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3. Aufbau von Sportromanen und -filmen

3. 1 Grundsätzliches über den Aufbau von Sportromanen und -filmen

Neben den Grundlagen, die wir unter „2. 2. 1 Habitualisierte Erzählformen: Geschichten über Sport“ schon ausgeführt haben, möchten wir noch etwas  intensiver auf die Gestaltung von Sportromanen eingehen. Die Sprache der Sportgeschichten lässt sich nach L. Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen parallel zur Erzählweise als eine Technik betrachten. Sie wird als eine Fortsetzung des Körpers bzw. dessen Fähigkeiten angesehen, wenn auch auf einer höheren Ebene.

„Sie führt die Leistungen der Techniken über den Körper hinaus; sie beruht ebenfalls auf einem Habitus, der zur Beherrschung der Umwelt führt: zur Erzeugung komplexer Kontexte, in denen die Interpretationen der Welt — und in gewissem Sinn die Welt selbst — hergestellt werden. Die Techniken der Sprache über Sport machen die Techniken des Körpers darstellbar; dies gilt von den habitualisierten Geschichten wie von den literarischen Gegen-Geschichten.“[66]

Und dabei bildet der Sport gewissermaßen den Rahmen für die Geschichte. Die eigentliche Darstellung des Sports (Wettkämpfe, Spiele, Rennen) nimmt in Sportromanen oder Sportfilmen immer nur einen geringen Teil der Handlung ein. Die Aufgaben des Sports innerhalb eines Romans sind, wie schon erwähnt, unterschiedlich. Neben Parabelfunktion oder der Eigenschaft des Transportvehikels für eine andere Bedeutung ergeben, sich gerade durch den Sport Konflikte, aus denen der Roman oder der Film seine Spannung bezieht: Die Überwindung der Konflikte macht die Handlung des Romans aus.   

Das war schon immer so: Pindar(os), der große griechische Lyriker verfasste im 5. Jahrhundert vor Christus

„14 Oden auf Sieger in Olympia, 12 auf solche in Delphi (Pythische Oden), ferner elf für die Spiele in Nemea und acht für die auf dem Isthmos von Korinth. Die vier Austragungsorte sind die Stätten der Panhellenischen Spiele, bei denen nicht allein die Bewohner von Hellas sich im Agon gemessen haben, sondern auch die Athleten aus der Magna Graecia.“[67]

Interessant dabei ist, dass die Verse, „gedichtet auf Faust- und Ringkämpfer, auf Langläufer und Wagenkämpfer“[68], die Wettkampfsituationen nur streifen. Sie

„feiern erstens die Stadt des Kämpfers, zweitens seine Vorfahren, drittens rufen sie einschlägige Mythen in Erinnerung, viertens knüpfen sie allerlei Lebensweisheit an. Das Technische versteht sich offenbar von selbst, und die Sieger sind Helden nur in einem glanzvollen Gesamtkreis, dem der Polis und ihrer vornehmen Geschlechter.“[69]

Die verschiedenen Sportarten, anscheinend um der Chronistenpflicht zu genügen, finden in den Gesängen der Chöre[70] also Erwähnung, doch 

„wird nicht zentral auf das Agonale allein eingegangen. Über den Moment hinausführend sind mythologische Erzählungen eingefügt, die die Gegenwart heroisch überhöhen, dem Gesang die Dimension des Ungewöhnlichen, ja Übermenschlichen hinzufügen. Weiterhin gipfeln die Sätze oft in Sentenzen, die Allgemeingültiges formulieren und Grundgedanken aussprechen.“[71]

In den heutigen Geschichten des Sports ist das nicht anders. Ähnlich der Hintergrundberichterstattung der Tagespresse (insbesondere der Boulevardpresse), gehen auch Sportromane und Sportfilme meist nur geringfügig auf die sportlichen Ereignisse ein. Hier findet sich eine eher hintergründige (in diesem Fall natürlich auch nicht immer tiefgründige) Beschreibung der Lebensumstände des oder der Protagonisten. Ihre Persönlichkeit, ihre Probleme etc. stehen hier im Vordergrund.

Das Technische versteht sich heute wie auch schon bei Pindar von selbst. So wird noch einmal deutlich, dass ein gewisses Grundverständnis und eine Affinität zum Sport (spezifisches Lexikon – Gebauer) unabdingbar sind. Kein Autor erklärt dem Leser die Regeln des Sports. Daher hatten es auch amerikanische Baseballfilme in Deutschland beim Publikum anfangs sehr schwer. Das lag auf der einen Seite am Unverständnis der Regeln und den dem Rezipienten unbekannten Fachtermini wie Inning, Batter, Catcher, auf der anderen Seite natürlich daran, dass der Sport in Deutschland kaum interessierte Anhänger hatte. Das ist heute anders. Zunächst lässt sich aber auch festhalten, dass alles „Verwirrende“ möglichst aus solchen Filmen herausgehalten wird: Taktische Darstellungen werden unserer Meinung nach seit den 90er Jahren auf ein Minimum reduziert. Man könnte es als zuschauerfreundliche Darstellung bezeichnen. Wenn man beispielsweise die sportliche Darstellung in die „Indianer von Cleveland“ betrachtet, kann man den Eindruck erlangen, dass Baseball  hauptsächlich aus werfen, schlagen und laufen besteht. Ein gewisses Grundverständnis (Punkteregelung etc.) wird aber auch hier vorausgesetzt.



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Fußnoten

[66] Gebauer, Gunter (1988): Der erzählte Sport, S. 12.

[67] Harenbergs Lexikon der Weltliteratur; Band 4, Harenberg Lexikon Verlag, Dortmund 1995, S. 2294.

[68] Ross, Werner; Sport und Literatur; in: Fischer , Nanda: Heldenmythen und Körperqualen, dvs, Clausthal-Zellerfeld 1989, S. 26.

[69] ebd., S. 26f.

[70] Laut Harenberg Lexikon der Weltliteratur haben Chöre zu Ehren der Sieger bei deren Heimkunft diese Oden vorgetragen. Dank an dieser Stelle gebührt Werner Ross, der diese Situation ins Zeitgenössische übersetzte: „Boris Becker hat in Wimbledon gewonnen und feiert in Leimen seinen Sieg. Bei der festlichen Veranstaltung tritt als Hauptfigur Günter Grass auf und trägt zur Gitarre ein vielstrophiges Lied vor. Nein, besser wäre WolfBiermann [...]“.

[71] Harenbergs Lexikon der Weltliteratur (1995), Band 4; S. 2294.



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