Anna Klapheck Textforum

Kunst-Geschichte miterlebt

Zum 80. Geburtstag von Prof. Anna Klapheck

In den letzten Wochen hat Anna Klapheck Bilanz gezogen. Nicht aus Eitelkeit oder Wehmut oder aus dem Gefühl heraus, nunmehr zukunftslos zu sein. Die Sache vielmehr wollte es; Vorarbeiten zu dem Buch „Dreißig Jahre rheinische Kunstszene“ (so der Arbeitstitel), das im Herbst bei DuMont erscheinen soll. Und während sie ihre Loseblattsammlung neu sortierte, die in den Aktenordnern scheinbar endgültig abgelegte Vergangenheit ästhetischer Erkenntnisse und bildnerischer Anstrengungen einer Revision unterzog, muß ihr deutlich geworden sein, was wir, ihre Leser, ohnehin wussten: dass nur sie diesen summierenden Blick zurück leisten kann.

Mit ihren seit 1946 in der Rheinischen Post erschienenen Kritiken hat Anna Klapheck die (Kunst-)Geschichte der Nachkriegszeit mitgeschrieben. Welch ein beneidenswertes Kontinuum an Erfahrungen vermittelten Erkenntnissen, der Förderung und Einflussnahme, der vorsichtigen Parteinahme und entschiedenen Wertung, der zeitgenössischen Betroffenheit und nicht nachlassenden Neugierde! Welch ein Glücksfall jedoch auch für eine Zeitung und deren Leser. Daß für den Tag Verfasstes – nichts anderes heißt ja Journalismus – manchmal sogar Jahrzehnte überdauern kann, wird Anna Klaphecks Kritikenband beweisen.

Die relativ spät begonnene, publizistische Karriere markierte zwar nicht unbedingt einen biographischen Knick in ihrem an Erlebnissen, an Begegnungen mit Berühmtheiten vollgestellten Leben. Sie war der am 12. Mai 1899 in Erlangen geborenen Tochter eines Internisten aber auch nicht gerade vorgezeichnete. Eher schon die – erst 1952 betretene – Laufbahn als Wissenschaftlerin. Sie beendete ihr kunsthistorisches Studium in Marburg mit der Promotion, absolvierte dann in Leipzig Lehrjahre im Kunsthandel, an einem Museum. Als Richard Klaphecks (sein zweibändiges Standard-Werk „Kunst am Niederrhein“ wurde kürzlich wiederaufgelegt) kam sie 1927 nach Düsseldorf.

Es war die legendäre, längst verklärte Zeit der Kunstakademie, an die ihr Direktor Walter Kaesbach große Malerpersönlichkeiten binden konnte, als deren Professor für Kunstgeschichte und „ständiger Sekretär“ Richard Klapheck bis 1933 fungierte. Den gleichen Lehrstuhl besetzte die Witwe des bereits 1939 Gestorbenen von 1952 bis 1966. Und ihr Sohn Konrad (Schüler des erst spät „auf dem Markt“ anerkannten Malers Bruno Goller, über den Anna Klapheck wiederum eine Monographie verfasst hat), wird ab dem Sommersemester an derselben Akademie tätig sein, an der früher seine Eltern lehrten.

So, als öffentlicher Auftrag und angenommener Auftrag, verfugt sich heute bloß noch selten das Schicksal einer Familie mit dem eines Instituts, des Staates, der Allgemeinheit. Das sich selbst in die Pflicht nehmende Verantwortungsgefühl und Engagement ist ein mit dem Ende des 18. Jahrhunderts aufkommendes (und inzwischen natürlich als anmaßend „bildungsbürgerlich“ diffamiertes) Phänomen unserer Kultur, dem diese Wesentliches zu verdanken hat.

Ersatz oder Nachfolger sind nicht in Sicht. Der einzelne hat sich verunsichert, verschreckt in sein privates Kultur-Refugium zurückgezogen. Draußen wachen Bürokraten über den Subventionsschlüssel. Wie lange er noch ein Sesam-öffne-dich sein kann, steht dahin. Pessimismus ist angebracht. Die Epoche des nur Notwendigen, nicht mehr auch eines derart notwendigen Überflusses wie Kunst und deren Vermittlung, wird wohl schon bald anbrechen.

Als in der Festschrift zum 200jährigen Bestehen der Düsseldorfer Kunstakademie (1973) der Part zwischen den beiden Weltkriegen zu vergeben war, übernahm ihn Anna Klapheck. Wer denn sonst? Das mit persönlichen Erinnerungen durchsetzte, aber nie auftrumpfende Kapitel ist gewiß das interessanteste und aufregendste des umfangreichen Gedenkwerkes. Wesen und Rang von mittlerweile in die Kunstgeschichte eingegangenen Personen sind unvermessen charakterisiert, werden unmittelbar anschaulich: Nauen, Campendonk, Thorn Prikker, Oskar Moll, Eduard Mataré (über dessen „Tore“ und Türen“ Anna Klapheck 1966 so tiefsinnig, Symbolen nachspürend reflektiert hat) und vor allem Paul Klee. „Der Schweigsame lachte sein unvergeßliches Lachen.“ Fremdes wird uns vertraut gemacht, nahe gebracht, ohne daß dabei je die Distanz zur Vertraulichkeit durchbrochen würde.

Den gleichen Zeitkreis zwischen Aufbruch und jäher (politischer) Zerstörung hatte die Autorin schon einmal in „Mutter Ey“ abgeschritten, einem 1958 bei Droste publizierten (und 1977 als Reprint wieder ausgegrabenen) Bändchen über die mütterlich-resolute Kaffeehausbesitzerin und spürnasige Kunsthändlerin. Die Sympathievorgabe der Dokumentaristin für die „meistgemalte Frau Deutschlands“ ist unverkennbar. Aber ebenso ihre Einfühlung ins Rheinische, ihre humorvolle Liebeserklärung an die sonderbare Stadt Düsseldorf, die sie dann in der traditionsreichen Reihe „Deutsche Lande. Deutsche Kunst“ porträtiert hat (1972).

Es wirkt mehr als Fügung denn wie ein Zufall, daß an diesem Wochenende im Kunstmuseum der Landeshauptstadt die Ausstellung „Düsseldorfer Malerschule“ eröffnet wird. Anna Klapheck hat ihr auf der Seite „Geist und Leben“ ein Vor-Wort gewidmet. Es ist, selbstverständlich, bewundernswert klar formuliert, ordnet Wissen souverän und breitet es anstrengungslos vor uns aus. An einer Stelle weitet sich der Griff in die Geschichte ins Persönliche (nicht Private): „Ich habe ... gekannt“.

Das ist es. Der unersetzliche, eben nicht erlernbare Spiegelhintergrund eines durchdachten (Er-Lebens). Wir alle hoffen, daß er uns wenigstens noch eine Zeitlang erhalten bleibt.

Reinhard Kill
In: Rheinische Post. Feuilleton, 12. Mai 1979