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7. Der DDR-Komplex

7. 1. 1 Probleme beim strukturellen Aufbau des planmäßigen Sports

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges waren sportliche Aktivitäten in der sowjetischen Besatzungszone generell verboten. „Der von den Nazis zu Propaganda und Kriegsvorbereitung missbrauchte Sport war den Alliierten suspekt.“[427] Wie in anderen Bereichen (Verwaltung etc.) auch, stand eine umfassende Entnazifizierung auf dem Programm.

„Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945 wurden alle faschistischen Organisationen verboten, darunter auch der Reichsbund für Leibesübungen mit all seinen Unterorganisationen; zuvor hatte bereits der Befehl Nr. 2 der sowjetischen Militär-Administration vom 16. Juni die Vereine aufgehoben.“[428]

Erst im Juni 1948 begann eine breit angelegte Kampagne zur Bildung einer überregionalen Sportorganisation unter Beteiligung der Sowjetischen Militär-Administration für Deutschland, der SED, der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB).

„Als Antwort auf die Massenpetition erteilte die Sowjetische Militär-Administration verabredungsgemäß ihre Zustimmung; am 1. August 1948 erfolgte gemeinsam von der FDJ und dem FDGB die Ankündigung der Gründung des Deutschen Sport-Ausschusses, in dessen Organisationsstruktur die Gemeinschaften des Kommunalsports und die FDJ-Sportgruppen aufgehen sollten.“[429]

Nur genau zwei Monate später gab Erich Honecker, damals Vorsitzender des FDJ-Zentralrates, das Startsignal für den DS. „Mit der Gründung des Deutschen Sport-Ausschusses begann die Umwandlung der Gemeinschaften des Kommunalsports und der FDJ-Sportgruppen in Betriebssportgemeinschaften (BSG).“[430] [431] Doch zunächst verlief die Wegbereitung des DDR-Sports nicht unbedingt planmäßig. „Im Herbst 1949 […] gab es in den Volkseigenen Betrieben insgesamt nur 800 Betriebssportgemeinschaften mit rund 16 000 Mitgliedern.“[432] Die von der DDR-Führung als zu gering betrachtete Beteiligung lag teilweise auch an den so genannten privaten Sportvereinigungen. Sie verstanden sich in der Tradition der 1945 aufgelösten Vereine und kämpften, trotz diverser Schikanen und eines gewissen staatlichen Drucks, der sich aber wohl am deutlichsten durch die Nichtbereitstellung finanzieller Mittel bemerkbar machte, noch um ihre Existenz.[433] Drei DS-Vorsitzende später war das Problem immer noch nicht gelöst.[434] Mit Rudi Reichert stand dem DS seit 1952 nun aber ein Mann vor, der die den Sport betreffenden parteipolitischen Ziele der SED weitestgehend zufriedenstellend umsetzten sollte.[435] Etwa zeitgleich wurde zu Kontrollzwecken das „,Staatliche Komitee für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der DDR als ein zentrales staatliches Organ und somit oberste Instanz für alle Fragen der Körperkultur“[436] per Regierungserlass installiert. Nun war der Sport der DDR auf dem richtigen Weg.

Es folgten immer wieder neue Maßnahmen, mit denen man die Entwicklung des Sports vorantreiben wollte. Exemplarisch sind hier nur einige zu nennen: 1952 veranlasste das Ministerium für Volksbildung die Gründung von Kinder- und Jugendsportschulen. Diese später vom Westen diffamierend als „Kaderschmieden“ bezeichneten Sportinternate bildeten neben der Entwicklung des Massensports gewissermaßen die Basis für den sportlichen Erfolg der DDR-Athleten. Die Schüler der Kinder- und Jugendsportschulen brachten es inklusive ihrer Übungen in den Pionierorganisationen oder der FDJ auf bis zu 60 Stunden Sport in der Woche. Nicht nur dem Ausland sollten diese Institutionen möglichst verborgen bleiben:

„Jahrelang versuchte die DDR-Führung, die Existenz solcher Eliteanstalten vor der breiten Öffentlichkeit geheimzuhalten. Besuchern aus nichtsozialistischen Ländern wurde eine Kinder- und Jugendsportschule erstmals anläßlich der II. Europäischen Sportkonferenz vom 27. bis 30. Mai 1975 in Dresden vorgeführt.“[437]

