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2.2 Medien

Das Herstellen und Betrachten eines Kunstwerks erfordert Selektionen, also Formbildung. Dazu bedarf es eines Mediums, um aus dessen lose gekoppelten Elementen feste Kopplungen zu formen. Als Primärmedien dienen etwa Licht und Luft, und natürlich werden alle Operationen im Medium Sinn vollzogen.[55]

Darüber hinaus schafft sich die Kunst eigene Medien. Anders als in anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft scheint das nächstliegende Medium der Kunst, ihr ‚Grundmedium‘ gewissermaßen, zunächst das jeweils einzelne Kunstwerk zu sein. Die Herstellung eines Kunstwerks beginnt mit einer Unterscheidung, die eine Form schafft – also etwas bezeichnet unter Ausschluß von allem anderen –, welche alle weiteren Formbildungen innerhalb des Kunstwerks beschränkt und dadurch erst den Möglichkeitshorizont weiterer Formbildungen (Selektionen) schafft.[56] Diese erste Selektion gibt, anders gesagt, den ‚Rahmen‘ vor, in dem sich die weitere Herstellung des Kunstwerks bewegt. Hierzu ein konstruiertes Beispiel: Wenn ich ein Blatt zur Hand nehme und darauf schreibe „Es war einmal“, ist ausgeschlossen, daß es sich um ein Musikstück handelt (dort allenfalls ‚importiert‘ als Libretto); auch als Bild wäre es eine unwahrscheinliche Arbeit. Innerhalb der Textkünste scheinen die weiteren Arbeitsschritte in konstitutiver Weise (und sei es als Ausschluß, Distanzierung, Parodie) mit der Gattung Märchen verknüpft, wenn auch dieser Anfang noch nichts über den weiteren Verlauf des Texts besagt.

Eine Konsequenz dieser ersten Formfixierung als ‚Rahmen‘ des Kunstwerks ist die Duplikation der Wirklichkeit in eine reale und eine fiktive. Erst aufgrund dieser Unterscheidung einer fiktiven Wirklichkeit mit eigenen Ordnungsprinzipien kann die ‚reale‘ betrachtet und kritisiert werden, indem nämlich die als real ausgeschlossene Wirklichkeit wiederum als Medium (man könnte hier sagen: Sujet) in die eigendynamisch operierenden Kunstwerke zurückgeführt wird[57] – jetzt allerdings auf der Beobachtungsebene zweiter Ordnung. Aufgrund dieser Funktion der modernen Kunst[58], die Kontingenz der Wirklichkeit aufzuzeigen, bezeichnet Luhmann die Kunst auch als eine Art ‚Experimentierfeld‘ der dezentrierten, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft:

Vielleicht ist es dann dieses Problem der ‚postmodernen‘ Polykontexturalität von Selbstbeschreibungen, mit dem die Gesellschaft zunächst einmal auf dem Gebiete der Kunst experimentiert.[59]

Ein weiteres Medium der Kunst, neben der Schaffung eines eigenen Ordnungsraums im Kunstwerk, ist die Sprache. Zwar wurde bereits gesagt, daß Kunst unter Verzicht auf Sprache kommuniziert, doch gilt dies lediglich hinsichtlich der üblichen Sprachverwendung. Während die Sprache im Normalgebrauch denotativ, also auf ein Anderes referierend verfährt, wird die Sprache in der Kunst konnotativ verwendet, d.h. daß die Referenz der Worte stets wieder auf andere Worte im Kunstwerk voraus- oder zurückverweist, wie man es beispielsweise am Gedicht prägnant beobachten kann. Damit korreliert die Selbstreferentialität des Sozialsystems Kunst und somit der Kunstgattung Literatur mit der Selbstreferentialität des Mediums. Anders ausgedrückt: Im Gegensatz zur Sprachverwendung außerhalb des Kunstwerks beschränkt sich der Verweisungshorizont der dichterischen Sprache stets wieder auf sich selbst.[60]

Als zusätzliche Medien nennt Luhmann den menschlichen Körper etwa in bildender und darstellender Kunst, die Natur oder die Gesellschaft selbst[61] – mit allen Einschränkungen, die für solche globalen Beobachtungen zu beachten sind und auf die noch zurückzukommen sein wird (vgl. auch 1.1 System und Umwelt).


Fußnoten

[55] Die Medien Licht und Luft sind zum einen die bevorzugten Beispiele der an Fritz Heider angelehnten Medientheorie Luhmanns; zum anderen sind sie Primärmedien, insofern sie für das Zustandekommen von Kommunikation generell unerläßlich sind, eben deswegen aber noch nichts über das ‚Medienverhalten‘ einzelner Kommunikationssysteme besagen. (Vgl. allg. Baraldi et al., GLU, S. 58ff.)

[56] Vgl. Kunst der Gesellschaft, S 65ff., 189. Dieses ‚Medienverhalten‘ des Einzelkunstwerks hat auch Konsequenzen für das Verhältnis von Kunstwerk und Kodierung, was hier indes nicht näher erläutert werden kann (vgl. ebd, S. 305f.).

[57] Vgl. ebd., S. 229ff., 452ff, sowie Das Kunstwerk …, S. 624ff.

[58] Gewöhnlich beginnt die Moderne bei Luhmann mit der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft, also ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; ‚moderne Kunst‘ wäre demgemäß analog aufzufassen.

[59] Kunst der Gesellschaft, S. 392; vgl. hierzu auch ebd., S. 498f.

[60] Vgl. ebd., S. 39ff. und bes. 199ff.

[61] Vgl. Niklas Luhmann: Das Medium der Kunst. In: Aufsätze und Reden, S. 198–217, hier S. 207ff.


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