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2. 4. 1. Herrenmoral und Sklavenmoral

Die wahre Kritik der Moral, die nicht vor den Grenzen der herrschenden Werte halt machen möchte sondern auch diese noch sprengen will, muss zunächst die moralische Vorstellung  der Universalität der eigenen Moral aufgeben und einen Blick auf andere Formen von Moral werfen. Damit wird Nietzsche zu einem Ethnologen[298] der eigenen Moral, da er diese nun behandelt wie jene anderer Kulturen. Nietzsche meint in den verschiedenen Ausformungen zwei ‚Grundtypen‘ zu erkennen:

Es giebt Herren-Moral und Sklaven-Moral; - ich füge sofort hinzu, dass in allen höheren und gemischteren Culturen auch Versuche der Vermittlung beider Moralen zum Vorschein kommen, noch öfter das Durcheinander derselben und gegenseitige Missverstehen, ja bisweilen ihr hartes Nebeneinander – sogar im selben Menschen, innerhalb Einer Seele.[299]

Die Unterscheidung zwischen Herrenmoral und Sklavenmoral bedeutet eine zweifache Form der Wertschätzung. Der Herr[300] schätzt ‚hoch‘ und ‚vornehm‘, der Sklave ‚niedrig‘ und ‚gemein‘. Deleuze verwendet den Begriff der Wertschätzung zur Kritik der Werte. Wertschätzen bedeutet für ihn nicht nur die Schätzung durch einen Wert, sondern in erster Linie ein Schätzen, aus dem sich der Wert erst ergibt. Die Art der Schätzung bestimmt den Wert:

Es gibt Dinge, die man nur unter der Bedingung sagen, fühlen oder begreifen, Werte, an die man nur unter der Bedingung glauben kann, daß man ‚niedrig‘ schätzt, ‚niedrig‘ lebt und denkt. Dies ist das Wesentliche: Das Hohe und das Niedrige, das Vornehme und das Gemeine sind keine Werte, sondern stellen das differentielle Element dar, aus dem Wert der Werte selbst sich erst ableitet.[301]   

Damit ist eine Ebene hinter den bestehenden Werten erreicht, die den „philosophischen Arbeitern“ verwehrt bleibt. Die Grunddifferenz der Wertschätzungen spiegelt zugleich eine Relation von Kräften wider. Der Herr steht für die aktive, der Sklave für die reaktive Kraft. Auch wenn die aktive Kraft die reaktive dominiert, ihrer Herr wird, bleiben beide doch Kräfte[302]. Nietzsche ersetzt die Statik ‚ewiger Werte‘ durch die ‚Dynamik‘ wechselnder Kräfteverhältnisse.

Die oben erwähnte Ebene hinter den bestehenden Werten ist der Bereich „Jenseits von Gut und Böse“. Denn ‚Gut und Böse‘ ist die Differenz, welche es nach Nietzsche zu hinterfragen gilt. Diese Unterscheidung ist eben nicht zeitloser Ausdruck einer universellen Moral, sondern verdankt ihre Herkunft der Sklavenmoral: „Die Sklavenmoral ist wesentlich Nützlichkeits-Moral. Hier ist der Herd für die Entstehung jenes berühmten Gegensatzes ‚gut‘ und ‚böse‘.“[303] Schon in MR beklagt Nietzsche den Umstand, dass ‚gut‘ und ‚böse‘ als Wertmaßstäbe einfach übernommen worden sind.[304] Die Forderung der Moral, das ‚Böse‘ an sich selbst bis zu seinem Grunde zu bekämpfen, um ausschließlich das ‚Gute‘ zu fördern, bezeichnet Nietzsche explizit als „ideologisch“[305].

