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2.3 Funktion und Kodierung

Als Funktion betrachtet Luhmann die Art und Weise, wie ein Teilsystem in der Gesellschaft das Problem der Transformation unwahrscheinlicher Kommunikation in Wahrscheinlichkeit leistet. Damit ist Funktion kein Zweckbegriff, sondern ein Operationsbegriff.[62]

Wie in jedem Teilsystem operiert das ihm zugehörige symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium auch in Kunst auf der Basis eines fundamentalen Kodes. Der Kode ist ein binäres Schema (vgl. 1.5 Gesellschaftsdifferenzierung), das allen Operationen eines Teilsystems zugrunde liegt. Damit ermöglicht sich die Gesellschaft die Kommunikation/Selbstbeob­ach­tung unter einer bestimmten Perspektive, die für den jeweiligen Funktionsbereich maßgeblich ist. Die Kodierung hat den zweifachen Vorteil, daß sie einerseits einen ersten Strukturgewinn für die Operationen des Systems darstellt, unter Einbeziehung der Kontingenz von Kommunikation durch Zweiwertigkeit. Andererseits erleichtert sie das Kreuzen der Formgrenze innerhalb des Kodes, da das System, um zum Gegenwert des Kodes überzugehen, nicht die eigene Operationsstruktur verlassen muß.[63]

Die Kodierung des Kunstsystems behandelt Luhmann im Fortschreiten seiner Theoriebildung unterschiedlich. In den Schriften der 80er Jahre hält er an dem Kode schön/häßlich fest, gibt aber zu bedenken, daß aufgrund der Selbstdetermination des Kunstwerks die Leitdifferenz mit Passen/ Nichtpassen in Hinblick auf erfolgte Selektionen nicht zutreffender begriffen wäre. In der Kunst der Gesellschaft orientiert er sich für die eigene Analyse weitergehend an letzterer Differenz, wobei er Schönheit/Häßlichkeit eher der Selbstbeschreibung des Kunstsystems zurechnet; allerdings ist nicht immer ersichtlich, welche Referenz er der Verwendung des jeweiligen Kodeschemas zugrunde legt.[64]

In dem Aufsatz Ist Kunst codierbar? nennt Luhmann fünf Voraussetzungen, damit der Kode seine Funktion erfüllen kann[65]:

1. Durch Eliminierung von Problemlösungen muß die Wahrscheinlichkeit anderer erhöht werden und darf „nicht schlicht Gleichgültigkeit oder Ratlosigkeit“[66] hinterlassen. Hierbei gibt es keine für die Kunst einheitliche Lösung, sondern die Kunstarten unterscheiden sich durch ihre Art der Limitierung von Problemlösungsstrategien im Werk.

2. Das System benutzt generalisierte Symbole, um soziale und zeitliche „Differenz überbrücken und hinreichende Vorverständigung herbeiführen zu können.“[67] Die Symbolik distanziert sich von konkreten Wertbindungen; nicht die objektive Schönheit des Kunstwerks (dessen, was es darstellt), sondern die operative Schönheit überzeugt.

3. Die Differenz schön/häßlich muß die einzelnen Operationen steuern und zugleich einen zusammenfassenden Rückblick ermöglichen können, oder wie Luhmann es ausdrückt: „eine aggregierende Gesamtbewertung einzelner Kunstwerke im ganzen“[68].

4. Zwischen dem Kodeschema, das als einer Operation zugrundeliegend nicht selbst beobachtbar ist, und dem Kunstwerk selbst muß es Stufen geben, die Luhmann als ‚Kunstdogmatik‘ bezeichnet, an anderer Stelle als Programm.[69] Programme sind Kriterien für die Zurechnung auf einen Kodewert, wie im Fall der Kunst Stilprinzipien, Kanonisierung etc.[70]

5. Die Kunst wird reflexiv durch Darstellung ihrer Kodierung, also durch Anwendung des Kodeschemas als Programm. Die Disjunktion schön/ häßlich bezieht sich dann nicht mehr auf außerkünstlerische Objekte, sondern auf die Formen des Kunstwerks selbst. Dies setzt eine Autonomie, eine autopoietische Schließung des Systems voraus.


Fußnoten

[62] Vgl. etwa Kunst der Gesellschaft, S. 222ff.

[63] Vgl. Ist Kunst codierbar?, S. 160f.

[64] Vgl. ebd. sowie Kunst der Gesellschaft, bes. Kap. 5.

[65] Vgl. Ist Kunst codierbar?, S. 166ff.

[66] Ebd., S. 166.

[67] Ebd., S. 167.

[68] Ebd., S. 168.

[69] Vgl. Kunst der Gesellschaft, Kap. 5. sowie S. 366ff.

[70] Der Begriff des Programms ist insofern schwer zu greifen, als Luhmann trotz oder gerade wegen der Verschachtelung verschiedener Differenzen und Referenzen eine eindeutige Zuordnung des Programms zu verhindern scheint. Nimmt man beispielsweise die These, daß Kunstwerke sich selbst programmieren, bleibt die Frage, ob tatsächlich alle Kriterien der Kritik dem Kunstwerk selbst entstammen, und wenn nicht: woher sonst? Und welche Kriterien gibt es wiederum für die Kriterien? Sollten diese aber ‚selbstgenügsam‘ sein: Wie wird dies begründet? (Vgl. ebd., S. 328ff.; bezüglich der Funktion des Stils in Hinsicht auf Probleme des Programmbegriffs bes. ebd., S. 226ff., sowie Das Kunstwerk …, S. 632ff.)


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