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3. 2. 4 Aufbaumuster-Typ: Kasus II

Das Aufbau-Muster Kasus II unterscheidet sich im Vergleich zu Kasus I entscheidend dadurch, dass die verschiedenen Normsysteme durch zwei verschiedene Personen dargestellt werden, die durch den Sport miteinander verbunden sind. Sie sind meist Team-Kameraden und bilden eine Zweckgemeinschaft. Denkbar sind hier viele Konstellationen, aus denen ein solches Zweiergespann bestehen könnte. In den von uns betrachteten Beispielen handelt es sich hier immer um die Konstellation bestehend aus einem etablierten und einem aufsteigenden Sportler. Wichtig ist, dass sie gleichberechtigt dargestellt werden. Dadurch werden auch die jeweiligen Systeme, für die sie stehen, als gleichberechtigt dargestellt. Im Verlauf der Handlung wird deutlich, dass sich die Wertvorstellungen der beiden Protagonisten immer weiter voneinander entfernen. Im Gegensatz zu Kasus I ist es hier nicht zwingend notwendig, dass ein richtiger oder ein falscher Weg eingeschlagen wird. Beide Wege scheinen ihre Berechtigung zu haben. Dem Rezipienten wird gewissermaßen die Option angeboten, sich für einen Weg zu entscheiden. Beide Wege können für die Hauptpersonen zur persönlichen Erfüllung führen:

Eine Klasse für sich [96]: Es ist Krieg, die Amerikaner kämpfen an allen Fronten. Der Kampf gegen Hitler erfordert auch, dass die arrivierten Stars der Profi-Baseballliga zur Waffe greifen müssen. Um von den Kriegsproblemen abzulenken, soll eine Frauen-Profi-Liga installiert werden. Neben 62 anderen Frauen qualifizieren sich auch Kit und ihre Schwester Dottie für eines der vier Teams. Dottie, die ältere, hübschere und auch talentiertere (etablierte Sportlerin) der beiden, hat eigentlich kein Interesse daran in der Frauenliga zu spielen. Für sie gibt es wichtigeres. Ihr Mann ist im Krieg und für die Zeit nach seiner Rückkehr sind Kinder und ein beschauliches Leben auf dem Land geplant. „Ich bin verheiratet, ich bin glücklich. Mehr will ich nicht.“[97] Sie hat sich von Kit zum Mitkommen überreden lassen, da die Liga die einzige Chance für die kleine Schwester ist, um aus ihrem Dorf heraus zu kommen. Innerhalb der Welt des Sports bietet sich Kit nun die Gelegenheit, durch gute Leistungen in der Liga aus dem Schatten ihrer Schwester herauszutreten. Sie verkörpert die Aufsteigerin. „Bitte Dottie. Ich halt’s hier nicht aus. Hier bin ich nichts.“[98] Beide haben also eigentlich unterschiedliche Vorstellungen und Ziele in ihrem Leben, finden sich aber im selben System wieder. Daraus ergeben sich zwangsläufig Spannungen. Die repräsentierten Systeme sind in „Eine Klasse für sich“ Formen des Lebensglücks: einerseits ein beschauliches Familienleben (Dottie) und eine erfolgsorientierte Sportlerkarriere (Kit) andererseits.

Nach einem Ligaspiel, in dem Dottie die Auswechslung von Kit unterstützt hatte, kommt es zum Streit zwischen den ungleichen Schwestern. Kit fühlt sich ungerecht behandelt und macht Dottie Vorhaltungen: „Du hättest mich heute unterstützen können, anstatt mich ’runter zu putzen.“[99] Diese weist jedoch die Schuld von sich und wirft ihrerseits Kit vor, andere für ihre eigenen Fehler verantwortlich zu machen. Der Streit eskaliert und Dottie fordert daraufhin den Manager des Teams auf, ihren Wechsel zu einem anderen Team zu arrangieren. Dieser missversteht sie jedoch und gibt Kit an ein anderes Team ab, woraufhin diese noch wütender auf ihre Schwester wird und ihr mit einer sportlichen Rache droht. „Ich treff’ Dich bei den Endspielen.“[100] Wenige Tage nach dem Streit kehrt Dotties Mann Bob aus dem Krieg zurück, woraufhin sie sofort ihre Mannschaft verlässt. „Bob und ich, wir fahren nach Hause. Das hier ist für mich nur ein Spiel und ich brauch es nicht mehr. Ich hab’ Bob, ich will jetzt was anderes, ich weiß das.“[101] Während Dottie sich auf den Heimweg macht, stößt Kit mit ihrem neuen Team bis in die Endspiele vor. Gegner dort ist das ehemalige Team der beiden Schwestern. Im entscheidenden Spiel bekommt Kit die Gelegenheit für ihre sportliche Revanche an ihrer Schwester. Das erneute Aufeinandertreffen nach der eigentlichen Trennung darf als weiteres Kriterium für den Aufbaumustertyp Kasus II betrachtet werden. Dottie ist für dieses eine Spiel noch einmal zu ihrer Mannschaft zurückgekehrt und muss den siegbringenden Punkt durch ihre kleine Schwester hinnehmen. Nach dem Spiel kommt es zur Versöhnung der Schwestern und ihre Wege trennen sich endgültig. Während Dottie in ihre Heimat zurückkehrt spielt Kit weiterhin Baseball. Sie bleibt in Racine, der Heimatstadt ihres neuen Teams. „Ich find’s toll hier.“[102]  