Was sind nun die Charakteristika der Sklavenmoral und ihrer Differenz ‚gut‘ und ‚böse‘? Nietzsche definiert den Sklaven als eine Person, die aus der Verneinung existiert. Er ist nicht in der Lage, sich in einem ausschließlichen Selbstbezug zu definieren, denn „die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehen, immer zuerst einer Gegen- und Aussenwelt, sie bedarf, physiologisch gesprochen, äusserer Reize, um überhaupt zu agiren, – ihre  Aktion ist von Grund aus  Reaktion“ [306]. Das Außen kann nicht bejaht werden, im Gegenteil „sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem ‚Ausserhalb‘, zu einem ‚Anders‘, zu einem ‚Nicht-selbst‘: und dies Nein ist ihre schöpferische That“.[307]

Wenn Nietzsche von „schöpferisch“ spricht, so heißt dies wieder nur: Schöpfung auf Grund einer Verneinung, im Sinne des Ressentiments:

Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werthe gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der That versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten.[308]

Der Herr muss den Sklaven gemäss seiner Unterscheidung als ‚böse‘ bezeichnen, ehe er zur Bejahung des Selbst und somit zum Begriff ‚gut‘ kommt. Der Herr ist aus Sicht des Sklaven Bedrohung, Gefahr und Übermacht, etwas, was dem Sklaven zustößt, und ist somit Ziel der ersten Bezeichnung, ehe der Sklave zur ersten Bejahung kommt, indem er ‚gut‘ auf sich bezieht. Deleuze spricht in diesem Zusammenhang von einem „sonderbaren Syllogismus“[309] von Verneinung und Bejahung. 

Ganz anders gibt sich dagegen der Herr. Er bejaht sich selbst, bevor sein Blick – mehr zufällig – auch einmal auf den Sklaven gleitet. Er braucht für seine Identitätsstiftung weder Verneinung noch Äußeres, er agiert und setzt seine Werte selbst:

Die vornehme Art Mensch fühlt sich als als werthbestimmend, sie hat nicht nöthig, sich gutheissen zu lassen, sie urtheilt ‚was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich‘, sie weiss sich als Das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist werthschaffend. Alles, was sie an sich kennt, ehrt sie: eine solche Moral ist Selbstverherrlichung. Im Vordergrunde steht das Gefühl der Fülle, der Macht, die überströmen will, das Glück der hohen Spannung, das Bewusstsein eines Reichthums, der schenken und abgeben möchte: – auch der vornehme Mensch hilft dem Unglücklichen, aber nicht oder fast nicht aus Mitleid, sondern mehr aus einem Drang, den der Überfluss von Macht erzeugt.[310]

Entsprechend operiert der Herr, der Vornehme, der Starke mit einer anderen Differenz als der Sklave. Dienen diesem die reaktiven Werte ‚gut‘ und ‚böse‘ zur Orientierung und Lebenserhaltung, lässt sich jenem das Paar ‚gut‘ und ‚schlecht‘ zuordnen.

Nietzsche entwickelt die Unterscheidung des Herrn in einer Art moral-etymologischem Verfahren.[311] Er kommt zu dem Schluss, dass der Begriff ‚gut‘ in verschiedenen Sprachen  immer „im ständischen Sinne“ von „vornehm“ oder „edel“ verwendet wurde, während eine parallele Entwicklung die Termini „‚gemein‘, ‚pöbelhaft‘, ‚niedrig‘ schliesslich in den Begriff ‚schlecht‘ übergehen macht“[312].

Die Schwäche des Sklaven zwingt ihn zur Entwicklung verschiedener Strategien. Um den physiologischen Nachteil gegenüber dem Starken zu kompensieren, verlegt sich der Schwache auf Klugheit, Verstellung und gesellschaftliche Verbindung. In WL hatte der Intellekt eine doppelte Funktion im Dienste der Lebenserhaltung der Schwachen: als Instrument der Verstellung und als Sozialisationsmittel zur Fixierung der Wahrheit. Der Starke und Edele hat dagegen keine Gesellschaft und somit keine Verstellung nötig:

Eine Rasse solcher Menschen des Ressentiment wird nothwendig endlich klüger sein als irgendeine vornehme Rasse, sie wird die Klugheit auch in ganz andrem Maasse ehren: nämlich als eine Existenzbedingung ersten Ranges, während die Klugheit bei vornehmen Menschen leicht einen feinen Beigeschmack von Luxus und Raffinement an sich hat ...[313]

