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1.4 Kommunikationsmedien

Ausgehend von einer Theorieoption, die nicht das Perfektionsmodell eines zu erreichenden Idealzustands zugrunde legt, sondern von der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation ausgeht[29], benennt Luhmann drei Probleme, die nicht nur das Ankommen der Kommunikation beim Adressaten unwahrscheinlich werden lassen, sondern zugleich als „Schwellen der Entmutigung“ das Unterlassen von Kommunikationsversuchen bewirken können[30]:

i) Es ist zunächst unwahrscheinlich, daß jemand überhaupt versteht, denn der Kontext eines gemeinsamen Gedächtnisses, der weiteren selektiven Anschluß erlaubt, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden.

ii) Mit zunehmender räumlicher und zeitlicher Expansion der Kommunikation über Systeme unmittelbarer Interaktion hinaus wird das Erreichen von Empfängern zunehmend unwahrscheinlich, da die Anwesenheit der Kommunikationsteilnehmer als intrinsischer Faktor der Aufmerksamkeitssicherung wegfällt.

iii) Das Verständnis der Kommunikation allein sichert noch nicht ihren Erfolg, der bei Luhmann solcherart verstanden wird, daß „Ego“ die Selektivität (der Information) „Alters“[31] annimmt und weitere Selektionen daran anschließt.

Annehmen als Prämisse eigenen Verhaltens kann dabei bedeuten: Handeln nach entsprechenden Direktiven, aber auch Erleben, Denken und weitere Kognitionen [v]erarbeiten unter der Voraussetzung, daß eine bestimmte Information zutrifft.[32]

Analog zu diesen drei sich wechselseitig verstärkenden Faktoren der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation nennt Luhmann drei Typen von Kommunikationsmedien, wobei Medium im speziellen Fall der Kommunikationsmedien bedeutet: sämtliche Einrichtungen, „die der Umformung unwahrscheinlicher in wahrscheinliche Kommunikation dienen“[33]:

i) Die Sprache steigert das Verstehen von Kommunikation über eine bloße Wahrnehmung hinaus. Durch symbolische Generalisierung erlaubt sie es, Wahrnehmungen zu vertreten und damit auf einer allgemeinen Basis verständlich zu machen. Sie ist „darauf spezialisiert, den Eindruck des übereinstimmenden Verstehens als Basis weiteren Kommunizierens verfügbar zu machen“[34].

ii) Die Verbreitungsmedien sind nicht deckungsgleich mit den sog. ‚Massenmedien‘, denn auch bereits Schrift und Buchdruck sind Verbreitungsmedien. Diese Medien erlauben es, die Kommunikation von der Anwesenheitssituation von Interaktionssystemen abzukoppeln und räumlich wie zeitlich flexibilisieren.[35] Aufgrund dieser Entkopplung der Kommunikation kommt es zu immensen Ausweitungen von Kommunikation und deren Gedächtnis, aber auch zu einer Steigerung ihrer Unwahrscheinlichkeit.

iii) Während Sprache und Verbreitungsmedien eher quantitative Kategorien der Kommunikationsmedien darstellen, fügt Luhmann diesen noch einen dritten Typ hinzu, die Erfolgsmedien, die er im Anschluß an Talcott Parsons als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien bezeichnet.[36] Die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (wie beispielsweise Geld, Liebe, Macht, Wahrheit) bieten im jeweiligen Spezialfall funktional äquivalente Lösungen zur Transformation unwahrscheinlicher im wahrscheinliche Kommunikation. Die funktionale Äquivalenz erklärt sich aus den Problemen der personalen und attributiven Zurechnung von Kommunikation. Die Selektivität Alters kann entweder als Handeln (selbstbezogen) oder als Erleben (umweltbezogen) zugerechnet werden. Die sich an Alters anschließende Selektivität Egos kann nun ebenfalls wiederum als Handeln oder Erleben beobachtet werden, so daß, wenn man unter attributions­theoretischen Gesichtspunkten das Wirken der Selektivität Alters auf die Selektivität Egos beobachtet, man zu folgenden Konstellationen gelangt[37]:

Wie aus dem Schema ersichtlich wird, antworten die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien in attributionsbezogen spezifischer und doch funktional äquivalenter Weise auf die besonders durch Verbreitungsmedien sprunghaft angestiegene Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation. Dabei präfigurieren die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien jedoch nicht nur mögliche Selektionen (unter Ausschluß anderer), sondern sie wirken zugleich selektionsmotivierend; anders gesagt: Die besondere Leistung der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien besteht in der Kopplung von Selektion und Motivation.[38]

Ausgehend von diesen Bemerkungen lassen sich an dieser Stelle zwei Perspektiven gewinnen. Die eine ist Luhmanns Kritik an einer zu eng geführten Kommunikations- bzw. Medientheorie, die sich zumeist auf die Verbreitungsmedien stützt und die Erfolgsmedien außer acht läßt. Diese Kritik soll hier indes nicht weiterverfolgt werden. Die andere Perspektive ist der Zusammenhang von symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und der Bildung autonomer Funktionssysteme in der modernen Gesellschaft[39], welcher im nächsten Abschnitt etwas näher erläutert werden soll.


Fußnoten

[29] Vgl. Niklas Luhmann: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. In: Aufsätze und Reden, S. 76–93; weiterhin etwa Vorbemerkungen zu einer Theorie …, S. 8ff.

[30] Vgl. Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, S. 78f.

[31] Die Unterscheidung Alter/Ego bezeichnet bei Luhmann die (mindestens) zwei Teilnehmer der Kommunikation. Es bleibt zu beachten, daß hier nicht von Menschen/psychischen Systemen die Rede ist, sondern von Personen: externe Referenzen, die von der Kommunikation im Rahmen eines Erwartungshorizonts als Adressaten ‚personifiziert‘ werden; vgl. u.a. Gesellschaft der Gesellschaft 1, S. 106f., sowie hier bes. Gesellschaft der Gesellschaft 2, S. 621.

[32] Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, S. 79.

[33] Ebd., S. 81.

[34] Ebd.

[35] Vgl. etwa Gesellschaft der Gesellschaft 1, Kap. Schrift.

[36] Vgl. Niklas Luhmann: Einführende Bemerkungen zu einer Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Aufsätze und Reden, S. 31–75.

[37] Das Schema ist entnommen ebd., S. 41.

[38] Vgl. Baraldi et al., GLU, S. 189ff.

[39] Die Genese der modernen Gesellschaft setzt Luhmann ungefähr ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts an. Bezüglich der Datierungsschwierigkeiten vgl. Gesellschaft der Gesellschaft 2, S. 707ff.


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