Die Literaturverfilmung Die Farbe des Geldes ist ein weiteres Beispiel für dieses Aufbaumuster. Eddie, ehemaliger Poolbillard-Profi und jetzt Whiskeyverkäufer, erkennt in dem jungen und talentierten Billardspieler Vince seine Chance, wieder in die Szene einzusteigen. Er ist in dieser Konstellation als der etablierte Sportler, wenngleich diesmal in der Funktion eines ausgemusterten Profis, anzusehen. Seine Eigenschaft als etablierter Sportler ergibt sich dadurch, dass er die Poolbillard-Szene kennt. Als ehemaliger Profi sieht er im Spiel nur die Möglichkeit Geld zu verdienen. „Einer kann ein paar Tage im Trainingsraum `rumhängen und mehr Geld machen, als der, der das Turnier gewinnt.“[103] Vince hingegen hat Spaß am Billard und möchte einfach viele Spiele gewinnen. Ihm kommt in dieser Kombination die Rolle des Aufsteigers zu. Geld ist ihm dabei nicht so wichtig. Einem Gegenspieler, der kein Geld hat, bietet er folgendes an: „Dann spielen wir eben nur so. Nur um zu spielen, nicht um Geld.“[104] Billard ist nicht alles für Vince, er hat auch noch andere Pläne. Er arbeitet in einem Spielzeuggeschäft und möchte später einen Job in der Computerbranche annehmen. Hier zeigen sich die unterschiedlichen Auffassungen, die beide Hauptfiguren in Bezug auf den Sport vertreten. Vince möchte den Erfolg auf ehrliche Weise erreichen, Eddie hingegen sind auch unlautere Mittel Recht, um zum Ziel zu gelangen. Zwar bewegen sich beide im System des Sports, doch ihre Wertvorstellungen weichen stark voneinander ab. Auf der einen Seite stehen sportlicher Ehrgeiz und Ehrlichkeit, auf der anderen Seite stehen eine materialistische Grundhaltung und die Bereitschaft, die eigenen Interessen auf Kosten anderer zu erreichen. Trotzdem lässt Vince sich von Eddie überreden und geht mit ihm auf eine Tour, die sie in diverse Billardhallen des Landes führt und an deren Ende Vince’ Teilnahme an einem großen Turnier in Atlantic City stehen soll. Um mehr Geld mit seinen Wetten auf Vince zu verdienen, fordert Eddie von dem in der Szene unbekannten Neuling, dass er einige Spiele absichtlich verlieren soll. „Du bist ein Niemand. Mit Dir kriege ich bessere Wetten.“[105] Das lässt sich jedoch nicht mit Vince’ Einstellung zum Spiel vereinbaren. Er möchte zeigen, was er kann und ehrlich spielen. „Es ist schwer, sich zu verstecken.“[106] Die beiden geraten wegen der unterschiedlichen Ziele immer wieder aneinander und drei Wochen vor dem Turnier in Atlantic City kommt es zum endgültigen Bruch. An diesem Punkt zeigt sich die Unvereinbarkeit beider Systeme. Vince ist nicht bereit, den Fairnessgedanken zugunsten des finanziellen Erfolgs über Bord zu werfen. Der alte Hase und der Neuling trennen sich. Eddie hat erkannt, dass er Vince nicht verbiegen kann und somit kein großes Geld mit Wetten auf ihn zu verdienen ist. Durch ihn hat er jedoch wieder Zugang zur Szene der Profi-Billardspieler und bereitet sich jetzt als Aktiver für das Turnier in Atlantic City vor. Gemäß der in Variante A aufgestellten Bedingung, treffen Eddie und Vince bei diesem Turnier aufeinander. Vince schlägt Eddie mit seinen eigenen Waffen, um ihm zu zeigen, dass er ihn durchschaut hat und seinen Weg für falsch hält. Vince hat darauf gewettet, dass Eddie ihn schlägt und verliert das Spiel absichtlich. Später bringt er ihm seinen „Anteil“ am Wettgewinn und klärt Eddie über sein Vorgehen auf. Dieses Mal hat Vince Eddie ausgenutzt und weiß ganz genau, wie man sich in dieser Situation fühlt: „Tut ganz gemein weh, was?“[107] Vince hat dem Altprofi eine Lektion erteilt und ihm außerdem gezeigt, dass es auch auf seine Weise gelingt, in die Spitze vorzustoßen und dort erfolgreich zu sein. Doch trotz des Rückschlags hat auch Eddie mit seinen Mitteln das Ziel erreicht. Er ist sich sicher: „Ich bin wieder da.“[108]    



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Fußnoten

[96]  Eine Klasse für sich; OT: A League Of Their Own; USA 1992, Parkways.

[97]  Ebd.

[98]  Ebd.

[99]  Ebd.

[100] Ebd.

[101] Ebd.

[102] Ebd.

[103] Die Farbe des Geldes; OT: The Color Of Money; USA 1986, Touchstone.

[104] Ebd.

[105] Ebd.

[106] Ebd.

[107] Ebd.

[108] Ebd.



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