1952 wurde auch die Gesellschaft für Sport und Technik (GST)[438] ins Leben gerufen. Sie darf durchaus als vormilitärische Organisation bezeichnet werden und verstand sich als „Vorbereitung auf die Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind.“[439] Als Instanz muss hier noch der DTSB[440] erwähnt werden, der  insbesondere die Ganzheitliche Entwicklung des DDR-Sports und seiner Aktiven im Auge hatte. Die Gründung dieser regulierenden Organisation war nötig geworden, da Rivalitäten zwischen dem DS und dem Komitee für Körperkultur und Sport die Entwicklung des Massensports zunehmend behinderten: Zu den Ursachen zählten die „Sächsischen Neusten Nachrichten“ (17. Februar 1957) „mangelhafte sportliche Betreuung der Arbeiter in den Betrieben, ein Defizit in der ,patriotischen Erziehung’ sowie Inkompetenz der Mitarbeiter des Staatlichen Komitees in den Bezirken und Kreisen.“[441]

7. 1. 2 Politische Zielsetzung für Massen- und Spitzensport in der DDR

Der Sport der DDR lässt sich nicht unpolitisch diskutieren. Er war auf allen Ebenen niemals „Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“[442]:

„Um den Kampf für den Frieden erfolgreich zu führen, die Erfüllung unseres Fünfjahresplanes zu gewährleisten und die sozialen, politischen und kulturellen Errungenschaften des werktätigen Volkes vor den Bedrohungen und Angriffen des USA-Imperialismus und seiner Lakaien zu verteidigen, brauchen wir gesunde, kräftige und willensstarke Menschen. Aufgabe und Inhalt der Demokratischen Sportbewegung sind deshalb die Heranbildung und Erziehung von Menschen, die bereit sind zur Arbeit und zur Verteidigung des Friedens.“[443]

Zunächst war es wichtig, das Nur-Sportlertum zu beenden. Durch die Verknüpfung des Sports mit politischen Inhalten (bzw. politischer Erziehung) verfolgte die DDR-Führung zwei sich bedingende Ziele: die „,Überwindung von Resten faschistischer Ideologien’ sowie die ,Verbreitung einer antifaschistisch-demokratischen Sportauffassung’“[444] in der Bevölkerung. Die Entwicklung des Massensports war für die Politiker der DDR von großer Bedeutung. Das arbeitende Volk sollte sich mit Sport nicht nur gesund halten, die sportliche Betätigung sollte auch die Produktivität der Masse steigern.

„Der oft genannte Gesundheitsaspekt hat in der DDR eine andere Funktionszuweisung als in der Bundesrepublik. In der DDR steht nicht das Individuum Mensch im Vordergrund, sondern die gesellschaftliche Notwendigkeit. Staat und Wirtschaft können nur funktionieren, wenn möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft produktiv sind. Voraussetzung dazu ist ihre Gesundheit und Leistungskraft.“[445]

Walter Ulbricht, Generalsekretär der SED, hatte das längst erkannt. Er forderte: „,Für jedermann an jedem Ort – jede Woche einmal Sport.’“[446] Damit sollte die Bevölkerung fit für den Aufbau des sozialistischen Staats gemacht werden.[447]

Der Spitzensport spielte für Ulbricht ebenfalls eine zentrale Rolle. Der Hochleistungssport soll eine Vorbildfunktion haben, durch internationale Erfolge wollte man sich als Staat beweisen, gleichzeitig sollten die Erfolge von Problemen innerhalb der DDR ablenken.[448] „Ungeachtet der katastrophalen Wirtschaftslage Anfang der 50er Jahre sorgte Ulbricht für die materiellen und institutionellen Voraussetzungen, die dem DDR-Sport schon in den 60er Jahren Weltgeltung verschaffen sollten.“[449] Sportliche Erfolge sollten außen- und innenpolitisch die Stärke der DDR demonstrieren. Ulbricht kalkulierte, „daß Erfolge zwar teuer erkauft werden müssen, aber die dafür erforderlichen Kosten im Verhältnis zu den nötigen Mitteln für die Lösung anderer vordringlicher Aufgaben ungleich geringer wären.“[450]  

Die sportlichen Erfolge ziehen sich allerdings nicht durch alle Sportarten:

„Weil man der — hauptsächlich ökonomisch bedingten — Einschätzung Manfred Ewalds zufolge ,nicht auf allen Hochzeiten tanzen’ kann, verzichtet der DDR-Sport in einigen wenigen Sportarten auf nachdrückliches internationales Engagement, so im Alpinen Skisport, im Reiten, Fechten, Hockey und Basketball. Umso intensiver die Konzentration vor allem auf ,medaillenträchtige’ Sportarten und als Summierung daraus frappierende olympische Erfolge — nicht zuletzt auf Kosten der bundesdeutschen Konkurrenz.“[451]

