Zweifel daran, dass die Frucht der betrügerischen Verführung ein ruhmreicher Held sein wird, werden vom – erwiesenermaßen radikal-egoistischen – Gott per Dekret abgewehrt. „Wie ich dir’s sage, wird’s geschehn. / Daran zu zweifeln ist Verbrechen. / [...] eines Jupiter Versprechen / Bleibt unerschütterlich bestehn.“ Wahrscheinlicher ist, dass jedes seiner Versprechen nur solange bestehen bleibt, bis sich seine Bedürfnislage so verändert, dass es um der Erfüllung der neuen Bedürfnisse willen preisgegeben werden muss.

Das Herabsteigen des Herrschers von seinem „Himmelsthron“ wird als „Gnade“ für die davon Betroffenen drapiert. „Für unsere Demut will er uns zum Lohn / Die allerschönsten Dinge schenken.“ Nach meiner Interpretation ist es aber höchst fraglich, ob der versprochene „Heldensohn“, der „die Welt in neue Bahnen lenken“ soll, jemals kommen wird. Im Gegenteil: Das Versprechen von „allerschönsten Dingen“ dieser Art, das den Herrscher keinen Centime kostet, kann eher als Mittel der indirekten Herrschaftssicherung gelten.

Am Ende sind, so scheint es, alle zufrieden. Tatsächlich wird jedoch gezeigt, mit welch perfiden Mitteln das Herrschaftssystem arbeitet und wie es – durch passende Formung der Charaktere – sich zu erhalten vermag. Innerhalb des mythischen Modells sagt Naukrates treffend: „Wenn solche Dinge in der Welt geschehen, / Muß einem der Verstand ja stillestehen.“

Jupiter räumt am Ende ein, „Daß ich, obgleich ein Gott, das Spiel verlor. / Alkmene hängt an dir mit Herz und Sinnen, / Und täuscht’ ich ihr des Gatten Bild nicht vor, / Nie wär es mir geglückt, sie zu gewinnen. / Und macht dich das nicht stolz, du Tor, / Daß sich der Gott trotz allem Glanz und Prangen / Durch eigne Kraft nicht ihre Gunst erschlich – / Denn was ich auch von ihr empfangen, / Bestimmt war’s immer nur für dich!“

Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz wahr. Denn Jupiter hat ja keineswegs konsequent versucht, Alkmene zum Vollzug der Unterscheidung zwischen Geliebtem und Gatten zu bewegen; dazu hätte er sich ja in irgendeiner Weise als Nicht-Amphitryon zu erkennen geben müssen. Daher kann keine Rede davon sein, dass er „das Spiel verlor“.

Jupiter hat vielmehr auf allen Ebenen gewonnen: Er hat Alkmene ‘gehabt’, ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen. Er nutzt die betrügerische Verführung sogar zur Stabilisierung seiner Herrschaft. Die Betrogenen betrachten es als Ehre und als Gnade, betrogen worden zu sein.     

Das Verhalten der arglos Verführten während der Verführung wird zwar richtig als Beweis für die Echtheit ihrer Liebe zu Amphitryon dargestellt, aber zugleich als weiterer Punkt in der Reihe ‘Darauf kannst du stolz sein’ verbucht. Sosias kommentiert treffend: „Wie nett versüßt Herr Jupiter die Pille!“

In dieser Welt spielen auch die Handlanger des Herrschers den einfachen Leuten schon schlicht „aus Langeweile“ böse mit, und diese sollen das – wie die ausgetricksten Adligen – sogar als „Ehre“ betrachten. „Zum Trost gesagt: Kriegst du von einem Gotte Keile, / Gereicht dir das zur Ehre nur.“

Sosias repräsentiert diejenigen, die unter diesem Herrschaftssystem leiden und die deshalb besser als die Herrschenden erkennen können, wie es funktioniert. „Nun, mein Herr Gott, das muß ich schon bekennen: / Auf diese Ehre bild ich mir nichts ein.“ „Noch nie ist mir in meinem Leben / Solch eine Teufelsbrut von Gott begegnet.“

Sosias weiß auch um die Fragwürdigkeit des scheinbar glücklichen Endes. „Ihr Herrn, darf ich Euch einen Rat erteilen? / Empfehlen möcht ich, sich nicht so / Mit Eurem Glückwünsch zu beeilen.“ So wie im Mythos „der Gottheit weises Walten“ verehrt werden soll, soll im Absolutismus des Herrschers weises – tatsächlich aber radikal-egoistisches – Walten verehrt werden. Angesichts der Gefahren, die dem Andersmeinenden durch die gewalttätigen Handlanger drohen, ist es für Sosias am klügsten, „jetzt still nach Haus zu gehn“. Für Mutigere stehen vielleicht andere Wege offen.

