[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

8. Gegenwart-Komplex

8. 1 Sport und seine gesellschaftliche Bedeutung in der Gegenwart

„Der Sport stellt in unserer Gesellschaft einen Bereich dar, von dem zunächst einmal feststeht, daß er wächst und wächst. Sein Siegeszug scheint unaufhaltsam.“[643] Ein statistischer Wert belegt diese Feststellung recht eindrucksvoll: Die Zahl der Mitglieder in Vereinen und Verbänden, die unter dem Dach des Deutschen Sportbundes organisiert sind, beläuft sich auf 27 Millionen[644]. Anders ausgedrückt: Etwa jeder dritte Bundesbürger ist in einem Sportverein aktiv. Hinzu kommen noch endlos viele  Skiläufer und Surfer, die ihren Sport zumeist im Urlaub und ohne eine Vereinszugehörigkeit betreiben. Es kann also gesagt werden, dass „nahezu jeder Mensch über eigene Erfahrungen auf sportlichem Gebiet verfügt“[645].

Der Sport erfüllt in der heutigen Gesellschaft für die Menschen eine Ausgleichsfunktion. Er soll einen Gegenpol zu den Belastungen im Berufsleben darstellen und nicht mehr nur dafür sorgen, dass die Bevölkerung für das Berufsleben gestählt wird, so wie es in früheren Gesellschaftsformen  (z.B. in der DDR) der Fall war. Auch wenn die Steigerung der Arbeitskraft nicht mehr das vorrangige Ziel ist, wird der Breitensport von der Regierung bis hin zu den Gemeindeverwaltungen durch finanzielle Zuwendungen unterstützt. Der Aspekt der Gesunderhaltung und die Aussicht auf einen wohlgeformten und fitten Körper tun ihr übriges, um die Menschen zum Sporttreiben zu animieren. „Mit dem Hinweis, daß man dem Infarkt davonlaufen oder jugendliche Spannkraft und Schönheit herbeigymnastizieren kann, lassen sich Modewellen oder sogar dauerhafte Bewegungen auslösen.“[646]

Ein weiterer Aspekt, der die Menschen zum Sporttreiben motiviert, ist der Wunsch sich mit anderen im sportlichen Wettkampf zu messen. Die Frage „Wer gewinnt?“ sorgt für ein Spannungsmoment und erhöht die Leistungsbereitschaft. Das Interesse daran, zu erfahren wer der bessere ist, übt nicht nur auf den aktiven Sportler einen Reiz aus.

An diesem Punkt kommt der Zuschauer ins Spiel. Der Unterhaltungs- und Spannungswert von sportlichen Wettkämpfen produziert einen Identifikationseffekt, der die Menschen zu Tausenden in die Stadien lockt. Unabhängig davon, ob es sich um Amateur- oder Profisport handelt, liefert die Ermittlung eines Siegers einen Anreiz zum Zuschauen und zum Mitfiebern mit den Aktiven. Christian Graf von Krockow sieht in dem Wettbewerbsgedanken und dessen Faszinationspotential einen zentralen Grund dafür, warum der Sport die Menschen anzieht.

„Der publikumsträchtige Sport, sei er nun amateurhaft oder professionell, wäre anders gar nicht denkbar; er bildet sozusagen den besseren, den ,life’-Krimi mit dem überdies offenen Ausgang.“[647] Die sportlichen Sieger sind es dann, die in der Gunst des Publikums ganz oben stehen, denn der „Champion leistet in der Regel Spektakuläres […].“[648] Sieger und Helden sind in der heutigen (Leistungs-) Gesellschaft gefragter denn je. Das gilt insbesondere für die sportlichen Helden. Die tagtägliche Medienpräsenz eines Oliver Kahn oder die Allgegenwart eines Michael Schumacher in Zeitung und Fernsehen sind deutliche Anzeichen dafür. Sie sind Vorbilder und Idole für Millionen von Menschen und verkörpern Erfolg, Wohlstand und gesellschaftliche Anerkennung. Die Menschen nehmen Anteil an ihrem Schicksal und interessieren sich auch für das, was die Helden des Sports abseits der Arena erleben. Das Bedürfnis nach solchen Informationen wird von den Massenmedien natürlich nur zu gerne bedient, da auch sie davon profitieren, wenn Auflagen und Einschaltquoten in die Höhe schnellen, sobald über das Leben und Wirken eines Sporthelden berichtet wird. Dieses Wechselspiel zwischen den Rezipienten und den Massenmedien rückt die Sportler noch mehr in den Fokus der Allgemeinheit und symbolisiert gleichzeitig den hohen Stellenwert, den der Sport und seine Protagonisten in der heutigen Gesellschaft innehaben.