Innerhalb von Gesellschaft geschieht auch die ‚Züchtung‘ des Schwachen, der nicht mehr die raubtierhafte Gefährlichkeit des Herrn aufweist. Als Folge eines wahrheitsversichernden Instinkts bedarf der Sklave auch eines Gedächtnisses, da sonst keine konstanten Wahrheiten ausgehandelt werden könnten. Der Herr bedarf keines Gedächtnisses, er agiert alles Triebhafte direkt aus und muss es, anders als der vergesellschaftete Schwache, nicht unterdrücken. Selbst wenn ihn mal das Ressentiment befällt, so dauert dieser Zustand nur kurz:      

Das Ressentiment des vornehmen Menschen, selbst wenn es an ihm auftritt, vollzieht und erschöpft sich nämlich in einer sofortigen Reaktion, es vergiftet darum nicht: andrerseits tritt es in unzähligen Fällen gar nicht auf, wo es bei allen Schwachen und Ohnmächtigen unvermeidlich ist.[314]

Der Typus der Moral hat auch einen großen Einfluss auf den jeweiligen Feindbegriff. Der Starke erkennt nur diejenigen als Feinde an, die er ehren kann, die ihm gleichwertig sind.[315] Die Sklaven nimmt er dagegen nicht als Feinde wahr. Im Gegensatz dazu schafft sich der Schwache im Herren das Bild vom ‚bösen‘ Feind, der zu hassen ist:

Dagegen stelle man sich ‚den Feind‘ vor, wie ihn der Mensch des Ressentiments concipirt – und hier gerade ist seine That, seine Schöpfung: er hat ‚den bösen Feind‘ concipirt, ‚den Bösen‘, und zwar als Grundbegriff, von dem aus er sich als Nachbild und Gegenstück nun auch noch einen ‚Guten‘ ausdenkt – sich selbst![316]

Insgesamt kommt dem „Starken“, dem „Herren“, dem „Raubtier“ gegenüber dem „Schwachen“, dem „Sklaven“, dem „zahmen Menschen“ eine logische und zeitliche[317] Vorrangstellung zu. Dies ergibt sich aus dem aktiven Charakter des Starken, aus dem Umstand, dass wesentliche Charaktereigenschaften der Sklavenmoral erst aus gesellschaftlicher Assoziation resultieren und aus der einseitigen Abhängigkeit des Sklaven. Die unterschiedlichen Bewertungsmuster von Herren- und Sklavenmoral können als hervorragendes Beispiel für Nietzsches anti-dialektische Auffassung von Philosophie dienen. Denn anders als bei Hegels „Herrschafts-Knechtschafts-Dialektik“[318] ist das Verhältnis von Nietzsches ‚Herren‘ und ‚Sklaven‘ nicht wechselseitig. Nietzsche ersetzt mit seinem anti-dialektischen Gestus eine dualistische durch eine pluralistische[319] Sicht der Dinge und verabschiedet somit auch jegliche Teleologie.[320] Der Sklave ist – wie schon angesprochen – in seiner Identitätsfindung auf den Herren angewiesen, der Herr bedarf dagegen nicht des Sklaven, um sich zu bejahen. Das dialektische Moment geht also nur vom Schwachen aus. Deleuze kommt bezüglich der Dialektik zu dem Schluss: „Die Dialektik als Ideologie des Ressentiments.“[321]

Mit der Vergesellschaftung durch den Sklaven kommt auch die Religion ins Spiel. Wenn Nietzsche sich mit Religionen befasst, geht es ihm um eine bestimmte Form:

Ich habe in meiner ‚Genealogie der Moral‘ zum ersten Male den Gegensatz-Begriff einer vornehmen Moral und einer Ressentiment-Moral psychologisch vorgeführt, letztere aus dem Nein gegen die erstere entsprungen: aber dies ist die jüdisch-christliche Moral ganz und gar.[322]

Entsprechend ist der Kampf der Herren- gegen die Sklavenmoral auch ein Kampf der „Priesterkaste“ gegen die „Kriegerkaste“, wobei Nietzsche die Priester als die „bösesten Feinde“ ansieht, „weil sie die ohnmächtigsten sind. Aus der Ohnmacht wächst bei ihnen der Hass in‘s Ungeheure und Unheimliche, in‘s Geistigste und Giftigste“.[323]  Der Priester kommt ins Spiel, wenn sich die Schwachen in Gesellschaft als ‚Herde‘ organisieren und dient dann als ihr ‚Hirte‘:

