Anna Klapheck Textforum

Die Suche nach Zeitlosem

Zum 80. Geburtstag des Graphikers Otto Coester

Am 3. April wird Otto Coester, der über 30 Jahre lang (von 1934 bis 1967) die Klasse „Freie Graphik“ an der Düsseldorfer Kunstakademie leitete, 80 Jahre alt. Er lebt seit seiner Pensionierung in dem kleinen Ort Wilhelmsdorf bei Ravensburg, einsiedlerisch, wie es von jeher seine Art war, doch noch immer in Fühlung mit ehemaligen Schülern und vom Zeitgeist berührt.

Kaum ein anderer Lehrer der Akademie war dem Hause so eng verbunden wie er. Zeitweilig war das Atelier sogar seine Wohnung, und seine asketisch-hohe Gestalt war jedem vertraut. Obwohl er eine durch und durch schöpferische Natur ist, nahm doch die Pädagogik über Jahre hinweg von ihm Besitz, so sehr, daß die eigene Arbeit darüber zurücktrat.

Da jeder angehende Maler oder Bildhauer sich gern auch im graphischen Bereich umsieht, wechselten fast alle einmal zu Coester hinüber. Aber mit bloßem Hineinschaun und „einem bißchen Radieren“ war es bei ihm nicht getan. Wer kam, mußte mindestens ein Jahr bleiben; von jedem verlangte er harte Arbeit und äußerste Disziplin.

Dennoch war das Ziel seines Unterrichts nicht die Technik, sondern die Kunst. Er faßte die „Lehre“ in weitem Sinn, sah den Zusammenhang der einzelnen Künste, auch den Zusammenhang der Kunst mit dem Leben. Ein besonders enges Verhältnis hatte er zur Literatur, gern schreibt er selbst; er betätigte sich in den ersten Jahren nach dem Kriege sogar als Kunstkritiker für Tageszeitungen. In den fast schon legendären „Montagabenden“ fand sich ein innerer Kreis von Schülern zusammen, man las, trank Tee, diskutierte. Coester wählte selbst die Texte aus, Namen wie Kierkegaard, Kafka, Rilke, Gide, Camus haften bei den Teilnehmern in der Erinnerung.

Dabei lag diesem letztlich Schweigsamen jedes Dozieren fern. Man hat von seiner „wortlosen“ Pädagogik gesprochen, von einem Unterricht gleichsam „durch die Wand“, der nur bei genauem Hinhören vernehmbar war. Seine Pädagogik bestand in geistiger Präsenz, behutsamer Einfühlung und kaum merkbarer Autorität.

Der Graphiker, zumal wenn er die Radierung und das kleine Format bevorzugt, wenn er kleine Auflagen oder überhaupt nur Einzeldrucke herstellt und sich im wesentlichen auf das Schwarz-Weiß beschränkt, hat selten einen lauten Erfolg. So ist auch der Kreis derer, die Coester kennen und verehren, verhältnismäßig klein. Dennoch hat es ihm nicht an Anerkennung gefehlt. Er bekam 1960 den Konrad-von-Soest-Preis, seitdem ist das Westfälische Landesmuseum in Münster um sein Werk bemüht.

Die Brüder van der Grinten, Sammler von Mataré und Beuys, veranstalteten in ihrem Haus in Kranenburg 1962 eine Coester-Ausstellung. In den letzten Jahren haben das Von-der-Heydt-Museum Wuppertal und der Krefelder Kunstverein auf sein Werk hingewiesen. Die Galerie Hertz in Bremen hat zahlreiche Folgen seiner Blätter erscheinen lassen, viele davon in Anlehnung an literarische Werke (Poe, Kafka, Rimbaud, Goethe).

Coesters Graphik ist nie der Technik untertan, seine höchst empfindsame Linie, auch wenn sie reale Gegenstände umschreibt, führt ihr eignes Leben und wurzelt im Irrealen. Ensor und Kubin sind seine Wahlverwandten, mit Kubin stand er in persönlicher Verbindung. Dennoch läßt er dem Handwerk immer sein Recht.

Geboren 1902 in einem kleinen Ort Westfalens als Sohn eines Arztes, bekam er seine erste Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Barmen. Er arbeitete für den Bronzeguß, töpferte auf der Dornburg bei Jena. Die Vielseitigkeit seines Tuns ist jedoch zusammengehalten durch die Einheitlichkeit seiner Persönlichkeit, eines Menschen unserer Zeit, der nach dem Zeitlosen sucht.

Eine kleine Festschrift, von einigen seiner Schüler zusammengestellt, wird ihm als Geburtstagsgabe überreicht.

Anna Klapheck
In: Rheinische Post. Feuilleton, 3. April 1982