Teil dieser Gesellschaft sind natürlich auch die Wirtschaftsunternehmen. Zwar hat die Industrie aus werbetechnischen Gründe schon etwas länger ein Auge auf erfolgreiche Sportler geworfen, aber „das wirtschaftliche Interesse ist natürlich in dem Maße gewachsen, in dem der Sport sich zum Massenphänomen entwickelt hat […].“[649] Die großen Firmen haben heutzutage ein gesteigertes Interesse an den Sportikonen, da deren großer Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad sie mittlerweile zu idealen Werbeträgern gemacht hat. Mit dem Torwart, der zum besten Spieler der Fußball-Weltmeisterschaft gewählt wurde, lässt sich den Menschen „neue Energie“ einfach besser verkaufen.[650] Oliver Kahn steht beispielsweise für Erfolg, Zielstrebigkeit und Geradlinigkeit. Allesamt von der Gesellschaft geschätzte Werte und Tugenden, die für erstrebenswert erachtet werden. Das erzeugt Vertrauen in den Werbeträger bzw. in das von ihm beworbene Produkt und kurbelt die Umsätze in entsprechendem Maße an.

Natürlich sind die sportlichen Helden nicht nur für die Firmen, die an und mit dem Sportler selbst,  auf den Rennwagen und an den Werbebanden Reklame für Produkte machen, die mit dem jeweiligen Sport nicht direkt etwas zu tun haben, interessant. Auch die Unternehmen, in deren Kleidung und mit deren Geräten die Sportler ihre ruhmbringenden Leistungen erzielen, partizipieren am Erfolg des Athleten. „Daß die Industrie, die Sportbekleidung und Sportgeräte herstellt, ebenso eine Wachstumsbranche darstellt wie die sportverbundene Touristik, versteht sich bei alledem von selbst.“[651] Der Wirtschaft ist also auch durchaus daran gelegen, dass der Sport eine große Bedeutung innerhalb der Gesellschaft hat und diese auch beibehält.

Eine weitere Größe, die bei der Positionierung des Sports innerhalb der Gesellschaft bisher stets eine große Rolle spielte, ist die Politik. Sowohl im Dritten Reich als auch in der DDR wurde der Sport in starkem Maße vor den politischen Karren gespannt. Für die heutige Zeit kann prinzipiell gesagt werden: „Der Sport ist unpolitisch.“[652] Zwar sonnen sich die Politiker immer noch gerne im Licht der sportlichen Erfolge, die die Töchter und Söhne des Landes erringen[653], doch direkte Einflussnahme auf den Sport zwecks politischen Ideologietransports ist in der Gegenwart nicht mehr zu finden. „Es gibt keinen […] ,kapitalistischen’ oder ,sozialistischen’“[654] Sport mehr. Jede Sportart hat ihr festgelegtes Regelwerk, in dem heute kein Platz mehr für politische Vorgaben ist.