Am Ende eines weiteren Zusammentreffens mit seinem Doppelgänger (in III/6) deutet Sosias freilich eine Handlungsperspektive an, die sich im Prinzip zu einer politischen Handlungsalternative verallgemeinern ließe. „Das Klügste wäre, sollt ich meinen, / Wenn sich der unglückselige Sosias / Und der unglückselige Amphitryon vereinen.“ Die Entsosiasten und die Entamphitryonten sollten sich zusammentun, dann ließe sich dem absolutistischen Herrschaftssystem vielleicht ein Ende bereiten.

Ich habe mich auf eigene Faust in die Welt Molières begeben und eine Basis-Interpretation entwickelt. Diese – die Nebenhandlung vernachlässigende – Textdeutung formuliert, wie es die Interpretationstheorie verlangt, Hypothesen über die Textkonzeption, das Literaturprogramm und das Überzeugungssystem Molières. Auch die Zusatzfrage, ob die textprägende Weltauffassung mythisch-religiöser oder profaner Art ist, wurde berücksichtigt. Es hat sich gezeigt, dass das vorgeschlagene Hypothesengefüge geeignet ist, alle oder nahezu alle Text-Tatsachen zu erklären – Tatsachenkonformität und Bestätigungsgrad sind also recht hoch.

 

Zum Abschluss möchte ich mich, wie schon bei Christa Wolfs Medea, noch einmal den speziellen Deutungsproblemen zuwenden, die sich aus dem früheren Textvergleich ergeben. Die wissenschaftliche Textinterpretation muss ja in jedem Einzelfall in der Lage sein zu erklären, weshalb ein neues Element eingeführt, ein altes beibehalten bzw. ganz weggelassen wird. Der Einfachheit halber begnüge ich mich, anhand des Schaubilds, mit dem Vergleich zwischen Plautus und Molière. Die Antworten auf die Weshalb- oder Was-steckt-dahinter-Fragen erfolgen im Licht der bisherigen Interpretation, sie leiten aus den Hypothesen und den Ergebnissen Folgerungen ab, die es erlauben, das jeweilige Spezialproblem zu lösen.

1. Der Prolog wird beibehalten, aber anders gestaltet. Weshalb?

Die Beibehaltung des Prologs ist für Molières Konzept grundsätzlich sinnvoll, denn dadurch kann der Rezipient von vornherein für die eigentliche Problematik der Herrscher- und Herrschaftskritik sensibilisiert werden. Da die Prologanlage bei Plautus dem neuen Konzept jedoch nicht entspricht, musste sie verändert werden. Das Gespräch Merkurs mit Frau Nacht stellt eine überzeugende Problemlösung dar.

2. Bei Plautus wird im Prolog die Zeugung des Herakles angekündigt, dieses Element fällt bei Molière weg. Weshalb?

Die zentrale Problematik Molières ist, wie sich gezeigt hat, die betrügerische Verführung durch den Herrscher. Ein solcher radikal-egoistischer Herrscher wird durch Leidenschaft angetrieben – nicht durch den Willen, einen Helden-Sohn zu zeugen. Deshalb musste dieses Element wegfallen.

3. Der doppelte Gestaltenwechsel Jupiters und Merkurs wird beibehalten. Weshalb?

Das ist ja der Kern der ganzen Geschichte, und diese Geschichte wird von Molière – im Sinn einer kreativen künstlerischen Deutung – durch den Bezug auf die absolutistische Herrschaft mit einer neuen Bedeutung ausgestattet.

4. Die Sosias-Merkur-Szene wird im Prinzip beibehalten. Weshalb?

Sie wird – gemäß der Antwort auf die dritte Frage – durch den Bezug zum Handlanger des Herrschers mit einer neuen Bedeutung versehen.

5. Anders als bei Plautus zieht Sosias bei Molière keinen Nutzen aus dem Verlust seiner Identität. Weshalb?

Hier müsste ausführlicher auf die Version des Plautus eingegangen werden. Die Richtung, in der die Antwort zu finden ist, ist jedoch klar: Molière musste Sosias’ Identitätsverlust seiner Textkonzeption entsprechend gestalten. Und zu einem Opfer der Herrscher-Clique passt es besser, wenn Sosias keinen Nutzen zieht.

6. Der Abschied Jupiters von Alkmene wird beibehalten. Weshalb?

Weil dies auch zur veränderten Gestaltungsidee gut passt.

7. Jupiters Wunsch, dass Alkmene eine Unterscheidung zwischen Geliebtem und Gatten trifft, wird von Molière neu eingeführt. Weshalb?

