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3. 2. 5 Aufbaumuster-Typ: Die zweite Chance

In Die Zweite Chance wird der Verlauf der Geschichte impliziert: Ein Sportler wird in den Mikrokosmos des Sports wieder eingegliedert. Das setzt auf der einen Seite voraus, dass er auf gewisse Erfolge zurückblicken kann. Die Erfolge werden demnach — im Gegensatz zum Aufbaumuster Karriereknick — nur nebenbei erwähnt. Ein Abstieg wird nicht skizziert, die Handlung setzt an einem individuellen Tiefpunkt ein. Es ist charakteristisch, dass die sportlichen Erfolge lange Zeit zurückliegen. Der sportliche Abstieg, der den kompletten Ausschluss aus dem Sportsystem bedeutet, begründet sich verpflichtend auf einer individuellen Verfehlung. Diese können natürlich extrem unterschiedlich sein. Von Antriebslosigkeit bis zur Zuwiderhandlung gegen sportliche Gesetzmäßigkeiten ist hier alles denkbar. In unserem  Beispiel „Freiwurf“[109] liegt die sportliche Karriere zwölf Jahre zurück: Norman Dale führte vor einigen Jahren das College-Team „Itaka Warriors“ (New York) zur nationalen Meisterschaft. Er wird aus der NCAA[110] ausgeschlossen, weil er einen Spieler seines Teams tätlich angegriffen hat. Das erfährt der Zuschauer der Gattung entsprechend erst durch einen Nebensatz weit nach der Hälfte des Films. Nun bekommt er durch seinen Freund Clitus Summer, Rektor der Hickory-Highschool, eine zweite Chance: ““Jeder macht mal einen Fehler.’
Dale: ,Ja, und ich bin Dir auch wirklich sehr dankbar…’
Summer: ,…Mach nicht so viel Aufhebens darum. Hier kannst Du neu anfangen.’“[111]

Wichtig für dieses Aufbaumuster ist, dass der Protagonist sich nicht für diese zweite Chance empfiehlt. Diese Chance wird von außen an ihn herangetragen. Bei Freiwurf ist es Summer, der einen Trainer für das Basketball-Team des Provinznestes benötigt, nachdem der alte Trainer verstorben ist. Die Verantwortlichen des Teams beäugen den „Neuen“ argwöhnisch, da er so lange nicht im Sport aktiv war. Das darf als weiteres Charakteristikum für dieses Aufbaumuster gewertet werden. Man traut ihm nicht zu, dieses Team zu trainieren und gibt daher die Marschroute aus, dass er sich an das Spielsystem des ehemaligen Trainers zu halten habe. „Wir sind hier nicht so für Veränderungen. […] Die Raumdeckung ist das, was in der Vergangenheit am besten funktioniert hat. Und daran ändert sich auch nichts.“[112] Hier setzt das nächste Charakteristikum für dieses Aufbaumuster ein: Man sollte vermuten, dass jemand bei seiner zweiten Chance zunächst vorsichtig zu Werke geht. Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Protagonist glaubt an seine eigenen Stärken. Er wird durch Rückschläge immer wieder auf die Probe gestellt, es kann, muss aber nicht zu existentiellen Krisen kommen. In dieser Art der Geschichte steckt der Protagonist einfach alles weg, weil er sich im Recht fühlt: Er bleibt sich treu. Norman Dale macht sich folgerichtig gleich ein paar Feinde. Als es die ersten Niederlagen hagelt — Grund dafür ist, dass die Mannschaft sein Spielsystem noch nicht vollends verinnerlicht hat —, verfassen einige einflussreiche Leute der Kleinstadt eine Petition, in der Dales Absetzung als Trainer gefordert wird. Angesichts seiner drohenden Entlassung lenkt der Trainer auch nicht ein. Vor dem Petitionsausschuss vertritt er nochmals seine Ansichten: „Ich wurde geholt, damit die Jungs Basketball lernen. Und das hab’ ich ihnen beigebracht. So gut ich konnte. Ich bitte für nichts um Verzeihung. Sie sind mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Aber ich. Ich bin stolz auf meine Jungs.“[113]

