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3. 2. 1 Aufbaumuster-Typ: Karriereknick, Variante A und B

Als geradezu hervorragendes Anschauungsobjekt für den Aufbaumuster-Typ Karriereknick scheint uns der Boxer Rocky (Balboa) im zweiten Teil der gleichnamigen Box-Saga geeignet. Zunächst gilt zu überprüfen, ob er als etablierter Sportler angesehen werden kann. Eine Rückschau, die auch der Film bietet: Der zweitklassige Rocky hatte in Teil I die Chance bekommen, um die Weltmeisterschaft im Schwergewicht zu boxen. Auf diese einzigartige Chance bereitet er sich gewissenhaft vor und übersteht entgegen der Meinung aller Experten die volle Distanz. Nach 12 Runden sind beide Kämpfer schwer gezeichnet, Rocky hatte den Champion am Rande einer Niederlage, doch der Sieg geht nach Punkten an den alten und neuen Weltmeister. Nach dem letzten Gong liegen sich beide in den Armen, allerdings mehr um sich zu stützen, und Weltmeister Creed sagt: „Eine Revanche wird es nicht geben.“[73]

Zunächst lässt sich festhalten, das Rocky sein Ziel erreicht hat. Er wollte Apollo Creed nicht unbedingt schlagen, er wollte nur die zwölf Runden gut mitboxen, und sich damit beweisen, dass er ein ebenbürtiger Gegner ist:

„Noch keiner ist bei Creed über die Runden gekommen. Wenn ich die ganze Distanz durchhalte, wenn ich über die zwölf Runden komme, wenn ich beim Läuten vom Schlussgong immer noch stehe, werde ich das erste Mal in meinem Leben wissen, dass ich nicht nur irgend ein Penner, ein Niemand bin.“[74]

Das Ende des Kampfes wird in Rocky II mitaufgenommen. Die Handlung setzt nach dem Kampf ein, als beide ins Krankenhaus zur Untersuchung gefahren werden. Dort erwartet sie ein Großaufgebot der Medien. Hier ist der erste Hinweis auf den etablierten Sportler Rocky zu finden: Die Presse lobt Rockys Leistung in den höchsten Tönen. Für den Weltmeister hat sie nur Spott übrig.

Danach beschreibt der Film den Lebenswandel des Boxers im neugewonnenen Luxus: Rocky heiratet, kauft ein einem Boxstar entsprechendes Auto, zieht aus dem Hafenviertel in ein schnuckeliges, aber mit Hypotheken belastetes Eigenheim. Noch im Krankenhaus hatte er schon erste Autogramme gegeben, die Industrie will mit ihm nun Werbespots für ihre Produkte drehen. In seinem alten Viertel, in dem das Boxstudio liegt, gilt er jetzt als anerkannte Größe. Nun lässt sich einwenden, dass Rocky im ersten Teil in seinem Viertel auch schon allseits bekannt und beliebt gewesen ist. Der zweite Teil allerdings zeichnet ein neues Bild: Rocky bleibt zwar ein Teil dieser Gesellschaft, da er sich auch immer noch gern in den Straßen des Hafenviertels bewegt. Doch die Leute treten ihm anders gegenüber. Rocky ist derjenige unter ihnen, der es aus diesem Viertel heraus geschafft hat, der zu überregionaler Berühmtheit gelangt ist. Er ist, so wird es dargestellt, „hier so etwas wie ein König.“[75]

Die Etablierung noch einmal in Kürze: 1. Der sportliche Erfolg manifestiert sich in der knappen Niederlage: Keiner hat je zuvor die zwölf Runden gegen den Champion durchgehalten. 2. Der finanzielle Erfolg: Rocky erwirbt standesgemäße Statussymbole. Das ist mein Haus, mein Auto, meine Uhr. 3. Persönlicher Erfolg: Der Status innerhalb der Gesellschaft hat sich verändert. Rocky wird nun als sportliches Vorbild verehrt, anstatt um seiner selbst willen respektiert. Das hört sich zunächst paradox an, doch ist im Sport (und in Literatur und Filmen über Sport) deutlich die Tendenz bemerkbar, dass das Ansehen, das dem Sportstar aufgrund seiner sportlichen Erfolge entgegengebracht wird, höher bewertet wird, als wenn man ihn nur aufgrund seiner menschlichen Qualitäten schätzt. Roy Hobbs in Der Unbeugsame beispielsweise ist von dem Wunsch beseelt, der beste Baseballspieler aller Zeiten zu werden. Auf die Frage nach dem Grund antwortet er: „Ich wollte, dass mich die Leute auf der Straße erkennen.“