„Man kann über die National- und Systemgrenzen hinweg Wettkämpfe unter der Bedingung und n u r unter der Bedingung austragen, daß man alle Normierungen nichtsportlicher Art draußen läßt.“[655] Auch die Autoren, deren Bücher den Sport zum Thema haben, werden nicht mehr, wie in Kapitel 6 bereits ausführlich beschrieben, dazu angehalten, politische Vorgaben unter das Volk bzw. die Leserschaft zu bringen. Von Regierungsseite indoktrinierte Literaturprogramme sind nicht mehr existent. Durch die heute herrschende Demokratie und das Verbot der Zensur durch den Artikel 5 des Grundgesetzes[656] ist es heute jedem Autoren weitestgehend selbst überlassen, wie er den Inhalt und die Protagonisten seines Romans gestaltet. Zur Nichtveröffentlichung eines Buches kann es heute nicht mehr kommen, nur weil die ideologischen Vorstellungen der Regierung nicht berücksichtigt wurden. Zumeist scheitert die Veröffentlichung eines Buches heute, wenn es dem gerade vorherrschenden Zeitgeist nicht entspricht. Im konkreten Fall würde das heißen, wenn Inhalt und sportlicher Protagonist nicht den Vorstellungen der potentiellen Leser entsprechen. Da ein solches Buch unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Ladenhüter verkommen würde, entscheiden heute in letzter Konsequenz finanzielle Aspekte darüber, ob ein Buch veröffentlicht wird oder nicht. Dementsprechend sind die Autoren bemüht, den Romanhelden eine Struktur zu verleihen, die dem gesellschaftlichen Leben unserer Zeit angepasst ist. Auf diesem Weg soll ein Wiedererkennungspotential für den Rezipienten geschaffen werden. Um diesen Effekt zu erreichen, wird in erster Linie das Privatleben der Protagonisten im sportlichen Roman oder sportlichen Film anders dargestellt. Mittlerweile sind auch Suchtprobleme („ Die Indianer von Cleveland “), Besitz von teuren Statussymbolen („ Rocky II “) und Affären mit schönen Frauen („ Annies Männer “) Teil der Handlung. All diese Dinge werden inzwischen mit dem  Sport assoziiert und spiegeln die Realität wieder. Inhalte, die mit der Politik in Verbindung gebracht werden könnten, finden sich nur noch selten. Ein solches Relikt stellt unter Umständen noch die Bestechung dar, die ja lange Zeit als ein Privileg der Politik galt.

Um mehr Glaubwürdigkeit zu erreichen, wird der sportliche Protagonist nicht mehr als der makellose Held dargestellt, er darf und soll durchaus menschliche Schwächen zeigen. Mit dieser, den Verhältnissen angepassten, Darstellung zollen die Autoren der Gesellschaft, in der auch sie sich bewegen, Tribut. Einer Gesellschaft, in der der Sport und seine facettenreichen Protagonisten immer mehr an Bedeutung gewinnen. An diesem Punkt ist auch der Grund dafür zu suchen, warum die Handlung von immer mehr belletristischen Publikationen und Spielfilmen in einem sportlichen Umfeld platziert wird. Selbst Kriminalromane, wie „ Tore, Punkte, Doppelmord “ von Theo Pointner, spielen mittlerweile im Umfeld eines imaginären Fußball-Bundesligisten, und nicht mehr ausschließlich im Rotlichtmilieu oder in den Villen der High Society. 



[zurück zum Inhaltsverzeichnis]

Fußnoten

[643] Krockow, Christian Graf von: Gesellschaftliche und politische Funktionen des Sports. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Gesellschaftliche Funktionen des Sports. Beiträge einer Fachtagung. Druck- und Verlags-Gesellschaft mbH, Darmstadt 1984, S. 24.

[644] Quelle: Homepage des Deutschen Sportbundes, http://www.dsb.de.

[645] Penz, Otto: Audiovisueller Hochleistungssport. In: Bässler, Roland (Hrsg.): Gesellschaftliche Veränderungen und ihre Auswirkungen auf den Sport. WUV- Universitätsverlag, Wien 1992, S. 150.

[646] Krockow, Christian Graf von (1984): Gesellschaftliche und politische Funktionen des Sports, S. 25.

[647] Ebd., S. 26.

[648] Penz, Otto (1992): Audiovisueller Leistungssport, S. 150.

[649] Krockow, Christian Graf von (1984): Gesellschaftliche und politische Funktionen des Sports, S. 27.

[650] Oliver Kahn, ausgezeichnet als bester Spieler der WM 2002 in Japan und Südkorea, hat unter anderem Werbeverträge mit EON, AEG, Nestle („Lion“- Schokoriegel) und Adelholzener (Mineralwasser).

[651] Krockow, Christian Graf von (1984): Gesellschaftliche und politische Funktionen des Sports, S. 28.

[652] Ebd., S. 30.

[653] Als jüngste Beispiele seien hier nur der medienwirksame Heimflug des CDU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber mit der Fußball-Nationalmannschaft nach dem Finale der WM in Japan oder der gemeinsame Fototermin von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Basketball-Nationalmannschaft um den Superstar Dirk Nowitzki genannt.

[654] Krockow, Christian Graf von (1984): Gesellschaftliche und politische Funktionen des Sports, S. 30.

[655] Ebd. (Hervorhebungen im Original).

[656] Der Artikel 5 (1) des Grundgesetzes lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Quelle: http://www.bundestag.de/gesetze/gg.



[zurück zum Inhaltsverzeichnis]