Die Früchte eines von Grund auf organisierten und politisierten Sports konnten schon in den 60er Jahren geerntet werden. Vor allem in der Leichtathletik und im Schwimmen, nicht aber im prestigeträchtigen Fußball. Die Entwicklung des DDR-Sports hatte nicht nur die BRD überflügelt, in den folgenden Jahren ließen die DDR-Spitzensportler auch die Athleten aus den USA hinter sich. Nicht zu vergessen, dass der sportliche Erfolg der DDR auch die Genossen anderer Ostblockländer nur Staunen ließ. Innerhalb weniger Jahre liefen Polen, Ungarn, Tschechen und manchmal auch Russen den DDR-Sportlern nur noch hinterher. Der sportliche Wettstreit (z.B. auf der Spartakiade) mit anderen sozialistischen Ländern war in der DDR hoch angesehen. In den ersten Jahren des DDR-Sports allerdings, so hatte Ulbricht als Marschroute ausgegeben, sollten die Athleten vor allem von den Sportlern der anderen sozialistischen Länder lernen. Sportliche Kontakte waren sogar im Statut der Gesellschaft für Sport und Technik verankert. In den Allgemeinen Bestimmungen, Paragraph 3, Absatz 3 heißt es: Die GST „pflegt freundschaftliche und sportliche Kontakte zu den Bruderorganisationen der Länder des sozialistischen Lagers […].“[452]

7. 1. 3 Gesellschaftliche Akzeptanz des Sports

Wie schon beschrieben, gestaltete sich der Aufbau des DDR-Sportsystems nicht gerade leicht. Die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung, sich den Betriebssportgruppen anzuschließen, war das größte Problem. Dennoch ist der Stellenwert des Sports in den ersten Jahren der DDR aus heutiger Sicht als hoch zu bewerten. Als Beleg dafür lässt sich natürlich der spätere Erfolg anführen, der ohne ein vorhandenes Interesse und diese gute Organisation natürlich nie möglich gewesen wäre. Die Wiederbelebung des Sports in der DDR nach Kriegsende begründet sich aber praktisch auf der „Begeisterung der Menschen. Sport zu treiben und vor allem große Sportereignisse zu besuchen, das zählte zu den Lichtblicken im beschwerlichen Nachkriegsalltag.“[453] Schon 1948, also im Jahr der DS-Gründung, wurde in Chemnitz die erste Ostzonenmeisterschaft der Leichtathleten ausgetragen. Vor 12 000 Zuschauern.[454] Wie wichtig der Sport für die DDR-Bürger war zeigt auch der Erfindungsgeist, mit dem die durch den Krieg zerstörten Sportanlagen mit freiwilligen Arbeitseinsätzen wiederhergestellt wurden: Die Schwimmer waren 1946 die ersten, die in Chemnitz wieder über eine wettkampftaugliche Sportstätte verfügten. Sie beheizten das ansonsten kaum beschädigte Bad mit einer ausrangierten Dampflok der Reichsbahn.[455]

Doch die Organisation der Massen in staatlichen Verbänden bereitete den Verantwortlichen von Anfang an Kopfzerbrechen. In den ersten zehn Jahren der DDR sollte sich da nicht viel ändern. Die Mitgliederzahlen stiegen zwar, doch nicht in dem gewünschten Maße. Erst Anfang der 60er Jahre sorgte Manfred Ewald für einen rapiden Anstieg der Mitgliederzahlen im DTSB.

„Am Ende des Jahres 1960, fünf Monate vor der Berufung Ewalds zum DTSB-Präsidenten, zählte der DTSB 1 439 497 Mitglieder, 6,7 Prozent der damaligen DDR-Bevölkerung. Unter enormen organisatorischen, personellen und agitatorischen Anstrengungen gelang es, aus dieser Minderheit eine Massenbewegung zu machen.“[456]

Er brauchte keine zehn Jahre, um weitere knapp sechs Prozent der DDR-Bevölkerung mit Mitgliedsausweisen des DTSB auszustatten. 1977 zählte der DTSB dann 2 793 569 Mitglieder. Ein Bevölkerungsanteil von 16,7 Prozent. Ein Grund dafür waren sicherlich auch die außerordentlich geringen Mitgliedsbeiträge. „Erwachsene zahlen monatlich 1,30 Mark, Lehrlinge, Schüler, Rentner und Hausfrauen 0,80 Mark sowie Kinder und Jugendliche 0,20 Mark.“[457]



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Fußnoten

[427] Sport in der DDR; Diplomaten im Trainingsanzug, Schlossbergmuseum Chemnitz; gefunden im Internet: www.schlossbergmuseum.de.

