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2.1 Operation

Auch bei der Analyse des Kunstsystems ist die leitende Unterscheidung zunächst wieder diejenige zwischen psychischen und sozialen Systemen, bzw. auf operativer Ebene: zwischen Wahrnehmung und Kommunikation. Im Gegensatz zu anderen Sozialsystemen verfährt die strukturelle Kopplung von Wahrnehmung und Kommunikation jedoch nicht über Sprache, sondern über spezifische Wahrnehmungsgegenstände, die eigens zur (Kunst-)Kommunikation hergestellt werden. Durch den Verzicht auf Sprache – aber funktional äquivalent – und die Fokussierung auf Wahrnehmung integriert die Kunst Wahrnehmung und Kommunikation, macht also Wahrnehmung für Kommunikation verfügbar, was indes nicht bedeutet, daß es etwa zu einer Vermischung der Systeme käme:

Integration heißt ja nur: Gleichzeitigkeit (Synchronisation) der Operationen verschiedener Systeme und wechselseitige Einschränkung der Freiheitsgrade, die den Systemen von sich aus zur Verfügung stehen.[51]

Um dies zu gewährleisten, muß ein Kunstwerk von natürlichen Gegenständen aufgrund seiner Artifizialität und von anderen hergestellten Gegenständen durch die beobachtbare Differenz von Mitteilung (Selbstreferenz) und Information (Fremdreferenz) unterschieden werden. Mit der Verortung von Mitteilung und Information im Kunstwerk selbst unterscheidet Luhmann implizit Kommunikation durch Kunst von Kommunikation über Kunst, worauf noch einzugehen sein wird.[52]

Das Kunstwerk muß also von einem Betrachter als von einem Handelnden gemacht erlebt werden, was der Attributionskonstellation von Alters Handeln und Egos Erleben entspricht (vgl. das Schema in Abschnitt 1.4 Kommunikationsmedien). Damit wird die Rollendifferenz von Künstler und Rezipient insofern relativiert, als beide das Kunstwerk beobachten, also analoge Operationen an ihm ausführen. Hinzu kommt eine Beobachtungsebene zweiter Ordnung für beide Seiten als Bedingung der Schließung des Kunstsystems, denn der Künstler beobachtet das Kunstwerk in der Hinsicht, wie künftige Rezipienten es beobachten könnten, und diese wiederum (einschließlich des Künstlers zu einem späteren Zeitpunkt) beobachten die Beobachtungen des Künstlers, die sie dem Kunstwerk zurechnen.[53] Mit dieser Umstellung von Kausalzusammenhängen (Künstler–Betrachter) auf Rollenkomplementarität unter dem Gesichtspunkt der Beobachtung distanziert sich Luhmann von traditionellen ‚Autorkonzepten‘. Zwar gibt es natürlich einen Unterschied zwischen dem Herstellen und Betrachten eines Kunstwerks, doch dieser liegt nicht in einem ‚Intensitätsgefälle‘ begründet, wie etwa die Unterscheidung aktiv/passiv nahelegen könnte, sondern vielmehr besonders in dem Umstand, daß die Selektionen, die der Künstler vornimmt, einmalig sind im Gegensatz zur und als Garant der wiederholbaren Rezeptionsbetrachtung.[54]


Fußnoten

[51] Kunst der Gesellschaft, S. 83.

[52] Vgl. ebd., S. 40.

[53] Vgl. ebd., S. 115f. Aus dieser Argumentationslage heraus hebt Luhmann auch hervor, daß die Intention des Künstler auch von ihm selbst stets nur retrospektiv zugerechnet werden kann.

[54] Vgl. ebd., S. 69.


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