Der asketische Priester muss uns als der vorherbestimmte Heiland, Hirt und Anwalt der kranken Heerde gelten: damit erst verstehen wir seine ungeheure historische Mission. Die Herrschaft über Leidende ist sein Reich, auf sie weist ihn sein Instinkt an, in ihr hat er seine eigenste Kunst, seine Meisterschaft, seine Art von Glück.[324]

Die Sklavenmoral findet ihre Organisation in der ‚Herde‘, ihre Religion im Christentum und ihren ‚Hirten‘ im ‚asketischen Priester‘. Sie setzt aber auch einen speziellen Gottesbegriff voraus. Im Falle des Christentums handelt es sich um einen dem Judentum nur entliehenen Gott[325], dabei meint Nietzsche: „Ein Volk, das noch an sich selbst glaubt, hat auch noch seinen eigenen Gott.“[326] Der christliche Gott ist ein Gott der Verneinung, ein Gott der Kranken und Schwachen:

Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein! In Gott dem Leben, der Natur, dem Willen zum Leben die Feindschaft angesagt! Gott die Formel für jede Verleumdung des ‚Diesseits‘, für jede Lüge vom ‚Jenseits‘! In Gott das Nichts vergöttlicht, der Wille zum Nichts heilig gesprochen![327]

Der Starke dagegen bejaht das Dasein, weil er nicht an seinem Dasein leidet. Er muss sich kein ‚Jenseits‘ imaginieren, in welches er all seine Hoffnung auf eine Existenz ohne Leiden projiziert. Er bejaht noch das Leiden, weil er es erträgt. 

Obwohl Nietzsche ein Primat der Herrenmoral annimmt[328] und ihr auch klar seine Sympathie bekundet, lässt sich doch nicht sagen, dass Nietzsche die Sklavenmoral oder die Religion allgemein ablehnt. Er äußert zwar scharfe und bisweilen polemische Kritik, dennoch billigt er beiden eine gewisse Funktion zu. So erklärt Nies:

... daß die Institutionalisierung der ‚Sklaven-Moral‘ als der herrschenden Wertungsweise von Nietzsche zwar einerseits als ‚Verhängnis‘, als das ‚ganz Unerträgliche‘ beurteilt wir, da aus dieser Institutionalisierung letztlich ein ‚Rückgang der Menschheit‘ und ein Niedergang des Lebens selbst resultiert; andererseits jedoch wird diese Institutionalisierung von Nietzsche in ihrer Notwendigkeit für die Ausbildung und Verstärkung des Geistes (auch der Vernunft) begriffen und durchaus positiv bewertet.[329]

Ähnliches gilt für die Religion, die in den richtigen Händen wichtige Funktionen übernehmen kann, indem sie die Macht der Herrscher sichert, das Volk erzieht oder zur Befriedigung des einfachen Volkes dient.[330] Vor allem das „asketische Ideal“ [331] der christlichen Religion war bislang notwendiges „Zuchtmittel“ und „der asketische Priester hat bis auf die neueste Zeit die widrige und düstere Raupenform abgegeben, unter der allein die Philosophie leben durfte und herumschlich“[332].

Die Sklavenmoral ist durch Merkmale wie ‚Nützlichkeits- und Sicherheitsdenken‘, ‚Klugheit‘ und ‚Selbsterhaltung‘ charakterisiert und somit durch Elemente, derer der Herr zumindest teilweise auch bedarf, selbst wenn er sie nicht so überbetont wie der Sklave. Nietzsches Ablehnung der Sklavenmoral ist nicht total, sondern vor allem gegenihre Verabsolutierung gewendet:

Wesentlicher als das Faktum, daß Nietzsche für die Herrenmoral Partei ergreift, ist für uns die Art und Weise, wie er seinen Entschluß begründet. Er behauptet nämlich nicht, die Herrenmoral sei die einzig richtige oder die beste – er entschließt sich für sie, weil es ihrer heute bedarf gegen das bedrohliche Wuchern der Herdenmoral.[333]

Nietzsche wendet sich wieder gegen Dogmatik und möchte dagegen die Möglichkeit einer anderen Perspektive wahren. Die Ausschließlichkeit einer Sichtweise wäre selbst wieder Signum der Sklavenmoral. Problematisch werden die Religionen eben dann, wenn sie nicht mehr „als Züchtungs- und Erziehungsmittel in der Hand des Philosophen, sondern von sich aus und souverän walten, wenn sie selber letzte Zwecke und nicht Mittel neben anderen Mitteln sein wollen“[334], wenn „das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werthe gebiert“[335]. Die Herrschaft übernimmt – fern von bloßer Seelsorgertätigkeit – der Priester, dessen „Reich“ die „Herrschaft über Leidende ist“[336].