Ein wichtiges Charakteristikum ist also, dass weder sportliche, noch die Existenz bedrohende Rückschläge dafür sorgen können, dass der Protagonist von seinem Weg abweicht. Aus diesen Elementen, die den oder die Protagonisten immer wieder auf die Probe stellen, entwickelt sich die Handlung der Geschichte. Selbstzweifel können dabei auftreten, sind aber für die Handlung nie bedeutsam. Entscheidend ist, dass dem Zweifeln niemals nachgegeben wird. Der Protagonist ist von seinen Grundsätzen überzeugt. Bei Norman Dale treten Selbstzweifel nicht auf.

Die uns bekannten Geschichten, die in dieses Aufbaumuster einzuordnen sind, enden übrigens alle positiv: Am Ende setzt sich der Weg des Protagonisten durch. Alle Zweifler kann er von sich und seinen Entscheidungen überzeugen. Der Erfolg ist der Beweis für die Richtigkeit seiner Grundsätze.

3. 2. 6 Aufbaumuster-Typ: Die einzige Chance

Zunächst lässt sich festhalten, dass wir uns natürlich wieder im Bereich des Aufsteigers im Sport befinden. Elementar ist an diesem Aufbaumuster-Typ Die einzige Chance, dass es für den oder die Protagonisten nur eine einzige Möglichkeit gibt, um sich im Mikrokosmos des Sports zu etablieren. Sportfilme oder Sportbücher, die in diesen Aufbaumustertyp einzuordnen sind, beschreiben in der Handlung die Chance so, dass es die einzige Chance im (sportlichen) Leben ist. Belegen möchten wir das am Beispiel der schon im Bereich der Utopien erwähnten „Cleveland Indians“: Zunächst läuft ja für das bunt zusammengewürfelte Team alles bestens. Die Protagonisten, die eigentlich niemals in einer professionellen Mannschaft zum Einsatz gekommen wären, erahnen natürlich noch nicht, dass das Damoklesschwert über ihnen schwebt. Sie können nicht wissen, dass sie der Spielball einer egozentrischen, sonnenhungrigen Besitzerin sind. Sie können natürlich auch nicht ermessen, dass sie „nach dieser Saison […] zu den Amateuren zurückgeschickt, oder schlicht und einfach entlassen [werden sollen].“[114] Es muss also, und damit kommen wir zu einem weiteren Kriterium für dieses Aufbaumuster, eine Person geben, die mit falschen Karten spielt. Sie wird praktisch zum Gegenspieler.

Doch zunächst weiß die Mannschaft davon nichts. Dementsprechend gelassen sehen Jake Taylor, „Wild Thing“ Vaughn, Willie Mays Hays und Kollegen die Angelegenheit. Sie freuen sich des Lebens, und dass sie es gewissermaßen aus der Gosse ganz nach oben geschafft haben. Der mannschaftliche Alltag besteht mehr aus dem Pflegen erster Starallüren und dem Austragen mannschaftsinterner Scharmützel. Diese glückliche Fügung ist auch nicht als Die einzige Chance anzusehen. Sie ergibt sich aus der geschaffenen Konstellation: Ungerechtigkeit (hier repräsentiert durch die Besitzerin Rachel Phelps), eine in Wirklichkeit homogene Mischung aus talentierten Spielern und Routiniers sowie eine die Existenz bedrohende Krise (in diesem Fall Sorge um den Arbeitsplatz). Letztere ist eigentlich die Triebfeder für ein für dieses Aufbaumuster typisches Umdenken: Aus der einstigen Ansammlung von Egomanen muss eine funktionierende Mannschaft werden. Das Herausfinden der niederen Machenschaften des Gegenspielers bedeutet die Zäsur in diesem Aufbaumuster-Typ: Ein zweiter Platz ist zuwenig. Er hätte zur Folge, dass man dennoch seinen Arbeitsplatz verliert (die Besitzerin würde für die kommende Saison noch schlechtere Spieler kaufen) und aus dem elitären Kreis der Baseball-Gesellschaft wieder ausgeschlossen wird. Ein Fortbestehen in der Liga wäre also nur als Meister gewährleistet. The winner takes it all: Als Meister kann man überall unterkommen. Ergo ist es Die einzige Chance, die Meisterschaft zu gewinnen.