Charakteristisch für den Aufbau dieses Typus ist, dass ein Bild vom Sportler gezeichnet wird, der im Grunde alles hat: sportlichen Erfolg, gesellschaftliches Ansehen und eventuell finanzielle Sicherheit. Letzteres, dies im Hinblick auf den DDR-Komplex, ist dabei ein typisches Merkmal für westliche Sportgeschichten. Es ist auch auf Breitensport bezogen kein ultimatives Merkmal für diesen Aufbautyp. Das entscheidende Merkmal ist: Die Protagonisten müssen gewissermaßen die nötige Höhe haben, um tief fallen zu können. Und damit sind wir gleich bei dem zweiten wichtigen Merkmal für dieses Aufbaumuster: Nach der erfolgreichen Darstellung des etablierten Sportlers beginnt dessen Demontage. Hier können die verschiedensten Ursachen für seinen Abstieg in Betracht kommen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Für diesen Aufbaumuster-Typ ist dabei aber entscheidend, dass die Krise am Sportler selbst installiert wird. Er kann aufgrund irgendwelcher persönlichen Umstände sein Leistungspotential nicht mehr abrufen. Der Grund für diesen Absturz, so denken wir, kann den entscheidenden Hinweis auf das kritische Potential des Textes oder Films geben. Kurz: Es folgt eine Krise, die in Literatur und Film die tollkühnsten Kombinationen entstehen lässt.[76] Diese Krise muss im Gegensatz zu den Rückschlägen, die für spätere Aufbaumuster entscheidend sind, als existenziell erfahren werden. Ja, sie kann sogar lebensbedrohlich sein. Sie bedeutet eine Zäsur im Leben des Protagonisten. Die Krise kann im weitesten Sinn dafür sorgen, das die Hauptfigur ihren Sport nicht mehr ausüben kann; verpflichtend sorgt sie für ihren sozialen Abstieg. In diesem Aufbaumuster-Typ wird der Abstieg des Sportlers

zur Geschichte des abgefallenen Engels, des Unheiligen. Auch im Sport gibt es die Umkehrbarkeit des Guten in den Bösen. Die Antiheiligen des Sports haben sich durch Vergehen gegen elementare Normen des Sportkodex’ zu Repräsentanten des Bösen entwickelt.[77]

Dieser Ansatz Gebauers, der die Erzählform der „Legende“ skizziert, ist uns aber zu eng gefasst. Er muss um eine Nuance erweitert werden: Die Wandlung in einen Antiheiligen kann auch durch äußere Umstände beeinflusst werden, durch die Umkehrbarkeit des Glücks in das Unglück, sowie durch Neid und Intrigen.