Das ist, wie wir sehen konnten, ein recht schwieriger Punkt. Meine Antwort: Um das mythische Modell mit Durchblick auf die Problematik des betrügerischen Verführers konsequent durchhalten zu können, musste Molière Jupiter auch mit Zügen des ‘normalen’ Verführers ausstatten. Zu einem solchen Verführer aber gehört die besagte Unterscheidung.

8. Die Spiegelung der Eheproblematik auf Dienerebene wird von Molière neu eingeführt. Weshalb?

Dies neue Element ermöglicht sowohl eine Erkenntnisvermittlung durch Spiegelung als auch erwünschte komödiantische Effekte. Deshalb wird es gewählt.

9. Auch bei Molière glaubt der Feldherr dem Bericht seines Sklaven über die Vorfälle der vergangenen Nacht nicht. Weshalb?

Dieses Element fügt sich zwanglos in die neue Textkonzeption ein.

10. Der Ehestreit wird beibehalten, wenngleich etwas anders gestaltet. Weshalb?

Dieses Element fügt sich ebenfalls in die neue Textkonzeption ein, die freilich einige Detailveränderungen nahe legt.

11. Molière führt den Ehestreit zwischen Cleanthis und Sosias neu ein. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 8.

12. Die Versöhnung wird in abgeschwächter Form beibehalten. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 10.

13. Molière fügt folgendes Element neu ein: Sosias will sich mit Cleanthis versöhnen, sie lehnt ab. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 8.

14. Das Element Merkur/Sosia vertreibt Amphitruo vom Palasttor wird beibehalten. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 9.

15. Der erneute Ehestreit fällt bei Molière weg. Weshalb?

Er ist für sein Textkonzept überflüssig.

16. Das Element Amphitruo will Rache an Sosia nehmen wird beibehalten. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 9.

17. Das Element Anwesende können nicht feststellen, wer der echte Amphitryon ist wird beibehalten. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 9.

18. Das Element Juppiter/Amphitruo geht zu Alcumena, die in den Wehen liegt wird bei Molière durch ein anderes ersetzt. Weshalb?

Siehe zunächst die Antwort auf Frage 2. Dass sich Sosias auf die Seite Jupiter/Amphitryons stellt, passt zur neuen Nebenhandlung.

19. Das Element Amphitruo will Freunde holen, die seine Identität beweisen sollen wird beibehalten. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 9.

20. Molière fügt eine erneute Begegnung Sosias’ mit Merkur/Sosias ein. Weshalb?

Das ist eine naheliegende Konsequenz der Einführung einer Nebenhandlung.

21. Das Element Der Feldherr stürzt von Blitz und Donner Juppiters betäubt zu Boden wird durch ein anderes ersetzt. Weshalb?

Es passt nicht mehr zur neuen Textkonzeption, der die spätere indirekte Stolz-Vermittlung korrespondiert.

22. Das Element Bromia berichtet dem erwachten Amphitruo von der Zwillingsgeburt fällt weg. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 15.

23. Die Aufklärung über die Doppelgängergeschichte wird im Prinzip beibehalten, aber leicht verändert. Weshalb?

Siehe die Antwort auf Frage 10.

24. Molière führt das Element Jupiter beteuert, dass Alkmene nur Amphitryon liebe, neu ein. Weshalb?

Die Interpretation hat gezeigt, dass dieses neue Element perfekt zur Strategie der Kritik an einem Herrscher passt, der auch seine Untaten noch zur Herrschaftssicherung zu nutzen vermag.

25. Das Element Amphitruo zufrieden mit den Worten des Gottes fällt weg. Weshalb?

Dieses Element wäre zwar mit der neuen Gestaltungsidee vereinbar gewesen, aber dadurch, dass sich Amphitryon nicht ‘positiv’ äußert, kann die von Sosias vorgenommene Problematisierung des happy ends stärker wirken.

Es zeigt sich also, dass auch alle speziellen Deutungsprobleme mit Hilfe des vorgestellten Hypothesengefüges lösbar sind.


[15] Der Einfachheit halber wurde mit einer deutschen Übersetzung des Stücks gearbeitet: Molière: Amphitryon. Übersetzt von A. Luther. Stuttgart 1986.

[16] Corinna Thiel hat die Situation verdeckter Verführung weiter ausphantasiert: Es dürfte kein Gespräch zwischen beiden stattfinden, die körperliche Beschaffenheit (Statur, Größe usw.) des Verführers müsste der des Ehemanns ähnlich sein. Von Vorteil für den Verführer könnte sein, dass das Paar erst wenige Tage verheiratet ist, so dass Alkmene noch nicht umfassend mit Amphitryon vertraut ist.


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