Aus dieser Konstellation ergibt sich im eine Mannschaft betrachtenden Film oder Buch die Wandlung. Die Extreme nähern sich einander an. Auf der Suche nach dem Weg, der zum Erfolg führt, zählt nur die mannschaftlich geschlossene Leistung. Die zuvor beschriebenen Animositäten müssen ausgeräumt werden. Alternde Spieler trainieren mehr, um mit Muskelaufbau ihre Verletzungsanfälligkeit zu mindern, junge Spieler werden disziplinierter, Eitelkeiten werden abgelegt etc. Am Ende kann dann auch, wie bei den Cleveland Indians, wirklich die Meisterschaft winken.

Es wäre durchaus denkbar, dass sich dieses Muster auch auf Individualsportarten anwenden lässt. Wenn Ungerechtigkeit, ein talentierter aber beispielsweise sehr chaotischer Spieler und die existenzbedrohende Krise aufeinandertreffen, dann würde das Aufbaumuster passen. Leider haben wir diese Konstellation nicht gefunden.

In diesem Aufbaumuster zeigen sich viele Parallelen zu Jolles’ skizzierten Erzählform des „Märchens“. Zunächst wird bei den Indianern von Cleveland auch das Ungerechtigkeitsempfinden beim Zuschauer angesprochen: Die Besitzerin würfelt diese Truppe nur zusammen, um ihre persönlichen Ziele zu realisieren. Sie will die schlechteste Mannschaft der Liga zusammenstellen. Es ist also hier ein „höchst unbefriedigender Weltzustand“[115] nachgezeichnet worden. Rachel Phelps könnte in diesem Zusammenhang auch die Funktion der Hexe im Märchen übernehmen. „Das Märchen ruft [dann] wunderbare Ereignisse herbei, die die Welt verwandeln, und den Benachteiligten mit Glück überhäufen.“[116] So erfahren es auch die „Cleveland Indians“: Am Ende gewinnen sie die Meisterschaft im amerikanischen Baseball (dem Selbstverständnis der Major League nach, ist das mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft gleichzusetzen). Eine Abgrenzung von der Erzählform des „Märchens“ ergibt sich aber, so denken wir, aus der Text- bzw. Film-Tatsache, dass sich der endgültige Erfolg nicht aufgrund der für Märchen charakteristischen höheren Mächte einstellt: Explizit wird hier der Erfolg am Training und einer Wandlung in der Einstellung der Protagonisten festgemacht: Beispielsweise benötigt der Pitcher Wild Thing eine Brille, um die Bälle exakt werfen zu können. Nachdem er sie auch beim Spiel ständig trägt, geht es mit der Mannschaft bzw. in der Tabelle bergauf. Oder: Willi Mays Hays, der sehr schnell laufen kann, muss im Training solange Liegestützen machen, bis er die richtige Konzentration beim Schlag aufbringt.[117] Aus diesem Grunde haben wir uns auch bei der Namensgebung dieses Aufbaumuster-Typs nicht an der von Jolles als „Märchen“ bezeichneten Erzählform für die Sportberichterstattung orientiert. 



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Fußnoten

[109] Freiwurf; OT: Best Shot; USA 1986, Orion/Hemdale.

[110] National College Association of Athletes.

[111] Freiwurf (1986).

[112] Ebd.

[113] Ebd.

[114] Die Indianer von Cleveland (1989).

[115] Gebauer, Gunter (1983): Geschichten, Rezepte, Mythen. Über das Erzählen von Sportereignissen, S. 143.

[116] Ebd.

[117] Vgl. Die Indianer von Cleveland (1989).



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