Entsprechend scheint sich beim Thema ‚Moralkritik‘ die Einordnung Nietzsches in die zweite Gruppe von Ideologiekritik anzubieten. Es bilden nicht mehr erkenntnismäßige Defizite oder mangelnde Einsicht in die Mechanismen der Sprache den Auslöser für Vorurteile oder Illusionen, vielmehr provoziert der Kampf zwischen Priesterkaste und Kriegerkaste[337] Fragen von gesellschaftlicher Relevanz nach Macht und absichtlicher Täuschung. Die bewusste Verfälschung, die Lüge und das Ressentiment kommen allgemein durch den sich verstellenden Sklaven und speziell durch den Priester ins Spiel, denn „das Recht zur Lüge und die Klugheit der ‚Offenbarung‘ gehört dem Typus Priester an“[338]. Dies zeigt sich besonders in Paulus‘ Zurechtmachungen des Christentums in AC.[339] Nietzsche entwickelt eine eigene Form der Priestertrugtheorie, wenn auch mit anderen Vorzeichen als die französischen Aufklärer Helvétius und Holbach[340]. Mit der Unterscheidung zwischen ‚Herren- und Sklavenmoral‘ ist ein Instrument der Analyse geschaffen, mit dem ein jedes Ding bewertet werden kann. Zwischen ‚vornehm‘ und ‚niedrig‘, ‚aktiv‘ und ‚reaktiv‘, ‚stark‘ und ‚schwach‘ gibt es kein Mittleres mehr. Die Dinge haben in gewissem Sinne auch ihre Neutralität, Selbstverständlichkeit und Ursprünglichkeit verloren. Sie sind nur noch bloßer Ausdruck einer dieser beiden Kräfte. 


[298] Vgl. Fink-Eitel, Hinrich: Nietzsches Moralistik, 1993. S. 867.

[299] Nietzsche, JGB, S. 208

[300] Wieder einmal ist Nietzsche nicht auf einen einheitlichen Begriff festzulegen sondern nur auf ein mehr oder minder homogenes semantisches Feld. Für ‚Herr‘ können als Synonyme u. a. ‚der Vornehme‘, ‚der Starke‘ oder ‚das Raubtier‘ und für ‚Sklave‘ u. a. ‚der Schwache‘, ‚Kranke‘ etc. eingesetzt werden. 

[301] Deleuze, 1991, S. 5/6.

[302] Für Deleuze, 1991, S. 46 bilden beide Formen der Kraft Urqualitäten: „Aktiv und reaktiv sind genaugenommen Urqualitäten, die die Beziehung der Kraft zur Kraft zum Ausdruck bringen. Denn die in Beziehung tretenden Kräfte weisen eine Quantität nur auf, insofern jede zugleich auch die Qualität besitzt, die ihrem quantitativen Unterschied als solchen entspricht. Rangfolge heißt diese Differenz der ihrer Quantität entsprechend qualifizierten Kräfte: und sie aktive und reaktive Kräfte.“

[303] Nietzsche, JGB, S. 211. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Nietzsche von einem „Herd für die Entstehung“ spricht und nicht einfach von einem ‚Ursprung‘. Der Begriff ‚Herd‘ impliziert ein Zusammentreffen verschiedener Bedingungen, während der Terminus  ‚Ursprung‘ die Vorstellung einer reinen, vielleicht sogar absoluten Herkunft hervorruft.     