Das bringt uns zu einem weiteren Kriterium dieses Aufbaumuster-Typs: Wird das Ungerechtigkeitsempfinden beim Leser oder Zuschauer angesprochen, dann bezeichnen wir diesen Aufbaumuster-Typ Karriereknick, Variante A. So ist es in Rocky II: Der Fall Rockys dokumentiert sich in mehreren Abschnitten. Es ist ein wesentliches Charakteristikum, dass der Fall ausführlich dokumentiert wird: Zunächst leitet Rocky seine finanzielle Misere selbst ein. Er nutzt den neu gewonnen Wohlstand (die Kampfbörse hatte 30 000 Dollar betragen), um den neuen Ruhm auch nach außen zu zeigen. Allerdings ist das nicht als Provinzfürstgehabe zu verstehen. Rocky ist zu naiv und gibt den Verlockungen des Lebens nach. Er macht dies auch im guten Glauben, denn es steht ihm ein auf 300 000 Dollar dotierter Werbevertrag ins Haus. Damit hätte er ausgesorgt. Doch den Vertrag kann er nicht erfüllen. Er ist aufgrund seiner einfachen Struktur nicht für die Werbung geschaffen. Für einen Job am Schreibtisch reicht es ebenfalls nicht. In seinen alten Job als Geldeintreiber (OT: Rocky, im weiteren Verlauf als Rocky I benannt) möchte er aus moralischen Gründen nicht mehr zurück. Eine Tätigkeit als Fleischpacker wird ihm aufgrund von Einsparungsmaßnamen im Betrieb nach kurzer Zeit aufgekündigt. Und boxen darf er eigentlich auch nicht mehr, da die Befürchtung seitens der Ärzte besteht, dass er bei weiteren Kopftreffern Gefahr läuft, die Sehkraft auf einem Auge zu verlieren. Der soziale Abstieg hat seinen Endpunkt erreicht, als er in dem Studio seines ehemaligen Trainers als eine Art „Mädchen für alles“ anfängt. Der Respekt, der ihm hier noch vor einem halben Jahr entgegengebracht wurde, ist völlig verschwunden. Eine wirklich unglückliche Verkettung unglücklicher Umstände.

Das Ungerechtigkeitsempfinden wird aber nochmals gesteigert. Weltmeister Apollo Creed grollt in seiner Villa ob seines knappen und dadurch belächelten Siegs. Die Fan-Post und die Presse sprechen immer noch von Schiebung. Er wird vom Gedanken an einen Rückkampf beseelt, in dem er Rocky vernichtend schlagen will. Er denkt, dass er gegen Rocky kämpfen muss, „da es immer noch Heerscharen gibt, die glauben, dass ich den Kampf nicht gewonnen habe.“[78] Doch Rocky will und darf nicht mehr boxen. Daher plant Creed eine Kampagne, die Rockys Stolz zermürben soll, damit er gegen ihn antritt. In einem TV-Interview sagt er: „Der nennt sich selbst italienischer Hengst, ist aber nicht mehr als eine italienische Stute.“

Aus dem tiefen Fall des Protagonisten resultiert im Aufbaumuster-Typ Karriereknick folgerichtig eine Art Neugeburt des Protagonisten. Größte Schwierigkeiten werden überwunden, um wieder ganz nach oben zu kommen. Am Ende kann dann das Erreichen des sportlichen Ziels einhergehend mit sozialem Wiederaufstieg stehen.

In der Variante B dieses Aufbaumuster-Typs wird beim Fall des Sportlers nicht das Ungerechtigkeitsempfinden angesprochen. Deutlich muss sich herauskristallisieren, dass der Sportler selbst für seinen Niedergang verantwortlich ist. Auf den Ausgang der Geschichte hat das freilich keinen Einfluss, doch scheint uns der motivische Unterschied als Charakteristikum in einigen Filmen und Büchern vorhanden und daher eine Variante wert. Betrachten wir als Beispiel hier Mr. Baseball. Jack Elliot ist der Star des Baseball-Teams Nummer 1 in Amerika. Er ist der Star der New York Yankees, mit allen Facetten: wechselnden Frauenbekanntschaften, rauschenden Festen und beliebt bei den Fans. Der Protagonist wird, wie oben gefordert, als etablierter Sportler dargestellt. Er hat erstens sportliche Erfolge (Baseballspieler des Jahres), ist zweitens gesellschaftlich voll akzeptiert. Er wird von den Fans verehrt und steht in der Hackordnung des Teams ganz oben. Finanzielle Sicherheit darf hier drittens vorausgesetzt werden. Doch jetzt hat der Baseballstar, wie er es selbst nennt, einen kleinen Durchhänger. Er trifft nur noch jeden vierten Ball (Trefferquote von .235), betrinkt sich öfter, als förderlich wäre und hat Probleme mit seinem Werbepartner: „Die haben Deinen Rasenmäherspot zurückgezogen. Imageprobleme“[79], eröffnet ihm sein Manager Dog, nachdem Elliot mit „180 Sachen und zwei Bräuten durch die Nacht“[80] gebraust ist. Den Kontakt zur Basis hat er längst verloren. So schreibt er beispielsweise keine Autogramme mehr. Seine Starallüren und die mangelnde Leistung veranlassen die Yankees dazu, ihn gegen seinen Willen nach Japan zu verkaufen. Der Rauswurf wird als sozialer Abstieg erfahren. In diesem Fall ist der soziale Abstieg mit der beschriebenen Minderwertigkeit der japanischen Baseballliga zu belegen. Vergleichbar wäre, hätte man Diego Armando Maradona seinerzeit von Barcelona nicht nach Neapel, sondern zu Rot-Weiß Oberhausen transferiert.[81] Professioneller — oder besser — bezahlter Fußball wurde in Oberhausen 1984 immerhin auch gespielt. 

