Clara Viebig
1860 - 1952


Am 17. Juli 1860 in Trier geboren, bildete diese Stadt und die sie umgebende Mosellandschaft mit den angrenzenden Eifelbergen acht Jahre lang ihre prägende Erlebniswelt. Es folgte das Leben in der „eleganten“ Stadt Düsseldorf, wie sie diese bezeichnete, nachdem der Vater, Oberregierungsrat Ernst Viebig, zum 1. Oktober 1868 vom Preußischen Innen- und Finanzminister als Leiter der Finanzabteilung und als Stellvertreter des Regierungspräsenten Kühlwetter berufen worden war. Ernst Viebig war ein aufgeschlossener, liberal denkender Vater, der sich im Rahmen seiner beruflichen Möglichkeiten, seinen Kindern herzlich zugewandte. Sie wohnte mit den Eltern und den Geschwistern am Schwanenmarkt 3 und besuchte die Luisenschule, eine angesehene private evangelische Mädchenschule. Nach dem Ende der Schulzeit lebte sie ein Jahr lang zur weiteren Unterweisung in Literatur, Sprachen und sozialer Wirklichkeit beim befreundeten Landgerichtsrat Mathieu in Tier.


Nach dem Tod des Vaters im Oktober 1881 musste sich die Familie neu orientieren und im Herbst 1882 verließ Clara Viebig 22jährig mit der Mutter Düsseldorf und zog nach Berlin. Die Sommer der weiteren Jahre verbrachte sie bei Verwandten in der Provinz Posen, der Heimat von Vater und Mutter. In Berlin absolvierte sie an der Musikhochschule eine zweijährige Gesangsausbildung, doch die erhoffte Konzertsängerinnen-Karriere ließ sich aus fehlender Stimmkapazität nicht verwirklichen. Sie gab danach selbst privaten Musikunterricht, musste aber bedingt durch die Erkrankung der Mutter sich auf ihre Begabung und ihre Leidenschaft für die Literatur zurückbesinnen. Sie schrieb für einige Zeitschriften und Zeitungen dem Zeitgeschmack entsprechende Erzählungen.


Die Lektüre von Emile Zolas „Germinal“ in der Mitte der 90er Jahre war für ihr Schreiben von entscheidender Bedeutung. Der Wunsch nach ungeschminkter Wahrhaftigkeit war geweckt, nach einer naturalistischen Darstellungsweise und vor allem nach realistischen Themen. Erfolgreich wurde sie mit den naturalistischen Eifelgeschichten: „Kinder der Eifel“, 1897, „Vor Tag und Tau“, 1898 und mit dem Roman „Das Weiberdorf“ von 1900. Die eindringlichen Schilderungen der Eifellandschaft, des spezifischen ländlichen Milieus, der krassen menschlichen Konflikte, der Verbindung von Naturmagie mit christlicher Frömmigkeit wurden zu ihrem frühen Markenzeichen.


Seit November 1896 hatte Clara Viebig mit dem Ehemann und Verleger Friedrich Theodor Cohn einen starken Medien-Partner zur Seite. Er war zunächst Mitinhaber des Verlags „Egon Fleischel & Co.“, ab 1906 war er Alleininhaber und veröffentlichte alle ihre Bücher, die jeweils hohe Auflagenzahlen erzielten; allein vom „Weiberdorf“ konnten 40 Auflagen gedruckt werden. In angesehenen Kulturzeitschriften erschienen auch Vorabdrucke von ihren Romanen. Bis zum 1. Weltkrieg war sie die meist verkaufte und finanziell erfolgreichste Autorin Deutschlands. Sie absolvierte viele Lesereisen durch ganz Deutschland und in der Regel wurden ihre Romane und Novellensammlungen u. a. ins Italienische, Französische, Russische und Niederländische übersetzt.


Als weiteres Themenfeld erschloss sich Clara Viebig die Geschichte und schrieb historische Romane. Als ihr bekanntester und bester Roman dieses Genres gilt der Düsseldorf-Roman „Die Wacht am Rhein“ von 1902. Die Stadt Düsseldorf wird über die Zeitspanne von 1830 bis 1870 als eine Stadt im Umbruch dargestellt, die viele Facetten ins sich vereinte: Garnisonsstadt, Kunststadt, Gartenstadt, florierende Handelsstadt und aufstrebende Industriestadt. Ihr war die Darstellung der privaten und sozialen Konflikte zwischen Altpreußentum und rheinischer Mentalität wichtig und die Möglichkeit ihrer kreativen Verschmelzung


Clara Viebig thematisierte immer wieder historische Umbruchphasen, so konzentriert sie sich z. B. in „Das Eisen im Feuer“ von 1913 auf die Barrikadenkämpfe der 1848er Revolution in Berlin und auf die Folgen für die aktiv Kämpfende nach dem Scheitern der Aufstände. Der Rückgriff auf die Geschichte gehörte in allen Schreibphasen zu ihrem Themenspektrum. Aber nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von 1933 wurde die Geschichte schließlich ihr einziges thematisches Refugium.


In einem dritten zentralen Themenkreis konzentrierte Clara Viebig sich mit den Berlin-Romanen auf die aktuellen gesellschaftlichen Fragen und sozialen Verwerfungen ihrer Gegenwart, beginnend mit dem Roman „Das tägliche Brot“ von 1900. Hier greift sie die Dienstmädchen-Frage auf, indem sie die Ausbeutungspraktiken der sogenannten Herrschaften veranschaulicht und die Ausweglosigkeit der in Abhängigkeit lebenden jungen Mädchen sehr emphatisch schildert. Zu den Themen mit sozialer Sprengkraft, die sie in die Berlin-Romane einbindet, gehören u.a. die Alkoholsucht von Männern und Frauen, Vergewaltigung, Verstoßung von ledigen Müttern durch die Familie und Ausgrenzung durch die Gesellschaft, erzwungene Prostitution, Syphilis, Geldentwertung und Grundstücksspekulation.


Zum 70. Geburtstag im Juli 1930 wurde Clara Viebig medial deutschlandweit intensiv gewürdigt und in Düsseldorf wurde ihre eine Straße gewidmet. Mit Beginn der Nazi-Herrschaft wurde sie mehr und mehr aus dem Literaturbetrieb ausgegrenzt und mit Verweis auf die Ehe mit dem jüdischen Verleger Friedrich Theodor Cohn wurde in Düsseldorf ihre Straße in „Gleimstraße“ umbenannt.


Als Clara Viebig am 31. Juli 1952 im Alter von 92 in Berlin starb, bemühte sich der Düsseldorfer Stadtarchivar Dr. Paul Kauhausen erfolgreich als Wiedergutmachung um die Bestattung von Clara Viebig im Ehrengrab des Vaters auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof.

© Ariane Neuhaus-Koch