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5. Methode der Analyse

5. 1 Konzept der Basis-Interpretation

Die Primärtexte und -filme, die wir im Anschluss besprechen wollen, sollten nach einem möglichst einheitlichen Raster untersucht werden. Sie sind zum Teil auf einen gewissen Mythosgehalt zu überprüfen, was wir aber noch zu thematisieren haben. Um ein möglichst einheitliches Raster für diese späteren Betrachtungen zu haben, richten wir uns nach dem Konzept der Basis-Interpretation von Peter Tepe: Sie hat den Vorteil, dass nach ihr sowohl literarische als auch mythoshaltige Texte bearbeitet werden können. Dem Konzept der Basis-Interpretation muss ein Arbeitsgang vorgeschaltet werden: in einer Basis-Analyse, die aus einer einfachen Textbeschreibung besteht, werden anschließend die Text-Tatsachen (Tepe) bestimmt.

In unserem Fall werden wir zur Bestimmung der Text-Tatsachen die Texte oder Filme mit den von uns aufgestellten Aufbaumustern abgleichen. Die Text-Tatsachen des Primärtextes sollten möglichst lückenlos einem Aufbaumuster zuzuordnen werden.

Kurz um, auf EBENE 1 stellen wir — mehr oder weniger detailliert — fest, wie literarische Texte beschaffen sind, während wir auf EBENE 2 herauszufinden versuchen, worauf es zurückzuführen oder wie es zu erklären ist, daß Texte so beschaffen sind, wie sie es sind. Die Frage ,Wie kommt es, daß der vorliegende Text so ist, wie er ist?’ stellt das zentrale Problem der Texterklärung dar.[140]

Dabei soll Ebene 2 die folgerichtige Fortführung von Ebene 1 sein. Auf Ebene 2, der eigentlichen Basis-Interpretation, werden die in der Basis-Analyse erkannten Text-Tatsachen gewissermaßen erklärt. Dazu sind einige Grundregeln zu beachten: Zunächst steht hier die Annahme im Vordergrund, dass jede „Form menschlichen Lebens […] unaufhebbar an irgend ein Überzeugungssystem mit spezifischen Weltbildannahmen und Wertüberzeugungen gebunden“[141] ist. Diese Überzeugungen können innerhalb verschiedener Individuen, Gruppen, Gesellschaften, Kulturen stark variieren.

„Die vielfältigen einzelnen Überzeugungen lassen sich in der Analyse auf zwei Formen von Grund-Überzeugungen oder Grund-Annahmen zurückführen:

- Annahmen über die Beschaffenheit der Welt und über bestimmte Teile der Welt: Weltbild-Annahmen.     Menschen haben immer irgendein Bild von Natur, vom Menschen, von der menschlichen Gesellschaft usw.

- Überzeugungen über das, was wertvoll und erstrebenswert ist, was sein sollte — und über das, was nicht sein sollte:      Wertüberzeugungen. Menschen haben immer irgend welche Wertüberzeugungen.“[142]

Aus ihnen ergibt sich ein nicht immer zusammenhängendes Überzeugungssystem, doch eine Grundtendenz ist aus ihnen abzuleiten. Tepe ordnet jedes Überzeugungssystem einem von zwei Grundtypen zu: „Es handelt sich entweder um ein religiöses oder um ein nicht-religiöses oder profanes System.“[143] Demnach spielt das Überzeugungssystem bei der Interpretation literarischer Texte eine entscheidende Rolle: „Menschliches Denken, Wollen und Handeln sowie die Ergebnisse menschlicher Aktivitäten können nur dann befriedigend verstanden und erklärt werden, wenn man das im Einzelfall zugrunde liegende Überzeugungssystem richtig identifiziert hat.“[144]

Denn: Jeder Mensch ist zu jeder Zeit Teil eines Überzeugungssystems. Auch Autoren, und demnach auch ihre Werke.