[428] Ebd.

[429] Knecht, Willi Ph.: Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR; Verlag Gebr. Holzapfel Berlin, 1978, S. 12.

[430] Ebd.

[431] Entsprechend der Organisationsstruktur des Freien Deutschen Gewerkschaftsbund wurden die BSG auf Produktionsbasis wiederum in 18 Sportvereinigungen zusammengefasst: z. B. SV Dynamo (Staatssicherheit und Volkspolizei), SV Lokomotive (Reichsbahn), SV Wissenschaft (Universitäten und Hochschulen) etc… 

[432] Knecht, Willi Ph. (1978): Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR; S. 14.

[433] Vgl. ebd., S. 14.

[434] Zwischen 1948 und 1952 wurden zunächst Waldemar Borde,  dann Ernst Horn und schließlich Fred Müller des DS-Vorsitzes enthoben.

[435] Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch seine Ära nicht rühmlich zuende ging. Nach neun Jahren als „Sportchef“ der DDR begann Reicherts Abstieg.

[436] Knecht, Willi Ph. (1978): Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR; S. 40.

[437] Ebd., S. 9 .

[438] Gerade bei der Jugend war die Gesellschaft für Sport und Technik hoch angesehen. Gründe sind im vielfältigen Angebot auch ausgefallener Sportarten zu sehen, die die Jugendlichen – so darf man annehmen – weniger aus politischer Überzeugung als aus verständlichem Eigennutz interessierten: „Durch die Offerte des billigen Führerscheinerwerbs entwickelte sich  die GST zur ,Fahrschule der Nation’.“ (ebd., S. 102) Neben klassischen militärischen Disziplinen wurden auch Fuchsjagd, Flossenschwimmen, technisches Basteln oder Motorrad-Artistik angeboten.

[439] Ebd., S. 98.

[440] Deutscher Turn- und Sportbund, seit April 1957 Dachorganisation des DDR-Sports.

[441] Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S.  35.

[442] Honecker, Erich; aus seiner Rede auf der Gründungsversammlung des DS; zit. nach

Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S. 30.

[443] Entschließung des ZK der SED vom 17.03.1951; zit. nach: Bernett, Hajo: Körperkultur und Sport in der DDR, Verlag Hofmann, Schorndorf 1994, S. 33 .

[444] Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S.  30.

Ehrich, Dieter: Breitensport in der DDR, in: Riemer, Rudolf (Hg.): Die DDR. Breiten- und Spitzensport, Kopernikus Verlag, München 1981, S. 9.

[446] Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S. 12.

[447] Als der Aufbau des sozialistischen Sportsystems aber nur schleppend voran kam, wurden Konzept und Slogan erweitert: Für jedermann an jedem Ort — jede Woche mehrmals Sport.

[448] Internationale sportliche Erfolge sollten die Identifikation der Bürger mit dem Staat fördern. Ein Nationalstolz, auch wenn dieses Wort nicht ganz unproblematisch ist, ist es meiner Meinung nach hier richtig eingesetzt, sollte entstehen: Zwischen 1956 und 1964, als DDR und BRD ein gemeinsames Olympiateam stellten, lautete die Hauptforderung der DDR-Funktionäre: „,Schlagt die BRD!’“ (vgl. Knecht, Willi Ph. (1978): Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR, S. 118).

[449] Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S. 12.       

[450] Ebd., S. 13.

[451] Knecht, Willi Ph. (1978): Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR, S. 110f.

[452] Bernett, Hajo (Hg.): Körperkultur und Sport in der DDR. Dokumentation eines geschlossenen Systems, Verlag Hoffmann Schorndorf, 1994, S. 193.

[453] Sport in der DDR; Diplomaten im Trainingsanzug, Schlossbergmuseum Chemnitz.

[454] Vgl. ebd.

[455] Vgl. ebd.

[456] Knecht, Willi Ph. (1978): Das Medaillenkollektiv, Fakten Dokumente Kommentare zum Sport in der DDR, S. 70.

[457] Holzweißig, Gunter (1988): Sport und Politik in der DDR, S. 39.



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