[304] Nietzsche, MR, S. 12: „Es ist bisher am schlechtesten über Gut und Böse nachgedacht worden: es war dies immer eine zu gefährliche Sache. Das Gewissen, der gute Ruf, die Hölle, unter Umständen selbst die Polizei erlaubten und erlauben keine Unbefangenheit; in Gegenwart der Moral soll eben, wie Angesichts jeder Autorität, nicht gedacht, noch weniger geredet werden: hier wird – gehorcht!“

[305] Nietzsche, Nachlaß, Bd. 13, 11 [297], S 124.

[306] Nietzsche, GM, S. 271.

[307] Nietzsche, GM, 270/270.

[308] Nietzsche, GM, S. 270. Deleuze, 1991, S. 122 betont bezüglich der Ressentiments: „Fragen wir, was der Mensch des Ressentiments sei, dürfen wir auf keinen Fall folgenden Grundsatz außer acht lassen: er reagiert nicht. Im Wort ‚Ressentiment‘ steckt ein überdeutlicher Hinweis: die Reaktion hört auf, ausagiert zu werden und wird stattdessen gefühlt (senti). Die reaktiven Kräfte obsiegen über die aktiven, da sie sich ihrer Aktion entziehen.“ 

[309] Deleuze, 1991, S. 132/133: „Der Mensch des Ressentiments muß sich notgedrungen ein Nicht-Ich ausdenken, sich dann diesem Nicht-Ich entgegensetzen, um sich schließlich als Selbst zu setzen. Welch sonderbarer Syllogismus des Sklaven: es bedarf in ihm zweier Negationen, um den Anschein einer Affirmation hervorzubringen. Wir ahnen schon, unter welcher Form dem Syllogismus des Sklaven so großer Erfolg in der Philosophie beschieden ward: in Form der Dialektik.“ Vgl. dazu auch Günzel, Stephan: Vernünftige Körper? – Körper ohne Organe! Nietzsche/Deleuze. In: Nietzscheforschung: eine Jahresschrift. Hrsg. im Auftr. der Förder- und Forschungsgemeinschaft Friedrich Nietzsche e. V. 5./6. Bd. Berlin, 2000, S. 116.

[310] Nietzsche, JGB, S. 209.

[311] Nietzsche, GM, S. 261: „Den Fingerzeig zum rechten Wege gab mir die Frage, was eigentlich die von den verschiedenen Sprachen ausgeprägten Bezeichnungen des ‚Guten‘ in etymologischer Hinsicht zu bedeuten haben ...“

[312] Nietzsche, GM, S. 261.

[313] Nietzsche, GM, S. 272/273.

[314] Nietzsche, GM, S. 273.

[315] Nietzsche, GM, S. 273: „Er verlangt ja seinen Feind für sich, als seinen für sich, als seine Auszeichnung, er hält ja keinen andren Feind aus, als einen solchen, an dem Nichts zu verachten und sehr Viel zu ehren ist!“

[316] Nietzsche, GM, S. 273/274. Dieser doppelte Feindbegriff erinnert an Carl Schmitts Unterscheidung zwischen dem „gerechten Feind“ und dem „Feind hors-la-loi“ (Vgl. Schmitt, BdP). 

[317] Nietzsche lässt den Leser im Unklaren über die Zeit vor der „Zähmung des edlen Raubtiers“. Wie soll man sich Nietzsches „blonde Bestie“, völlig ohne Gesellschaftsbezug, durch die Gegend schweifend, genau vorstellen? Nietzsches Figuren scheinen hier eher eine modellhaft-typologische denn eine geschichtlich-wissenschaftliche Relevanz zu besitzen (vgl. dazu auch Tepe, 1993, S. 15/16).

[318] Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes. Nach dem Texte der Originalausgabe herausgegeben von Johannes Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg, 1952, S. 141: „Das Selbstbewußtsein ist an und für sich, in dem und dadurch, daß es für ein anderes an und für sich ist; d. h. es ist nur als ein Anerkanntes.“ Die Notwendigkeit der Anerkennung gilt für Herr und für Knecht. Vgl. dazu auch Deleuze, 1991, S. 15.

[319] Deleuze, 1991, S. 13: „Der Pluralismus weist zuweilen einen Schein von Dialektik auf; doch ist er deren wildester, deren einzig tiefer Gegner. Deshalb müssen wir den entschieden anti-dialektischen Charakter der Philosophie Nietzsches ernst nehmen.“

[320] Zur Anti-Teologie Nietzsches vgl. Abel, Günther: Nietzsche: Die Dynamik der Willen zur Macht und die ewige Wiederkehr. Aufl., Berlin, New York, 1998, S. 133 –139.