Kunstphänomene sind durch das Überzeugungssystem des Kunstproduzenten geprägt […]. […] Von vornherein ist jedoch auch die ,Gegenseite’ zu berücksichtigen, die Rezeption von Kunstphänomenen: Die Rezeption und Interpretation wird gesteuert oder geprägt durch das Überzeugungssystem des Rezipienten.[145]

Daraus ergibt sich für die Betrachtung jeglicher literarischer Texte, dass das Überzeugungssystem, welches dem Werk zugrunde liegt, deutlich herausgearbeitet werden muss. Es muss immer das den Autor prägende Überzeugungssystem überprüft werden, die werkprägende Kunstauffassung ist zu überprüfen und die spezielle Gestaltung des Werkes ist zu betrachten.

Für die Basisinterpretation ergeben sich daher spezifische Arbeitsaufträge:

Erstens soll eine Hypothese über die Konzeption des zu betrachtenden Textes erstellt und mit den zuvor aufgestellten Text-Tatsachen verglichen werden. Zweitens soll eine Hypothese über die dem Text zugrunde liegende Literaturauffassung erstellt werden. Sie muss ebenfalls mit den Text-Tatsachen abgeglichen werden. Und drittens soll eine Hypothese über diejenigen Überzeugungssysteme des Autors aufgestellt werden, die für die Textproduktion relevant sind. Auch sie muss mit den Text-Tatsachen verglichen werden.

„Dieses Hypothesengefüge soll es ermöglichen, den Text aus seinen ihn prägenden Entstehungs-Voraussetzungen zu verstehen; dieses Verstehen ist zugleich ein Erklären, vor allem eine Antwort auf die zentrale Frage ,Wie kommt es, dass der Text so ist, wie er ist?’.“[146]

5. 2 Spezialfall: Mythos/Legende

Handelt es sich bei dem vorliegenden Text um mythoshaltige Literatur, ergeben sich zu den Arbeitsaufträgen der Basis-Interpretation noch weitere Aufgaben. Peter Tepe unterscheidet drei Typen von mythoshaltiger Literatur:

„TYP a: Texte, die mythische Erzählungen oder Elemente aus solchen Erzählungen verarbeiten.

TYP b: Texte, die Strukturen mythischen Denkens oder Element dieser Denkform verarbeiten.

TYP c: Texte, die Mythostheorien oder Elemente aus ihnen verarbeiten.“[147]

Da es sich bei zwei Primärtexten, die ich in Kapitel 6 besprechen will, vermutlich um den TYP a handelt, verzichte ich auf die Beschreibungen der Arbeitsgänge für die TYP b und c. Das Einordnen in die Typologie ist ein Bestandteil der weiteren Arbeitsschritte und braucht daher hier nicht vorweg genommen zu werden.

Weitere Aufgaben: Zunächst wird eine Beschreibung des mythoshaltigen Textes angefertigt. Danach wird dieser Text in die Typologie eingeordnet. Anschließend muss der dazugehörige Mythenkomplex und dessen bisherige literarische Verarbeitung herausgearbeitet werden. Und schließlich soll der Text ausführlich mit den zugehörigen alten Mythen und mindestens einer anderen Verarbeitung desselben Mythenkomplexes verglichen werden.[148] Dabei lassen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten Rückschlüsse auf die Aussage des Textes zu. Diese Vorgehensweise lässt sich auch, und das ist bedeutsam, auf andere Textformen übertragen:

Die Verarbeitung von Mythen ist im übrigen verwandt mit der literarischen Verarbeitung von Märchen, von Legenden und vielleicht noch von weiteren Gattungen. […] Die Probleme sind über weite Strecken vergleichbar, ebenso die erfolgversprechenden Methoden.[149]



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Fußnoten

[140] Tepe, Peter: Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung, Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2001, S. 117 (Hervorhebungen im Original).

[141] Ebd., S. 119 (Hervorhebungen im Original).

[142] Ebd. (Hervorhebungen im Original).

[143] Ebd.

[144] Tepe, Peter: Überwindung – Wandlung — Anpassung — Tarnung? Arbeit am Fall Schneider/Schwerte. In: W. Loth, B.-A. Rusinek (Hg.): NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt – New York 1998. Zit. nach Tepe, Peter (2001): Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung, S. 119f.

[145] Tepe, Peter (2001): Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung, S. 120.

[146] Ebd., S. 150.

[147] Ebd., S. 152.

[148] Vgl. ebd., S 153f.

[149] Ebd., S. 80.



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