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1.2 Bewußtsein und Kommunikation

Luhmann unterscheidet zwischen psychischen und sozialen Systemen, die jeweils autopoietisch geschlossene Einheiten bilden. Die operationelle Basis psychischer Systeme ist Bewußtsein, für soziale Systeme ist es Kommunikation.

Bewußtsein wird von Luhmann verstanden als Externalisierung von Selbstwahrnehmung, die aus der selbstreferentiellen Geschlossenheit des Systems resultiert; auch die Unterscheidung Selbstreferenz/Fremdreferenz ist ein re-entry, da die Unterscheidung zwischen ‚Selbst‘ und ‚Anderem‘ wiederum eine systeminterne Operation ist, die Anschluß auf der einen oder der anderen Seite finden kann.

Die Informationsgewinnung des Bewußtseins wird durch „Wahrnehmung“ geleistet. Diese Operationsweise wird sehr unspezifisch als Differenzbildung (ohne Bezeichnung, im Gegensatz zur Beobachtung) beschrieben, wobei auch imaginierte Selbstwahrnehmung eingeschlossen wird. Voraussetzung für die Ausbildung sozialer Systeme ist die Wahrnehmung, daß auch andere (psychische) Systeme wahrnehmen, wobei vom Bewußtsein der Umstand nicht mitreflektiert wird, daß die Außenwahrnehmung eine Form der Selbstwahrnehmung ist:

Es genügt, daß wir uns das Erstaunen darüber bewahren, daß man überhaupt etwas ‚draußen‘ sehen kann, obwohl man nur ‚drinnen‘ sehen kann.[15]

Im Gegensatz zur Kommunikation bezeichnet Luhmann Wahrnehmung als vergleichsweise ‚anspruchslose‘ Form der Informationsgewinnung, da sie „nicht darauf angewiesen ist, daß sie als Information ausgewählt und kommuniziert wird.“[16]

Kommunikation operiert auf der Basis der Synthese dreier unterschiedlicher Selektionen, die nur in ihrer Einheit wirksam sind: Mitteilung, Information, Verstehen. Eine Kommunikation muß auf eine Mitteilung zugerechnet werden, damit sie sich vom an Kommunikation teilnehmenden Bewußtsein von bloßer Wahrnehmung unterscheidet, und zugleich eine Information beinhalten, wobei der Akzent der Kommunikation wahlweise mehr auf der Mitteilungs- oder auf der Informationsseite liegen kann (ohne aber die jeweils andere Seite vollständig eliminieren zu können). Das Verstehen ist der Anschluß an die kommunikative Operation, auch wenn es darin besteht, die Kommunikation zu beenden.[17]

Von besonderer Wichtigkeit ist die Selbstreferentialität von Bewußtseins- und Kommunikationssystemen, die jeweils allein auf der Grundlage ihrer eigenen Operationsweise weitere Operationen anschließen können. Das heißt: Nur Bewußtsein kann denken, nur Kommunikation kann kommunizieren.[18] Das bedeutet wiederum nicht, daß Bewußtseins- und Kommunikationssysteme unabhängig voneinander existieren. Vielmehr sind sie im Vollzug ihrer Koevolution strukturell gekoppelt, wobei der Sprache eine exponierte Rolle zukommt.[19]


Fußnoten

[15] Kunst der Gesellschaft, S. 14. Bezüglich der neurophysiologischen Grundlagen von Bewußtsein bleibt Luhmann absichtlich vage.

[16] Soziale Systeme, S. 560.

[17] Vgl. etwa Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation? In: Aufsätze und Reden, S. 94–110.

[18] Der Terminus ‚Denken‘ taucht bei Luhmann entweder in dieser Wendung oder im Zusammenhang der Untersuchung europäisch-traditioneller Ontologiesemantiken auf; im übrigen bleibt der Begriff eigentümlich dunkel und mag auf unbestimmte Weise ein Konglomerat von ‚Wahrnehmung‘ und ‚Beobachten‘ sein.

[19] Vgl. etwa Niklas Luhmann: Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: Aufsätze und Reden, S. 111–136.


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