Die Gegenüberstellung der japanischen Lebensgewohnheiten zum egozentrischen Selbstverständnis Elliots lassen ihn noch deplazierter erscheinen. Für den Aufbau einer solchen Geschichte ist von wesentlicher Bedeutung, dass hier — im Gegensatz zu Variante A, in der der Abstieg beschrieben wird — wesentliche Teile der Handlung damit beschäftigt sind, das Fehlverhalten des Stars zu dokumentieren. Der sportliche Abstieg setzt sich weiter fort, da Elliot nicht einsieht, dass er die Fehler macht. Er hat das Spiel verraten, weil er nur noch seinen Starkult pflegt anstatt richtig zu trainieren. Er fühlt sich seinen Mannschaftskameraden überlegen, legt sich auch hier wieder mit Sponsoren an und denkt, dass er in dieser einfachen Liga nur mit „halber Lunge“ spielen muss, um sich wieder für die Major League zu empfehlen. Ein Anruf bei seinem Manager macht deutlich, dass es dazu doch mehr bedarf. Dog hat nämlich keinerlei Angebote für ihn. Er kann ihn nicht zurückholen, „nicht bei einem Schnitt von .200, und das in Japan.“ Wenig später kommt es zum Eklat mit dem japanischen Trainer, der ihn aufgrund seiner Disziplinlosigkeit suspendiert. Die Arroganz, Exzentrik und Uneinsichtigkeit sind hier das Äquivalent zur Ungerechtigkeit in Variante A. Der Trainer offenbart ihm: „Sie werden nirgendwo mehr Baseball spielen […], wenn sie nicht wieder anfangen zu treffen.“ Das öffnet ihm die Augen. Und „kein Fehler ist so groß, daß sich der Unheilige nicht wieder in den Heiligen zurückverwandeln könnte.“[82]

Dabei gilt für beide Varianten, dass der sportliche Erfolg nicht unbedingt dokumentiert werden muss. In den Heiligen verwandelt sich der Sportler zurück, wenn er geläutert ist. Es wird also eine gute Sozialprognose gestellt. Und die ist ausreichend, um zu dokumentieren, dass es auch im Sport wieder aufwärts gehen wird.



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Fußnoten

[73] Rocky; OT: Rocky; USA 1976, United Artists.

[74] Rocky (1976), der Boxer träumt laut kurz vor dem Einschlafen.

[75] Rocky II; OT: Rocky II; USA 1978; United Artists.

[76] vgl. Krug, Gerhard (1972): Sport und moderne Literatur, S. 174.

[77] Gebauer, Gunter (1983): Geschichten, Rezepte, Mythen. Über das Erzählen von Sportereignissen, S. 142.

[78] Rocky II (1978)

[79] Mr. Baseball; USA 1992, Universal/Outlaw/Pacific Artists

[80] Ebd.

[81] Maradona und der FC Barcelona passen schon von vorne herein nicht zu einander. Die feine Gesellschaft des FC und der hemdsärmelige Maradona geraten immer wieder aneinander. Barcelona wollte mit Maradona die Meisterschaft in der Primera Division gewinnen, scheitert aber. Maradona wird bei der Vereinsführung immer unbeliebter. Seine ersten Drogengeschichten, seine Eskapaden im spanischen Nachtleben und ein in den Trophäenschrank geworfener Stuhl sorgen dafür, dass er nach Neapel abgeschoben wird.

[82] Gebauer, Gunter (1983): Geschichten, Rezepte, Mythen. Über das Erzählen von Sportereignissen, S. 142.



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