[321] Deleuze, 1991, S. 133.

[322] Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist. Fluch auf das Christentum. Kritische Studienausgabe. Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hrsg), Bd. 6, 2. durchgesehene Aufl., München, 1999, S. 192 (im Folgenden zitiert als AC).

[323] Nietzsche, GM, S. 266/267.

[324] Nietzsche, GM, S. 372.

[325] Nietzsche ist Judentum und Christentum gegenüber gleich negativ eingestellt. Trotz seiner häufig eindeutig antisemitischen Aussagen sieht Nietzsche im Judentum doch eine Art von ‚Originalität‘ gegeben. Das Christentum stellt dagegen nur eine „Copie“ dar (vgl. Nietzsche, AC, S. 192). 

[326] Nietzsche, AC, S: 182.

[327] Nietzsche, AC, S. 185.

[328] Die Schöpfungskraft der Sklavenmoral besteht lediglich darin, bestehende Werte umzuwerten. Tepe, 1993, S. 159: „Nietzsches Geschichtskonstruktion ist, der Struktur nach, eine ‚Entfremdungstheorie‘. Diese ‚Metaerzählung‘ erzählt vom Verlust und vom möglichen Wiedergewinn der ‚natürlichen‘ Ordnung. Seine welthistorische Mission sieht Nietzsche darin, die ‚vornehmeren Ideale‘ erneut zur Geltung zu bringen.“ Tepe betont gleichzeitig den aus ideologiekritischer Sicht problematischen Charakter der Annahme einer ‚natürlichen Ordnung‘.

[329] Nies, 1991, S. 230/231.

[330] Vgl. Nietzsche, JGB, S. 79/81.

[331] Nietzsche, GM, S. 352: „Man weiss, was die drei grossen Prunkworte des asketischen Ideals sind: Armuth, Demuth, Keuschheit: und nun sehe man sich einmal das Leben aller grossen fruchtbaren erfinderischen Geister aus der Nähe an, – man wird darin alle drei bis zu einem gewissen Grade immer wiederfinden.“

[332] Nietzsche, GM, S. 360. Auch Irion, 1992, S. 86 kommt bezüglich des asketischen Ideals zu dem Schluss: „Gerade das ‚asketische Ideal‘, das hinsichtlich des Nihilismusproblems eine zentrale Stellung innehat, entpuppt sich so bei genauerer Betrachtung als eine Verneinung des Lebens, die sehr wohl dessen Steigerung bewirken kann.“

[333] Kouba, Pavel: Die Vernunft als moralisches Phänomen. In: Nietzsche-Studien. Internationales Jahrbuch  für die Nietzsche-Forschung. Herausgegeben von Ernst Behler, Eckhard Heftrich, Wolfgang Müller-Lauter, Band 19, Berlin, New York, 1990. S. 21.

[334] Nietzsche, JGB, S. 81.

[335] Nietzsche, GM, S. 270.

[336] Nietzsche, GM, S. 272.

[337] Vgl. Nietzsche, GM, S. 266. Nietzsche, GM, S. 285 erklärt weiter: „Kommen wir zum Schluss. Die beiden entgegengesetzten Werthe ‚gut und schlecht‘, ‚gut und böse‘ haben einen furchtbaren, Jahrtausende langen Kampf auf Erden gekämpft; und so gewiss auch der zweite Werth seit langem im Übergewichte ist, so fehlt es doch auch jetzt noch nicht an Stellen, wo der Kampf unentschieden fortgekämpft wird.“

[338] Nietzsche, AC, S. 239.

[339] Nietzsche, AC, S. 215/216: „Der ‚frohen Botschaft‘ folgte auf dem Fuss die allerschlimmste: die des Paulus. In Paulus verkörpert sich der Gegensatz-Typus zum ‚frohen Botschafter‘, das Genie im Hass, in der Vision des Hasses, in der unerbittlichen Logik des Hasses.“ Vgl. auch Kittler, 2000, S. 163 –165.

[340] Vgl. Lieber, 1985, S. 27 – 32.


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